Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap LVIII.  Probleme spiritistischer Identifizierung: 1. Allgemeine Kriterien.                 (S. 609)

Wir können, ehe wir auf Mitteilungen im engeren Sinne von Wissensinhalten eingehen, die Erscheinung der Jenseitigen selbst unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Auch diese ist zuweilen dem Medium sowohl als dem Sitzer im ganzen oder in Einzelheiten fremd, die dem Subjekt der Erscheinung aber natürlich vertraut sein müssen und die es durch seine Erscheinung eben gewissermaßen mitteilen kann.

Dabei darf im Augenblick davon abgesehen werden, was diese Erscheinungen an sich selber seien. Selbst wenn man sie nur als hypnotische Gesichte des Mediums faßt, vergleichbar anderen visionären Leistungen des Unterbewußten (wie der 'Kristallschau'), so sind es doch Gesichte von übernormal erlangten Inhaltseinzelheiten, und es fragt sich bloß, ob diese Inhalte auf einen Verstorbenen als ihren Ursprung hindeuten.

Ich will, da die Piper-Aufzeichnungen in dieser Hinsicht wenig ergiebig sind, einige Beispiele aus älteren Quellen anführen, davon das erste aus den Arcanes de la vie future dévoiles von A. Cahagnet, dessen Berichte mit großer Sorgfalt hergestellt sind. [2].

Cahagnets Medium, die damals sog. Somnambule Adele Maginot, besaß die Fähigkeit, die verstorbenen Angehörigen ihrer Besucher im Trans 'aufzurufen' und zu 'sehen'. Eines Tages, während sie im Schlafe lag, kam der Abbé d' Almignana  zu ihr mit der Aufforderung, die vor einigen Jahren verstorbene Schwester seiner Pflegerin, namens Antoinette Carré, aufzurufen.

Adele beschrieb nunmehr deren Gestalt, die sie sah: Größe, Haar, anscheinendes Alter, die kleinen grauen Augen, die 'an der Spitze etwas verdickte' Nase, die gelbliche Gesichtsfarbe, den flachen Mund, den starken Busen, das Fehlen einiger Vorderzähne, die Schwärze der wenigen noch vorhandenen, einen kleinen Fleck auf der Backe, die Kleidung. Der Abbé,

[2] S. Myers II 573.


Kap LVIII.  Probleme spiritistischer Identifizierung: 1. Allgemeine Kriterien.                 (S. 610)

der die Verstorbene nicht gekannt hatte, zeichnete alle diese Angaben auf und las sie der lebenden Schwester Marie Francoise Carré vor, die ihre Genauigkeit bezeugte und sich nur des Flecks auf der Backe nicht entsinnen konnte.

Aber ein ankommender Heimatgenosse, dem sie die Beschreibung vorlas, erkannte danach die Beschriebene und bezeichnete die Stelle des Fleckes, was diesen nunmehr auch der Schwester ins Gedächtnis zurückrief. [1]

Beispiele dieser Art sind außerordentlich häufig; sie bilden für den Belesenen einen zwar deutungsbedürftigen, aber in seinem Tatbestand reichlich beglaubigten Typ. Sehr häufig verbindet sich das Schauen der Fremdgestalt mit automatischen Mitteilungen - mündlichen, schriftlichen, 'typtologischen' - seitens des Gesehenen.

Eine Erfahrung dieser Art berichtet Aksakow von seiner eigenen, mediumistisch begabten Frau.

In einer Sitzung zu zweien am 26. Febr. 1873 hatte ihre Hand eine Mitteilung von sehr persönlichem Charakter geschrieben, die von der verstorbenen Tochter der Gräfin A. Tolstoi zu kommen vorgab, an diese letztere adressiert war und auf eine frühere Sitzung anspielte, der diese Dame beigewohnt hatte.

Als Frau Aksakow zu sich kam, behauptete sie, soeben eine Frauengestalt gesehen zu haben, die sie beschrieb, die aber weder sie noch Herr Aksakow identifizieren konnten, während Frau A. sie 1½ Monate später gelegentlich eines Beileidsbesuches bei der Gräfin Tolstoi in einem Bildnis der verstorbenen Tochter der Gräfin sofort wiedererkannte. [2]

Auch Mrs. Piper erkannte übrigens den ihr im Trans erschienenen G. Pelham in einem Packen vorgelegter Photographien Verschiedener wieder. [3]

Vorgänge dieser Art unterscheiden sich offenbar nur in einem psychologischen Sonderumstand - dem Trans des Perzipienten - von ähnlichen Wahrnehmungen wirklichkeitsgetreuer Erscheinungen im anscheinenden Wachen, wie wir deren so viele kennengelernt haben.

