Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap LXX.  Metapsychologie des mystischen Erkennens:  6. Automatistische Offenbarungen.  (S. 724)

Ich erspare dem Leser und mir selbst den Versuch einer 'Rettung' nun auch noch der früher an erster Stelle besprochenen automatistischen Offenbarungen, womit unsere rückschreitende Rechtfertigung der intellektualen Mystik zum Abschluß käme.

Ersichtlich sind sie für unsere Zwecke die unergiebigsten, indem sie den eigentlichen Vorgang der Erkenntnisgewinnung (einen solchen vorausgesetzt) fast noch mehr verhüllen, als selbst die Visionen, in denen wir zum mindesten ein überwiegendes Moment subjektiver Ausgestaltung ohne weiteres anzuerkennen haben.

Die subjektivistischen Einwände, die den vielfach kindisch-phantastischen und einander widersprechenden 'Inhalten' automatischer Offenbarungen gelten, haben daher unstreitig ein besonders freies Feld der Anwendung.

Ich möchte es also im allgemeinen dem Leser überlassen, soweit ihm gut dünkt, die bisher entwickelten Grundsätze der Rettung auch auf dieses Gebiet anzuwenden, hier dagegen nur eine Tatsache hervorheben, die ihm dabei zu Hilfe kommen könnte. Unsere bisherigen Überlegungen lassen den Zustand der Exkursion als Begünstigung übersinnlichen Wissenserwerbs erscheinen.

Nun fallen aber gerade in die Exkursion zuweilen 'Belehrungen', die an Ausdrücklichkeit keineswegs hinter den automatistischen Offenbarungen zurückstehen. Die Form dieser Belehrungen, als von einem geschauten 'An dem' ausgehend, mag dabei ein Teil der Dramatisierung verborgenen Wissenserwerbes sein, so gut wie die angebliche Herkunft mancher automatischen Belehrungen von einem selbständigen 'Geiste'.

Soviel ist psychologisch jedenfalls einleuchtend, daß ein solcher Offenbarungsempfang in der visionären Exkursion durchaus homolog wäre dem Offenbarungsempfang durch die schreibende Hand oder den unwillkürlich redenden Mund; denn was in der Vision sich in einem geschauten Lehrer personifiziert, wäre eine Leistung eben jener Bewußtseinsschicht, die sich im andern Fall durch den Automatismus des Redens oder Schreibens äußert.

Eine spiritistische Deutung aber würde beide Arten der Offenbarung erst recht zusammenfallen lassen. - Nach diesen einleitenden Bemerkungen gebe ich die Belege ohne weiteren Kommentar,


Kap LXX.  Metapsychologie des mystischen Erkennens:  6. Automatistische Offenbarungen.  (S. 725)

auch ohne auf die empfangenen Lehren als solche einzugehen, lediglich zur Verdeutlichung der Tatsache, daß derartige Belehrungen tatsächlich zuweilen in einen Zustand der Exkursion fallen; was die Vermutung stärken muß, daß selbst hinter phantastisch erscheinenden Offenbarungen dieser Art sich ein Kern verberge, der eine wirkliche Berührung mit dem Jenseits andeutet.

Der erste Fall wird in manchen Einzelheiten einen phantastischen Eindruck machen. Ich gebe ihn indessen, unter Streichung unwesentlicher Weitläufigkeiten, unbedenklich wieder.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß gerade diejenigen Einzelheiten, die jetzt am meisten unser Kopfschütteln, wenn nicht gar eine durchaus unwissenschaftliche Heiterkeit herausfordern, dereinst die Ausgangspunkte theoretischer Einsichten werden.

Dem Eigenbericht des Patienten schickt der behandelnde Arzt die Angabe voraus, daß jener plötzlich das Gefühl einer herannahenden Ohnmacht geäußert habe, worauf der Puls schließlich erloschen sei, der Körper sich gestreckt habe, steif und kalt geworden und alle Wiederbelebungsversuche vergeblich gewesen seien. -

Der Berichterstatter schickt voraus, daß ihm von jeher das Leben wie eine kleine purpurne Flamme im Innern des Herzens erschienen sei. Er habe diese Flamme dort jederzeit gleichsam mit inneren Augen gesehen; in kranken Tagen habe sie schwächer, in guten heller gebrannt.

Beim Herannahen der Ohnmacht sei nun diese Flamme blaß und flatternd geworden, und das Persönlichkeitsbewußtsein, 'welches gewöhnlich im Gehirn ist', habe sich 'soz. gegen ein [anderes] ähnliches vertauscht, das aber in dem innern Atem lokalisiert war; [1] d. h. ich glaubte mich zu identifizieren mit einem innern Atem.

Dieser Atem sammelte sich um das Herz herum an und beobachtete das Verblassen jener Flamme [und] sah sie verschwinden. (Fragen Sie mich nicht, mit welchen Augen) . . . Mein Bewußtsein war [nun] völlig in diesem Atem lokalisiert. 'Ich' also [d. h. dieser Atem] begann sehr schnell zu vibrieren, umherzuwogen, und fühlte bald, wie ich emporschwebte (als [selbst]bewußter Atem. . .!) durch eine Öffnung in der Mitte des Rückgrats.

Ich bewegte mich aufwärts in einer Spirale.' Er glaubte dann durch den Schädelhohlraum hinauszutreten, mit einem heftigen Schlag der Trennung und mit unbeschreiblichem Freudegefühl. 'Ich war frei. . .

