Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 362)

Hier unterbreche ich einstweilen die Aufzählung solcher Tatsachen, auf die sich in letzter Linie der Anspruch auf übersinnliche Bedeutsamkeit der mystischen Erlebnisse berufen sollte.

Ein Teil der Leser wird ohnehin nur mit wachsender Ungeduld diesen Berichten gefolgt sein und mit halb unwilliger Belustigung die Zumutung zurückweisen, diesen vielfach in sich selbst nicht eindeutigen, dazu fast ausnahmelos ungenügend verbürgten Erzählungen irgendwelche Bedeutung beizulegen.

In einzelnen Fällen habe ich selbst auf mögliche Fortdeutungen des scheinbar übernormalen Bestandteils hingewiesen, und auch wo dies nicht geschehen ist, lassen sich offenbar meist ohne Schwierigkeit irgendwelche, im Bericht natürlich verschwiegene oder den Beteiligten nicht einmal zu Bewußtsein gekommene Beobachtungen, Erinnerungen, Winke oder sonstige natürliche Einflüsse erdenken, die das scheinbar übernormal Erfahrene auf natürliche Weise herzuleiten gestatten.

Zu diesen inneren Zweideutigkeiten der berichteten Tatsachen (die Genauigkeit und Glaubhaftigkeit der Berichte vorausgesetzt) tritt, wie


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gesagt, der Zweifel, der sich übermächtig fast immer gegen diese Vertrauenswürdigkeit selbst erhebt. Die zwischen Vorgang und Bericht verstrichene Zeit ist in vielen FälIen eine lange, der Bericht selbst oft von Hand zu Hand gewandert, ehe er die überlieferte Form erhielt.

Ungenaue Weitergabe und die hundert Fälscherkünste des Gedächtnisses erhalten so Gelegenheit, ihr Werk zu tun. Hierzu tritt auf unserem Gebiet in besonderem Maße die Arbeit der mythenbildenden Phantasie: die unbewußte wie die bewußte Erzeugung von Legenden, d. h. die Erdichtung von biographischen Vorgängen nach dem 'wunderbaren' Vorbilde religiöser Größen einer meist weit zurückliegenden Vorzeit, also im Grunde: nach einer vorbildlichen Legende.

Die Religionswissenschaft hat diese Legendenerzeugung in vielen Einzelheiten verfolgen und bekanntlich selbst ganze HeiIigengestalten (wenn auch meist die unbedeutenderen der ältesten Zeiten) als ausschließlich legendarisch entlarven können. [1]

Ein anderer Teil der Leser freilich wird das letzte Kapitel mit wesentlich anderen Gedanken aufgenommen haben; entweder weil ihn eigene Erfahrung gelehrt hat, daß die angeführten Tatsachen ausnahmelos zu feststehenden Typen alIgemeinen wirklichen Erlebens gehören;

oder weil ihm bewußt ist, daß neuerdings wissenschaftliche Forschung sich mit solchen Erfahrungen ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt ihrer objektiven FeststelIbarkeit beschäftigt und daß ihre bisherigen Ergebnisse die rasch wachsende Anerkennung der fraglichen Tatsachen bewirkt haben. Dies offenbar ist auch für uns das Ausschlaggebende.

In der Tat ist die wissenschaftliche StelIung und Würde jener Tatsachen schon heute eine andere als zu der Zeit, da ich die Ausarbeitung dieses Buches begann, ja selbst zu der Zeit, da ich seine erste Niederschrift beendete.

Die Arbeit, der diese Wandlung verdankt wird, ist leider größtenteils außerhalb Deutschlands geleistet worden; immerhin haben sich auch bei uns einzelne Gelehrte von unbezweifelter Bedeutung in wissenschaftlicher, d. h. bewußt-kritischer Weise den Erscheinungen des Übernormalen zugewandt und vielfach positive Ergebnisse gewonnen.