Auch das Freiluftphantom und der Spuk stellen ja häufig einen Verstorbenen dar und enthalten dann vielfach 'wahre' Einzelheiten, die dem Perzipienten zuvor normalerweise völlig unbekannt waren. Beispiele dafür ließen sich leicht in großer Zahl anführen, [4] aber die Probleme, die sie uns aufgeben, sind uns nicht neu.

Nicht nur das (nach herkömmlicher Anschauung) telepathisch erzeugte Phantom eines Lebenden wies häufig wirklichkeitsgetreue Einzelheiten auf, die dem Perzipienten normalerweise unbekannt waren, sondern vollends nachdem die angeblich telepathischen Halluzinationen in die Tatsachen anscheinenden Hellsehens übergegangen waren, schien dem Wissenserwerb unbekannter Einzelheiten kaum noch eine Grenze gesetzt, weder eine räumliche noch eine zeitliche:

was irgendwo war, was irgendwann gewesen war oder gar sein würde, erwies sich auch letzten Endes

[1] Bei Delanne 41ff. Vgl. Ber. d. Kom. d. dialekt. Gesellsch. II 54ff.; III 210; PS XXXII 134; APS V 35f.; Pr III 100ff.
[2] Aksakow, An. u. Spir. II (IV, B, 8, a). Vgl. das bemerkenswerte Erlebnis desselben Med. PS 1874 I 122ff.
[3] Pr XIII 417.
[4] Eine sorgfältig untersuchte Erfahrung dieser Art seitens der scharfsinnigen Mrs. Verrall s. JSPR XII 290-4. Vgl. den Spukfall der Mrs. O'Donnell JSPR VIII 326; Mr. J. E. Husbands Bericht Pr V 416f.; Pr V 418ff. 460f. u.v.a.


Kap LVIII.  Probleme spiritistischer Identifizierung: 1. Allgemeine Kriterien.                 (S. 611)

als für den Hellseher erfahrbar und schaubar, so daß die Theorie sich zur Annahme einer geradezu allwissenden Wissensquelle über allen Einzelwesen gedrängt fand. Damit scheint sich aber auch die Frage nach dem Wesen der im Trans vom Medium geschauten Phantome zu erledigen:

nämlich im Sinne ihrer psychologischen Gleichsetzung mit den 'wahren' Halluzinationen des Hellsehens, der Kristallschau und dergI., - wenigstens solange wir die Hoffnung auf einen 'dritten' Begriff des Phantoms nicht zu verwirklichen vermögen.

Diese Gleichsetzung stützt sich auf nichts so überzeugend wie auf das episch-darstellerische Element, das diesen gesehenen Geistern des Trans so häufig eignet und sie weit eher zu visionären Erzählungen stempelt (wie die Gesichte des Rück- oder Vorschauenden), als zu gesehenen wirklichen Bewohnern einer anderen Welt.

Wenn z.B. Nelly von einer gewissen Verstorbenen sagt: 'so oft ich (sie) sehe, sehe ich ihr Bein entsetzlich bluten', oder von der Art des Selbstmordes eines Andern erfährt, indem sie eine offene Luftröhre erblickt;

oder den verstorbenen Erzbischof Benson 'mit der Königin reden sieht, wie ein großer Mann'; [1] oder wenn Dr. Phinuit auf das Fußleiden einer Verstorbenen aufmerksam gemacht wird, indem er sie ihren Fuß emporhalten sieht, [2]

so ist das offenbar wesentlich dasselbe, wie wenn z.B. Mrs. Prior im 'Kristall' die verstorbenen Schwestern der ihr völlig unbekannten Frau Wenzel, die beim Ringtheaterbrande umgekommen waren, 'in Flammen, welche ein Gebäude ganz einhüllen', erblickt. [3]

Stellt der Rückgriff auf die Allbewußtseinstheorie des Hellsehens in Zeit und Raum die weitestgreifende Ausflucht gegenüber der populären spiritistischen Deutung der fraglichen Phantomerscheinungen dar, so verlegt eine wesentlich bescheidenere die Quelle des Neuen, das die Erscheinung des Toten darbietet, in den Geist und das Wissen eines Lebenden, dem jenes Neue in allen Einzelheiten bekannt gewesen sei.