Als der [selbst]bewußte Atem dem Haupte entsprang, nahm er Form an, eine Form strahlenden Lichtes, und in dieser Gestalt schoß ich in die freie Luft hinaus. Dort oben wurde ich empfangen von Jemand, den ich gut kenne und der mir gewisse Mitteilungen zu machen begann.

Um uns herum waren viele schlafende Kugeln, [2] und er forderte mich auf, diese zu beobachten... Die ganze Atmosphäre war lichtartig; Kugeln [wie] von Elektrizität zogen eilig in allen Richtungen dahin. Auch war da eine geordnete Bewegung wie von entsendeten und zurückkehrenden Strahlen. . .

Dann fühlte ich einen leichten Zug an mir [ausgeübt] und sah einen schattenhaften Faden, . .. der sich abwärts von mir durch die Luft und in eine Öffnung hinein erstreckte. Es war, als wenn dieser Zug... meinen Bewußtseinszustand verändert hätte, denn ich hörte nun auf, die Wunder um mich her zu sehen, und sah statt dessen die Gebäude und den Sonnenschein auf dem Schnee tief unter mir. . .

[1] in the breath within (vgl. u. Kap. LXXIX und o. S. 502 f.).
[2] spheres. Vgl. o. S. 287. 660 ff.


Kap LXX.  Metapsychologie des mystischen Erkennens:  6. Automatistische Offenbarungen.  (S. 726)

Ich fühlte mich schnell abwärts und rückwärts gezogen, . .. [zuletzt] durch ein Fenster und in ein Zimmer hinein. Dort bemerkte ich nur einen jungen Mann, anscheinend tot auf einem Ruhebett liegend.'

Er fühlte sich nun wieder in den Kopf hineingezogen, seine strahlende Gestalt wurde zu einem 'rauchigen Faden, einem Atem', der in Spirallinien in den Körper hinabstieg, [1] 'mein Bewußtsein machte einen neuen plötzlichen Wechsel durch...

Das Hirnbewußtsein war wieder mein'. 'Ich habe nur hinzuzufügen, daß was mir gesagt wurde, während ich außerhalb des Leibes war, seitdem alles in Erfüllung gegangen ist.' Wir erfahren nichts Näheres; doch scheint es sich, neben gewissen Lehren, auch um Voransagen gehandelt zu haben. [2]

Die zweite der anzuführenden Beobachtungen, in Vielem mit der vorigen übereinstimmend, ist in dem Briefe eines Mitglieds der Theosophischen Gesellschaft enthalten und wurde, wie so viele seltsame Erfahrungen, während der Lachgas-Narkose gelegentlich einer Zahnoperation gemacht.

Das Element der Belehrung tritt hier stärker in den Vordergrund, ich lasse aber die betreffenden Ausführungen selbst beiseite. Nach einer ersten kurzen Bewußtlosigkeit schienen der Körper und alle übrigen Dinge verschwunden zu sein und ein dunkelblaues Gewölbe sich nach allen Richtungen hin auszudehnen.

'Ich schien mir keine Gestalt zu haben, aber um ein formloses Selbst war ein schwaches weißes Licht, welches mir als eine Art formlosen Körpers diente, und von ihm ging - ich kann es nur so nennen - ein leuchtender Draht aus, von dem ich wußte, daß er mich mit meinem fleischlichen Leibe verband.

Nahe bei mir, mich fast berührend, war ein anderer formloser Leib von diesem sanften weißen Licht, gerade wie ich selbst, . .. [und] in beträchtlicher Entfernung waren andere weiße Lichter, . .. die sich erstreckten, soweit ich nur sehen konnte. .. Dann begann eine Stimme zu sprechen. Ich kann die genauen Worte nicht erinnern.'

Doch gibt die Stimme kurze lehrhafte Erklärungen und eine Warnung vor Zweifeln. Dann folgt der übliche Zug am Faden und die Rückkehr in den Körper in einer Spiralbewegung, 'ein äußerst unangenehmer Vorgang... Nie in meinem ganzen Leben hatte ich einen so lebhaften Eindruck von irgend etwas'. [3]

Wie die Deutung solcher Vorgänge nun auch ausfallen mag: die vorstehenden Rechtfertigungen ekstatischen Begreifens in ihrer Gesamtheit werden uns jedenfalls endlich verstehen lassen, wie einseitig beschränkt die Begriffe waren, die uns den ekstatischen Zustand zunächst als eine Gattung der Hypnose oder des Somnambulismus bestimmen ließen. [4]

Jene erste Begriffsbestimmung berücksichtigte lediglich äußerliche, soz. vom diesseitigen Ende aus beobachtbare Merkmale dieses Zustandes, sowie seine einfachsten und banalsten inneren Bestimmungen.

Aber hinter der gleichbleibenden Maske jener äußeren Merkmale verbirgt sich ein Spektrum inneren Lebens, dessen 'entfernteres' Ende den Begriffen des üblichen Psychologismus völlig entzogen ist und - wie ich glaublich zu machen suchte - nur denen einer kosmischen Metapsychologie sich erschließt.

[1] Diese Einzelheiten dürften am meisten cum grano salis aufzufassen sein.
[2] Zit. in Bordexland I 259.
[3] Lucifer XIV (1894) 265f. Vgl. auch D. D. Homes Erfahrung: Home. Révél. 57ff.
[4] o. Kap. VII.

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