Für unsern Zusammenhang stelIt sich damit die Aufgabe, das Tatsachengebiet des Übernormalen in den Grenzen seiner Glaubwürdigkeit darzustelIen, so wie sich diese mir zu ergeben scheinen, und durch den Hinweis auf seine völlige sachliche Übereinstimmung mit den entsprechenden Tatsachen der religiösen Biographie eine völlig neue SteIlung zur Frage von deren Glaubwürdigkeit zu gewinnen.

Aber unsere Aufgabe endet nicht - fast beginnt sie erst damit. Die Glaubwürdigkeit gewisser übernormaler oder, wie man

[1] Vgl. hierzu zB. H. Usener, Sonderbare Heilige; H. Delahaye, Die hagiograph. Legende; P. Toldo in Ztschr. f. vergleich. Literaturgesch. XIV (1901) 320ff.; H. Günter, Die christI. Legende des Abendlandes (Heidelb. 1910) 71ff. MacCulloch in ERE VIII 684f. § 10. Die Legendarisierung ist freilich in neueren Fällen gelegentlich glänzend bestritten worden; s. zB. Anal. Bolland. 1897 52-63. gegen A. D. White über S. Franc. Xaver.


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sie auch genannt hat: metapsychischer Tatsachen auf profanem wie auf religiösem Gebiete zugestanden, müssen wir sie, soweit irgend möglich, theoretisch zu verstehen suchen, zugleich aber auch ihre Bedeutung für unsere Anschauung vom Wesen des Menschen und der Welt, und im Zusammenhang damit auch die Bedeutung ihres Vorkommens innerhalb des religiösen Lebens, und das Licht, das sie auf die sonstigen mystischen Ansprüche werfen.

Indem ich mir in den folgenden Abschnitten diese beiden Aufgaben stelle, entstehen aber aus der Schwerglaublichkeit und Verdächtigkeit der Tatsachen für die Darstellung gewisse Schwierigkeiten.

Es ist nutzlos zu verkennen, daß sich diese Tatsachen noch immer in einer künstlichen Zwangslage befinden, die ihrer wissenschaftlichen Ausnutzung nicht gerade förderlich ist: das Mißtrauen, das ihnen entgegengebracht wird, zwingt ihre Verfechter, sie wesentlich unter dem Gesichtspunkt des Erweises ihrer nackten Wirklichkeit überhaupt zu behandeln.

Eine Forschung, deren Ziele im Grunde physiologische und psychologische sind oder sein könnten, erhält dadurch großenteils ein ihr fremdes, geschichtlich-kritisches Gepräge, wobei sich die Aufmerksamkeit häufig in einem Scharfsinn erschöpfen muß,

der nicht so sehr der Tätigkeit des Laboratoriumforschers, als derjenigen eines Detektivs oder Untersuchungsrichters zugehört, der Beweisstücke beizubringen sucht, die den Ungläubigen zur widerwilligen Anerkennung des allergröbsten Tatbestandes überhaupt zwingen sollen, und das selbst da, wo von der Absicht einer Täuschung keine Rede sein kann.

Ich wünsche nun mit der größten Ausdrücklichkeit festzustellen, daß die folgenden Kapitel zu dieser zeugniskritischen Arbeit der nackten Tatsachenerhärtung (vor der ich im übrigen die denkbar größte Achtung habe) keinen Beitrag zu liefern beabsichtigen.

Wer mit dem einschlägigen Schrifttum vertraut ist, weiß, was es heißt, eine metapsychische Tatsache mit dem ganzen kritischen Apparat wiederzugeben, den das Mißtrauen oder die Bestreitung der 'Wissenschaft' bei ihrer ersten Feststellung bedingen.

Die weitläufigen Originalberichte samt allen Nebenzeugnissen einem fortlaufenden Argumente einzuverleiben, verbietet sich durchaus. [1] Die bloße Rücksicht auf Masse und Umfang nötigt also hier zur Beschränkung. Aber ein anderes Bedenken ist beinahe noch mehr bestimmend für mich.