Wir haben diesen Gedanken schon als versuchte Deutung von Spuken überhaupt kennen gelernt, und Herr Podmore, der ihn dort am nachdrücklichsten vertrat, hat ihn ganz allgemein auf Erscheinungen Toter angewandt. [4]

Es ist in der Tat leicht zu sehen, daß keiner der oben angeführten und bezeichneten Fälle eine Einzelheit der Erscheinung darbietet, die nachweisbar keinem Lebenden bekannt war; in den meisten anführbaren Fällen läßt sich sogar leicht ein lebender Mitwisser solcher Einzelheiten auftreiben,

der entweder dem Schauplatz der Erscheinung nahe war oder sonst mit ihr oder dem Perzipienten in irgend welcher Beziehung stand, wenn er nicht geradezu ein Interesse an der Übertragung jener Einzelheiten oder, was ja fast  dasselbe ist, an ihrer Verheimlichung hatte.

Wir haben z.B. einen Fall, wo eine vor 9 Jahren Verstorbene ihrem Bruder, einem kaufmännischen Reisenden, unerwartet bei der Arbeit erscheint, und zwar

[1] Pr XVII 126. 106; XVIII 138.
[2] Pr XIII 444.
[3] PS XXXIV 530. Vgl. das. 466ff. üb. Fr. Luise Osol.
[4] Pr VI 229ff.


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Kap LVIII.  Probleme spiritistischer Identifizierung: 1. Allgemeine Kriterien.                 (S. 612)

mit einer hellen roten Schramme auf der Wange, welche die Mutter zu ihrem eigenen Entsetzen versehentlich der Leiche beigebracht hatte und von der kein anderer Lebender wußte. Die Mutter fiel fast in Ohnmacht, als sie von dieser Wahrnehmung hörte. [1] -

Wenn Ertrunkene zuweilen 'in durchnäßten Kleidern', 'triefend von Wasser' erscheinen, [2] so läßt sich sogar die noch einfachere Annahme verteidigen, daß die Anregung der Erscheinung seitens des Ertrinkenden noch vor seinem Tode erfolgt sei.

Ich brauche nach früher Gesagtem nicht zu betonen, daß mir dies eifrige Suchen nach telepathischen Agenten für jede Einzelheit des Gesehenen gegenüber der Mehrzahl der Fälle letzten Endes unnatürlich und unbefriedigend erscheint.

Ehrlicher auf alle Fälle berührt mich der Versuch, die unbekannten Phantome auf frühere, 'halbbewußt' aufgenommene, aber bewußt 'völlig' vergessene Wahrnehmungen (Kryptomnesie) zurückzuführen, ein Vorgang, den der Forscher auf diesen Gebieten ja gar nicht sorgsam genug beständig in Rechnung stellen kann.

Frau Aksakow z.B. hatte bei einer früheren Gelegenheit der Gräfin Tolstoi als Medium gegenüber gesessen, und man kann schwerlich sicher sein, daß sie zu keiner Zeit ein Bild von deren verstorbener Tochter gesehen. Indessen bin ich selbstverständlich weit entfernt, von diesem Versuch, das übernormale Problem auf das Gebiet des Normalen zurückzuziehen, mehr als gelegentliches und vereinzeltes Gelingen zu erwarten. -

Gehen wir von der äußern Erscheinung Verstorbener zu ihren Mitteilungen im engeren Sinne über (auf die sich die spiritistische Lehre ja stets in erster Linie berufen hat), so wollen wir auch hier, unserm Ausgangspunkt entsprechend, vor allem die einschlägigen Leistungen des Trans in Betracht ziehen, ohne aber gelegentliche Griffe in das psychologisch verwandte Gebiet der Freiluftphantome zu vermeiden.

Bekanntlich sind nun die Phantome des Transdramas, als Mitteilende betrachtet, sehr starker Bezweiflung im subjektivistischen Sinne ausgesetzt, (die freilich - wohlverstanden - das Übernormale des Transerfahrens in weiten Grenzen unangetastet läßt).

Allerdings sind die herkömmlichen Gründe gegen die Auffassung, die sekundären Kontrollgeister seien die dargestellten Persönlichkeiten selbst und nicht Personationen des somnambulen Mediums, keineswegs alle von gleicher Stärke.

So ist es zwar wahr, daß diese Persönlichkeiten meist keine besonders hohe Intelligenz offenbaren, [3] 'daß sie zuweilen Ansichten auch über jenseitige Dinge äußern, die man mit ziemlicher Sicherheit als Blödsinn bezeichnen darf; [4] daß ihre Selbstdarstellung vielfach eine beschränkte ist und daher sehr verschiedene Beurteilungen ihrer Lebensähnlichkeit zuläßt, [5] daß sie sich oft auch in Zusammenhangslosigkeit und Selbstwidersprüche verliert, [6]

[1] Pr VI 17f. Vgl. Gurney I 365 u. Pr VIII 208.
[2] z.B. Gurney II 451. 488 u. sonst; Crowe 152. 153.
[3] Pr XV 26f.
[4] S. z.B. das. 32f.
[5] S. z.B. Pr XIII 332. 429; VIII 29. 33.
[6] Pr XV 23.


Kap LVIII.  Probleme spiritistischer Identifizierung: 1. Allgemeine Kriterien.                 (S. 613)

und was dergleichen mehr ist. Aber nicht nur käme die Möglichkeit in Frage (die uns oft genug 'von drüben her' als Wirklichkeit behauptet wird), daß der Geisteszustand der Abgeschiedenen wenigstens zeitweilig ein stark beeinträchtigter sei - wie denn auch gar kein Grund vorliegt, ihnen ohne weiteres ein sehr vermehrtes Wissen oder gar metaphysische Allwissenheit zuzuschreiben -; sondern sofern ihre Selbstdarstellung durch den Spielleiter bezw. das Medium vermittelt wird, ist eine Trübung des Bildes geradezu zu erwarten.

Indessen hat es hierbei keineswegs sein Bewenden. Die häufig zu beobachtende Tatsache, daß der angebliche Geist nicht weiß, was er als solcher wissen müßte, könnte zwar hier und da auf jene 'Beeinträchtigung' zurückgeführt werden, doch wächst mitunter solche verzeihliche Gedächtnisschwäche zu einer Höhe der Ratlosigkeit und des Irrtums an, auf der eine in die Enge geratene Maskerade des Mediums offen zutage zu liegen scheint. 

Die Kehrseite dieser in die Augen springenden Mängel ist dann das allbekannte 'Angeln' der Medien, das ständige, oft äußerst geschickte, oft leidlich plumpe Lavieren, Ausweichen, Aushorchen, versteckte Fragen, Raten, Versuchen, Vertuschen von Mißerfolgen, Ausstopfen der Lücken mit leerem Gerede, das über gefährliche Augenblicke hinweghelfen soll, Einspringen auf jeden Wink des Sitzers, auch den absichtlich irreführenden, - lauter Kunstgriffe und Winkelzüge, in denen die kluge und doch verräterische Arbeit des somnambulen Mediums sich unwillkürlich ans Licht drängt.

Zu diesen negativen Gründen gegen die spiritistische Auffassung treten positive desselben Sinnes, wie z.B. mannigfache Hinweise darauf, daß auch die sekundären Transpersönlichkeiten ihre Selbstdarstellung vielfach aus dem Vorstellungsbesitz und den charakteristischen Bildungs- und Ausdruckselementen des Mediums speisen. [1]

Und was die normal nicht gewußten Bestandteile der Mitteilungen anlangt, so verringern Medien und Transpersönlichkeiten selbst deren spiritistische Ansprüche zuweilen dadurch, daß sie nicht nur gelegentliches Lesen der Gedanken des Sitzers zugestehen, [2] sondern auch ein Schöpfen aus dem Wissen entfernter Lebender, und zwar in den entwickelten Formen des Transdramas. [3] -

Es ist nun bemerkenswert, daß obgleich alle diese Einwände ohne Ausnahme längst zu den Banalitäten der ernsthaften Medienforschung gehören, das Problem doch bei weitem nicht einstimmig als negativ entschieden angesehen wird.

Sieht man auch völlig ab von den klassischen Zeugen von Bedeutung, mit denen der ältere Spiritismus sich brüsten durfte, so findet man heute unter Fachleuten von Rang und Urteil manche, die

[1] z.B. Pr XV 33.
[2] S. z.B. Pr VI 488: Phinuit: I read your thoughts then. I can't generally.
[3] Vgl. Pr VI 487Delanne 129 (aus A. Kardecs Livre des esprits); Pr XVIII 182-6.