Ich muß mir sagen, daß selbst das Äußerste an Vollständigkeit des kritischen Apparates, was man einem einzelnen Werke aufladen dürfte, auf den entschlossenen Zweifler nicht die Wirkung hervorbringen könnte, um derentwillen es gewagt würde. Bei der Mehrzahl der Menschen beruht eben Überzeugung, wie oft bemerkt, doch schließlich mehr auf Gewöhnung als auf einmaligem Beweise.

Gerade das Gebiet des Metapsychischen führt dieses 'kumulative' Moment des Beweismaterials zum Bewußtsein. Wem eigene Erfahrungen versagt sind, dem kann oft nur ein lang anhaltendes Studium des unübersehbaren Schrifttums klarmachen, wie belanglos letzten Endes alle jene apriorische und von außen geübte Mäkelei ist, in der so viele eine ausreichende Kritik jener Erfahrungen zu finden glauben.

Man muß mit eigenen Augen zu sehen beginnen, daß die fraglichen Tatsachen nicht, wie die Gegner es häufig hinstellen, ein kleines dunkles Eckgebiet der Natur sind, worin

[1] Zum Beweise betrachte man vom darstellungstechnischen Gesichtspunkt aus F. W. H. Myers' bekanntes Werk, das eine solche ausführliche Einverleibung durchführt.


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Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 365)

die Dinge nach anderen Gesetzen vor sich gehen, als in der großen allgemeinen Welt des Lichtes und der freien Luft; daß sie vielmehr einen Ozean bilden, der die Menschheit zu allen Zeiten und an allen Orten umgeben, ja durchflutet, ihr Denken und Fühlen aufs tiefste bestimmt hat und bestimmt;

ja daß im Gegenteil die heutige 'Aufklärung' - geschichtlich wie geographisch betrachtet - jenen ecken- und inselhaften Charakter an sich trägt, der unser Sehen in diesen Dingen so gründlich verfälscht hat.

Mein eigener Standpunkt in der Frage der tatsächlichen Glaubhaftigkeit ist vielmehr dieser: Bei fast allen Typen metapsychischer Tatsachen lassen sich die vorhandenen Beweismittel einigermaßen in drei Gruppen sondern.

Die eine enthält Beobachtungen,  denen kein besonnen Urteilender irgendwelches Gewicht für eine Entscheidung .beimessen kann, die den herkömmlichen Anschauungen widersprechen würde. Eine zweite Gruppe wird von Fällen gebildet, die nur durch gewaltsame Mißdeutung ihres Ranges als hinreichende Beweise für übernormale Vorgänge entkleidet werden können.

Zwischen diesen beiden Gruppen, und beide an Umfang weit übertreffend, lagert sich die Masse derjenigen Berichte, denen man Eindeutigkeit weder nach der einen noch nach der anderen Seite zuschreiben kann; von denen, als reinen Beweismitteln, sich soviel wegdeuteln läßt, daß sie für den Zweifler nicht mehr als Stützen neuartiger Ansichten gelten können; die aber doch, mit 'wohlwollendem' Auge betrachtet, ein starkes Vorurteil zugunsten solcher Ansichten begründen.

Die Stellung des Forschers dieser Gruppe gegenüber wird wesentlich davon abhängen, ob er belesen genug ist, um die Tatsachen jener zweiten Gruppe in ihrem ganzen Umfang zu kennen, und freimütig genug, um anzuerkennen, daß sich in ihr die entscheidenden Springkräfte seines Urteils verbergen.

Das logische Schicksal der dritten Gruppe - und damit der größten Masse der berichteten Tatsachen überhaupt - hängt also von der Entscheidung über die soz. extrem- positiven Fälle ab. Ist auch nur ein einziger Fall eines Typs von übernormalem Geschehen schlechthin verbürgt, so entfällt bereits der stärkste Anreiz, jene 'mehr oder weniger' wiegenden, wenn auch nicht zwingenden Fälle durch gequältes Kritteln ihrer Beweiskraft vollends zu entkleiden.