Kap LVIII.  Probleme spiritistischer Identifizierung: 1. Allgemeine Kriterien.                 (S. 614)

ihre Zustimmung zur spiritistischen Grundlehre auf eben das Material gründen, auf welches auch die obigen Einwände sich beziehen: nämlich auf die einzelinhaltlichen Mitteilungen der Transmedien, vor allem auf die ausführlichen und Jahre hindurch fortgesetzten Untersuchungen an einem kleinen Kreise hervorragender Automatistinnen. [1]

Auf Prof. Lodges und Prof. Hyslops Urteil [2] wird man vielleicht verhältnismäßig am wenigsten bauen mögen. Gegen Myers' perfervidum ingenium könnte sein unverhohlenes starkes Bedürfnis nach Gewißheit des Fortlebens geltend gemacht werden.

Mehr Bedeutung darf vielleicht Prof. James' Fortschritt von sehr zurückhaltenden zu beinah eindeutig spiritistischen Urteilen beanspruchen. [3] Dr. Hodgsoll wird man als den Fall eines entschieden kritisch und skeptisch Veranlagten, durch genaue Erforschung eines Einzelfalles aber Bekehrten ansprechen müssen. [4]

Sehr zu beachten ist auch das spiritistische Endurteil dreier so gründlicher und scharfsinniger Bearbeiter wie Mr. Piddington, Mrs. Sidgwick und Miss Johnsoll. Was Herrn Podmore anlangt, so sprechen die einlenkenden Urteile in seinem letzten Werk [5] eine sehr beredte Sprache, wenn man die eingefleischte Verneinung und verbohrte Zweifelsucht seiner vorausgegangenen Arbeiten bedenkt. [6]

Eine solche Übereinstimmung im höchsten Maße Urteilsfähiger erschiene unverständlich, wenn die berührten Einwände für die ganze Masse des Materials bezeichnend wären. In Wahrheit ist selbst das Piper-Material von einer verwirrenden Vielgestaltigkeit und Verschiedenwertigkeit, die es dem vorurteilslos sich hingebenden Leser schwer macht, ein bestimmtes allgemeines Urteil länger als für Augenblicke festzuhalten.

Mit Äußerungsperioden, die einen Verstorbenen im Besitz alles Kleinguts persönlicher Identifizierung inkarniert erscheinen lassen, wechseln Abschnitte, welche das ganze Elend mediumistischen Komödienspiels zu enthüllen scheinen. [7]

Indessen sind wir nicht genötigt, auf diesen klassischen Fall und die ähnlich eingehend erforschten der drei, vier andern Parademedien der englischen Ges. f. psych. Forschung uns zu beschränken.

Auch das ältere und übrige Schrifttum enthält einzelne Berichte, die man sehr unrecht täte außeracht zu lassen, weil die Umgebung, der sie entstammen, nicht immer die vornehme Wissenschaftlichkeit der genannten Gesellschaft zur Schau trägt. Auf dieser breiteren Grundlage wollen wir denn auch die inhaItlichen Kriterien angeblicher Verstorbenen-Äußerungen besprechen.

In manchen Fällen, die zuerst berührt werden mögen, ist es nicht so sehr oder nicht allein der Einzelinhalt oder eine Summe von Einzelinhalten

[1] bes. in Pr VIII XIII. XVI-XVIII. XX-XXII usw.
[2] Lodge, The Survival of man, z.B. 336; Hyslop in Pr XVII 360ff.
[3] Vgl. z.B. Varieties 524 und The Will to believe (1904) 314 mit Pr XXIII 35f. 116ff.
[4] Pr XIII 405f. (370ff.)
[5] Natur.209f. 319. 326. 330.
[6] Neuerdings u.a. Lombroso. Vgl. auch Prof. Dr. med. Bianchi bei Falcomer 101 ff. Den Gipfel obskurantistischer Beiseiteschiebung des ganzen Problemgebiets bezeichnet Münsterbergs Urteil in Psychology and life 252.
[7] Vgl. Podmores Urteile in Natur. 325-7.


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Kap LVIII.  Probleme spiritistischer Identifizierung: 1. Allgemeine Kriterien.                 (S. 615)

der Mitteilungen, sondern schon der allgemeine Charakter der mediumistischen Leistung, was auf ihren Ursprung außerhalb des Mediums zu schließen zwingt und gleichzeitig den spiritistischen Anschein erzeugt.

Dies ist z.B. der Fall, wenn des Schreibens Unkundige automatisch oder im Transzustand schreiben, oder der Musik Unkundige in dieser Weise musizieren, oder des Rechnens Unkundige Rechnungen ausführen, oder wenn Medien in Sprachen sprechen, die ihnen bewußt und unterbewußt fremd sind. Über Vorgänge aller dieser Arten besitzen wir glaubwürdige Zeugnisse.

Diejenigen über schreibunkundige Schreibende beziehen sich meist auf kleine Kinder, ja selbst das Schreiben eines halbjährigen Knaben, Sohnes des Rechtsanwalts Jencken, wird uns in einer Weise berichtet, die ernsthafte Forscher von der Wirklichkeit der Vorgangs überzeugt hat. [1]

Das fließende Spielen z.T. schwieriger Klavierstücke seitens seiner 13-jährigen Tochter (die dessen normal vollkommen unfähig war und 'keine Note kannte') wird aus eigener Beobachtung vom Gouverneur Talmadge des Staates Wisconsin (1854), [2] die automatische Lösung einer jedem Anwesenden normalerweise unbekannten mathematischen Aufgabe durch ein solcher Rechnung unfähiges Medium - von Dr. Urysz durchaus vertrauenswürdig bezeugt. [3]

Aber auch abgesehen von Bedenken, die sich gegen die Tatsachentreue einiger (nicht aller) von solchen Berichten geltend machen lassen, ist immerhin zu bedenken, daß der InhaIt jener Schriften und Leistungen in keinem Falle Beweise für das Fortleben bestimmter Personen enthalten hat, daß vielmehr die Leistung an sich in jedem einzelnen Falle auch durch die übernormale Tätigkeit eines Lebenden bewirkt gedacht werden kann.

Wir besitzen nämlich einen sehr bedeutsamen Bericht über die anscheinende 'motorische Kontrolle' eines automatisch Schreibenden durch einen Lebenden:

Dieser (ein im Trans befindliches Medium) führte dabei, hinter dem Rücken des Schreibenden sitzend und von diesem ungesehen, mit der Hand in der Luft jedes Wort und Satzzeichen aus, das der Schreibende jeweils einen Augenblick später zu Papier brachte. Die Bedingungen der Beobachtung (durch Dr. Venzano u.A.) bei gutem Licht waren so günstige, daß die Schriftzeichen der Hand in der Luft für sich gelesen werden konnten. [4]

Nun war Mrs. Jencken, die Mutter des oben erwähnten 6monatigen Schreibmediums, bekanntlich selbst ein Medium von größtem Ruf, und wenn wir eine ähnliche Beeinflussung durch des Schreibens, Spielens und Rechnens Kundige auch in den andern bezeichneten Fällen annehmen dürfen, so entfällt offenbar der Zwang, einen Abgeschiedenen als Urheber der Leistung anzusetzen,

[1] Zusammenstellung ält. Fälle bei Aksakow, Au. u. Spir. II. S. auch Pr IX 122ff. u. dazu Myers II 486.
[2] Nach Linton bei Podmore, Spir. I 281.
[3] PS XXXIII 524f. 527 (Wurzel aus einer 20stell. Zahl).
[4] S. APS III 35f. Die Annahme gleichzeitiger (etwa telep.) Kontrolle durch einen anwesenden 'Geist' ist jedenfalls die schwierigere.


Kap LVIII.  Probleme spiritistischer Identifizierung: 1. Allgemeine Kriterien.                 (S. 616)

auch dort, wo diese selbst durch einen solchen bewirkt zu sein behauptet, ohne diese Behauptung inhaltlich zu erweisen.

Was hier schließlich vermißt wird, nämlich ein objektiver Hinweis des Inhalts der Leistung auf spiritistischen Ursprung, ist nun in den besten Fällen von Reden in nicht gekannten Sprachen meist unzweideutig gegeben.

Die bekanntesten Beobachtungen dieser Art sind wohl diejenigen, welche John Worth Edmonds, ehemaliger Senator und Richter des Obersten Gerichtshofes des Staates New York, an seiner Tochter Laura anstellte, deren mediumistische Leistungen auch sonst von mannigfacher Art waren.

Sie kannte nach dem Zeugnis ihres Vaters außer ihrer englischen Muttersprache nur ein wenig Französisch von der Art, wie es in Mädchenschulen beigebracht wird. 'Gleichwohl hat sie (unter der angeblichen Kontrolle von Geistern) in 'neun bis zehn verschiedenen Sprachen zuweilen eine Stunde lang und mit der. . . fließenden Fertigkeit eines Eingeborenen sich mit Personen unterhalten, welche die betreffende Sprache als ihre Muttersprache redeten.'