Erkennt man sie aber an kraft einer soz. übertragenen Indulgenz, so gewinnt man die wichtige Einsicht, daß jene zwingenden Fälle keineswegs seltene und vereinzelte Vorkommnisse darstellen, wie ihre anfängliche Zusammenstellung der Beweiskraft nach sie erscheinen ließ.

Ich gedenke nun um so weniger mich auf Berichte der zweiten Gruppe zu beschränken, als ich ja von vornherein beschlossen habe, dem theoretischen Interesse vor dem bloß tatsachenforschenden den Vorrang zu lassen.

Wir gewinnen nämlich in dem 'wohlwollend' vermehrten Tatsachenmaterial eine sehr bereicherte Auswahl solcher Einzelzüge, aus deren vorsichtiger Vergleichung und hypothetischer Verarbeitung wir hoffen dürfen, allmählich zu einer Theorie der fraglichen Erscheinungen vorzudringen.

Die ehrlichere Handhabung des Materials wird sich so (wie ganz natürlich ist) auch als die fruchtbarere erweisen. Um so mehr muß bedauert werden, daß sie bei weitem noch nicht die allgemein geübte ist.

Wären literaturkritische Auseinandersetzungen der Zweck dieser Blätter, es ließe sich leicht zeigen, daß gerade die am eifrigsten sich 'wissenschaftlich' gebärdenden Bearbeiter die drei Gruppen des Materials nach etwa folgenden unausgesprochenen Grundsätzen behandeln: Die zweite Gruppe - die der 'starken' Fälle - verschweigen sie ganz, oder geben eine völlig unzureichende Vorstellung von ihrer Ausdehnung; soweit


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sie sie erwähnen, erwecken sie durch rein rhetorische Hinweise auf ihre 'wissenschaftliche Unglaublichkeit' ein wenigstens gefühlsmäßiges Vorurteil. Aus der dritten Gruppe - der 'anlehnungsbedürftigen' Fälle - schöpfen diese Kritiker am reichlichsten, und haben dann leichtes Spiel, das, was sie als 'gute Beispiele' hinstellen, zu zerpflücken. Sie krönen ihr Werk, indem sie Fälle der ersten Gruppe - was immer leicht ist - dem Gespötte bloßstellen.

Daß demgegenüber auch die 'wohlwollende'und dadurch 'fruchtbarere' Ausnutzung der Tatsachen ihre Gefahren birgt, wird kein Kundiger leugnen. Aber ist nicht jede Hypothese ein Wagnis, das erst allmählich den Charakter der Sicherheit annimmt?

Ich bin der Meinung, daß eine anhaltende Beschäftigung mit dem metapsychischen Gebiete bestätigt, was schließlich der Wissenschafter auf jedem Gebiet als einen Segen der Forschung entdeckt: daß man durch die Arbeit auf ihm selbst einen gewissen 'Takt' und ein 'Gefühl' erwirbt, die das weitere Erkennen, aber auch das Bewerten von Tatsachen nicht minder bestimmen, als dies durch strenge Regeln des klaren und schrittweisen Forschens geschieht.

Auch auf dem metapsychischen Gebiete bestimmt sich die Rangordnung der Tatsachen hinsichtlich ihrer Wichtigkeit unstreitig nicht nach dem Grade der Gesichertheit, den sie vom 'Detektivstandpunkt' des entschlossenen Zweiflers aus besitzen.

Ganz schwach bezeugte Nebenumstände, deren Kunde uns wie ein Samenkorn im Winde aus dem Halbdunkel zugeweht kommt, können auf dem Boden eines Bewußtseins, das durch lange Beschäftigung mit den Tatsächlichkeiten des ganzen Gebietes richtig vor- bereitet ist, bedeutendere Früchte der Einsicht erzeugen, als die wenigen Grundtatsachen, die auch der Zweifler schließlich anzuerkennen gezwungen werden mag.