Der meistangeführte Vorfall dieser Art bezieht sich auf den Besuch, den ihr ein Grieche namens Evangelides abstattete, der ihr völlig fremd war, aber von ihrer Gabe gehört hatte. Ein reichliches Dutzend Personen war dabei zugegen.

Herr Evangelides 'sprach gebrochenes Englisch, aber Griechisch fließend. Alsbald sprach ein Geist zu ihm durch Laura in englischer Sprache und teilte ihm so viele Einzelheiten mit, daß er ihn als einen Freund identifizierte (einen Bruder des griechischen Patrioten Marco Bozzaris), der einige Jahre zuvor in seinem Hause (in Griechenland) gestorben war, von dem aber keiner von uns je gehört hatte.

Gelegentlich sprach der Geist durch Laura ein Wort oder einen Satz auf griechisch, bis Herr Evangelides fragte, ob er verstanden würde, falls er griechisch spräche. Die weitere Unterhaltung, über eine Stunde lang, wurde von seiner Seite ausschließlich griechisch, von ihrer Seite bald griechisch und bald englisch geführt.

Zuweilen verstand Laura (selbst, die danach bei Bewußtsein gewesen zu sein scheint,) den Sinn ihrer oder seiner Worte nicht. Zuweilen wiederum verstand sie ihn, obgleich er griechisch redete, wie auch die griechischen Worte, die sie selber äußerte.'

Herr Evangelides, der durch dieses Erlebnis tief erschüttert war, gab nach Beendigung der Unterredung an, daß er während ihrer das Medium durch Einführung privater Angelegenheiten sowie durch häufigen Wechsel des Gegenstandes der Unterhaltung auf die Probe gestellt habe, daß aber sein Griechisch stets verstanden worden sein müsse und daß das Griechisch des Mediums fehlerfrei gewesen sei.

Weitere Zusammenkünfte unter ähnlichen Bedingungen verliefen in derselben Weise. Keiner der übrigen Anwesenden, versichert Edmonds, verstand Neugriechisch. [1]

Aus der Zahl anderer von Richter Edmonds zusammengestellter ähnlicher Beobachtungen, die ihm auf einen Aufruf hin aus dem Publikum mitgeteilt wurden, sei nur noch der Fall der Mrs. Warner erwähnt, die nach dem Zeugnis ihres anwesenden Gatten mit einem jungen Deutschen sich in dessen Muttersprache unterhalten (von der sie im Normalzustand nicht ein Wort kannte) und ihm u.a. die letzten Worte seiner verstorbenen Mutter mitgeteilt habe, so daß der junge Mann überzeugt war, der Geist seiner Mutter sei anwesend und habe mit ihm gesprochen.

[1] Edmonds, Spiritual Tracts Nr. 10; E. u. Dexter, Spiritualism, Introd.


Kap LVIII.  Probleme spiritistischer Identifizierung: 1. Allgemeine Kriterien.                 (S. 617)

Frau W. habe nie ein Wort über die Familie des Betreffenden erfahren gehabt. -

Von demselben Medium bezeugt Mr. James Merrill, der von Kindheit an bis zu seinem 18. Lebensjahre unter Indianern gelebt hatte, deren Sprache er infolgedessen fließend sprach, daß er 'die vollkommene Überzeugung gewonnen habe,

Mrs. Warner verstehe in ihrem Normalzustande nicht das Geringste von irgend einem indianischen Dialekt, während ich selbst erfahren habe, daß sie während ihrer Besessenheit durch einen indianischen Geist wirklich in einer indianischen Sprache zu reden imstande ist'. [1]

F. Podmore, dessen Zugeständnisse als die eines entschlossenen Gegners natürlich besonders zu werten sind, faßt in seinem Hauptwerk noch einige andere Fälle zusammen, denen sein alles verneinender Geist - der grundsätzlich wenigstens mäkelt, wo er nicht widerlegen kann - anscheinend nichts anzuhaben vermag.

'Wir besitzen vorzügliche Zeugnisse dafür’, sagt er, 'daß Mr. Ruggles (im Trans) französisch gesprochen habe, eine Sprache, die er seiner eigenen Angabe nach nicht verstand.' Die Zeugnisse für ähnliche Leistungen der Damen Thompson und Hersley sind 'ziemlich gut'.

Die Beweise, daß die Herren Ruggles und Mansfield in Sprachen geschrieben haben, die ihnen unbekannt waren, seien 'in den meisten Beziehungen unantastbar': eine Mehrheit von Zeugen trete dafür ein, die Zeugisse seien frisch, die Schriften - in französischer, deutscher, lateinischer, griechischer, gälischer, chinesischer und andern Sprachen - liegen vor; nur der 'steifnackigste Ungläubige' könne auf noch strengeren Beweisen dafür bestehen, daß die genannten Medien wirklich gar keine Kenntnis der betreffenden Sprachen besaßen. [2] -

Was den berühmten Mansfield anlangt, so dürfte die übernormale Natur seiner Sprachleistungen schon durch folgende Beobachtungen wahrscheinlich gemacht werden. 'Ich habe’, schreibt Dr. N.B. Wolfe, 'Mansfield zwei Mitteilungen gleichzeitig schreiben sehen, die eine mit der rechten, die andre mit der linken Hand (in sog. Spiegelschrift), (beide über verschiedene Gegenstände) und beide in einer Sprache, von der er keine Kenntnis hatte.

Während er dabei war, unterhielt er sich mit mir über geschäftliche Angelegenheiten oder setzte die vor diesem Doppelschreiben begonnene Unterhaltung fort. .. In einem Falle, dessen ich mich deutlich erinnere, sagte mir Mansfield, während er mit beiden Händen in zwei Sprachen schrieb:

'Wolfe, haben Sie einen Mann in Columbia gekannt, namens J acobs?  Ich bejahte und er fuhr fort: Dieser ist hier und wünscht Ihnen zu sagen, daß er diesen Morgen aus seinem Körper abgeschieden ist. Diese Ankündigung erwies sich als wahr.' [3]

Die spiritistische Deutung der 'Xenoglossie' an sich leidet nun freilich offenbar an einer ähnlichen Schwäche, wie die der zuvor erwähnten Leistungen. In mehreren der angeführten Fälle wird die Anwesenheit einer Person, welche die dem Medium unbekannte Sprache beherrschte, ausdrücklich erwähnt, und in keinem Fall - soweit ich sehen kann - ist sie ausdrücklich ausgeschlossen.

Und wären selbst Fälle gegeben, in denen kein Anwesender die fremde Sprache beherrschte, so würden auch diese

[1] Vgl. auch Dr. F. C. S. Schiller über F. in Pr IV 221ff. Neuere Zusammenstell. bei Podmore. Spir. I 262; II 19; Richet 164ff.
[2] aaO. I 257ff. - S. 261: excellent evidence (betr. Ruggles).
[3] Startling facts in modern spiritualism (Cincinnati 1874) 48.


Kap LVIII.  Probleme spiritistischer Identifizierung: 1. Allgemeine Kriterien.                 (S. 618)

dem Bedenken unterliegen, daß doch für eine übernormale Kontrolle oder Willensübertragung, wie sie hier anzunehmen wäre, Entfernung keine Rolle spiele oder zu spielen brauche.

Zum Überfluß führt uns Aksakow (der doch der spiritistischen Deutung der fraglichen Tatsachen das Wort redet), einen Fall an, in welchem das Reden in einer fremden Sprache augenscheinlich unter dem telepathischen Einfluß eines Lebenden erfolgte.

Die spiritistische Deutung solcher Vorgänge empfiehlt sich dagegen dringender, wenn zu der Beherrschung der dem Medium fremden Sprache noch eine lebenswahre Darstellung des ihm unbekannten Verstorbenen tritt, einschließlich der Hervorbringung einzelner Wissensinhalte, die am natürlichsten auf dessen persönliche Erinnerung zurückzuführen sind.

Der Anschein hiervon ist offenbar in einigen der erwähnten Fälle gegeben gewesen, wiewohl wir gerade von dieser Seite der Vorgänge nichts näheres erfahren. Jedenfalls liegt auf ihr die Last des Problems, das wir nunmehr an diesem Kernpunkt zu fassen suchen müssen. [1]

[1] Ich übergehe, als ihrem Wesen nach schwer einschätzbar, Fälle von Verwendung (seitens d. Med.) der charakteristischen Mimik, Gesten und Handschrift Verstorbener. S. z.B. PS XXI 276; XXIV 215; d'Espérance 145; Owen, Deb. L. 390; Podmore, Stud. 132f.; Pr XX 14f. 26. 306; XVIII 231ff. 242.

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