Der Leser wird nun vielleicht einwenden, daß mit der hier beabsichtigten Wiedergabe der Tatsachen ohne ihren ganzen Beweisapparat der erste der beiden Zwecke, um derentwillen ich das fragliche Gebiet betrete, eben schon aufgegeben sei: nämlich die Beglaubigung jener 'Legenden' des vorigen Kapitels.

Auf solchen Einwand ist zu erwidern,

1. daß ich nicht jede, sondern nur die ausführliche Wiedergabe von Beweismitteln auszuschließen gedenke; daß ich sogar für jede Klasse von Tatsachen in mindestens einigen Fällen auch die Nebenbeweismittel wenigstens kurz zusammenfassend mitteilen will;

2. daß auch diejenigen Fälle, bei denen dies nicht geschieht, aus einer Berichterstattung oder gar Forschung stammen, die eine außerordentlich viel höhere Glaubwürdigkeit besitzt, als jene Legenden - sind doch die Bürgen der Berichte vielfach Männer von größtem wissenschaftlichem Rufe;

3. daß endlich diejenigen Fälle, bei denen weder das eine noch das andere zutrifft, entweder nur der erwähnten 'kumulativen' Wirkung oder aber gewisser Einzelzüge wegen angeführt werden sollen, welche wertvolle Winke für die Theorie enthalten, während die Glaubwürdigkeit der betreffenden Tatsachen überhaupt sich an die Glaubwürdigkeit wesentlich ähnlicher Fälle (ohne jene Einzelzüge) 'anzulehnen' hat.

Ich werde mich also damit begnügen, von jedem Bericht alles Wichtige in möglichst kurzer, aber klarer Form zu bieten, und zu diesem Zwecke jedes wirklich überflüssige, nicht unbedingt zur Sache gehörige Wort fortlassen, alles aber, was auf theoretisch belanghabende Fragen das mindeste Licht werfen könnte, in den Worten der Originalberichte oder in gewissenhaft gleichbedeutender Umschreibung anführen.

Der Leser verliert dadurch allerdings die Möglichkeit eines persönlichen Urteils über den Wert des Zeugen als solchen, soweit dies Urteil sich auf den Gesamteindruck eines Berichtes stützt; aber dieses Urteil und


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die damit verknüpfte Verantwortung habe ich ein für allemal selbst übernommen. Wo dieses mein Urteil ein schwankendes oder teilweise ungünstiges ist, werde ich nicht unterlassen, dem Leser dies mitzuteilen, und eine tastende oder versuchsweise Verwendung noch fragwürdiger Tatsachen auch offen als eine solche kennzeichnen.

Unter diesen Voraussetzungen gedenke ich dann aber auch nicht die ganze unübersehbare ältere Literatur der fraglichen Gebiete (wie häufig geschieht) von vornherein von aller Berücksichtigung auszuschließen.

Ein an den besten und neuesten Beweismitteln geschultes Auge wird mit einiger Vorsicht auch da noch den Weizen von der Spreu zu sondern wissen, dann aber in manchen kleinen Einzelzügen, deren Beobachtung ja vielfach ein unbeherrschbarer Glücksfall ist, auch dort Bestätigung oder Anregung theoretischen Denkens finden. [1]  -

Mache ich mich nun zunächst daran, die oben 'legendarisch' belegten Tatsachen durch bessere Beobachtungen glaubhaft zu machen, so gedenke ich mir diese Aufgabe hinsichtlich der ersten Tatsachengruppe in einer Weise zu vereinfachen, die, wie ich glaube, heute auf die Zustimmung nicht weniger Leser rechnen darf.

Ich beabsichtige nämlich, die bloße Tatsächlichkeit von Telepathie überhaupt nicht in Frage zu ziehen, also auch nicht erst durch glaubwürdige Beobachtungen zu erhärten. Bei Allen, die sich gründlich mit Forschungen dieser Art befaßt haben, bezeichnet Telepathie das Mindestmaß des zugestandenen Tatsächlichen.

Es ist ein Vorteil, den verbissene Gegnerschaft in sich schließt, daß man sich auf das verlassen kann, was auch ihre entschlossenste Kritik nicht hat zerstören können. Unter diesem Gesichtspunkt dürfen wir uns an der Selbstverständlichkeit genügen lassen, mit der Podmore, der skeptischste aller wirklichen Kenner der metapsychischen Literatur, allenthalben die Telepathie als unentbehrliches Deutungsmittel für alle übrigen behaupteten Tatsachen heranzieht.

Es gibt unanfechtbare Beobachtungen (und wir werden deren kennenlernen), die für manche Beurteiler weit schwerer Glaubliches zu verbürgen scheinen als bloße Telepathie, für die aber schlechthin jede Deutungsmöglichkeit schwindet, wenn nicht zum mindesten Telepathie in umfassendem Sinne zugestanden wird.

Je mehr wir daher den gewagteren Begriffen der Deutung an Gewicht nehmen, desto größer wird das Gewicht der Beweise für jenen banaleren. Es erscheint mithin überflüssig, eine große Beweislast einer Annahme aufzubürden, die ständig benutzt wird, die unerträglich dünkenden Beweis- und Deutungslasten anderer Tatsachen zu erleichtern.

Bequemt sich doch selbst der übervorsichtige Prof. Dessoir in einem reichlich gewundenen Kapitel, das von den stärksten Tatsachen und Gründen zugunsten der Telepathie so

[1] Diese Kautelen gelten nicht durchweg für die bloß in Anmerkungen zitierte Literatur. - Zur Psychol. des Zeugnisses vgl. bes. die von W. Stern und Fr. v. Liszt herausg. Werke und Zeitschriften. Die Sonderkritik unseres Gebiets vertreten in Deutschland bes. M. Dessoir (vielfach) u. R. Hennig, Wunder u. Wissenschaft, 2 Bde. (Hamburg 1904/6\. In älterer Zeit J. Chr. Hennings, Von Geistern u. Geistersehern (Lpz. 1780). Gänzlich unzulänglich zB. Prof. I. Hoppe, Einige Aufklärungen üb. d. Hellsehen (Freib. 1872) und Dr. E. Hitschmann, Zur Krit. d. Hellsehens, in Wiener klin. Rdsch. 1910 94f.


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Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 368)

gut wie nichts enthält, neuerdings zur Zulassung der Telepathie wenigstens als naheliegender Annahme und brauchbarer Arbeitshypothese.[1]

Die Bereitwilligkeit selbst der Zweifler, wenigstens vor dieser Tatsache haltzumachen, entspringt nicht nur der Häufigkeit, mit der sie spontan auftritt, sondern auch ihrer verhältnismäßigen Zugänglichkeit gegenüber dem Experiment.

Der häufigste Typ spontanen Auftretens betrifft Vorgänge, wie sie die 'legendarischen' Berichte uns bereits vertraut gemacht haben: das plötzliche Wissen, das jemand von erregenden Erfahrungen eines ihm Nahestehenden ohne Beteiligung der normalen Sinne erhält, meist in Form von' Ahnungen', Gesichten, Gehörseindrücken oder motorischen Antrieben, die mit dem entfernten Geschehnis sinnvoll zusammenhängen.

Der einschlägigen Berichte ist eine unübersehbare Vielheit, in einer reichen Literatur weit verstreut. [2]

Die experimentelle Feststellung der Telepathie (die übrigens auch in Gurneys großem Werk über die spontanen Erscheinungen berücksichtigt war) hat bedeutende Erfolge erzielt mit der unmittelbaren Übertragung oder Erzeugung (durch bloßes 'Denken' oder 'Wollen') von einfachen Empfindungen, Bildern, Antrieben zu mehr oder weniger verwickelten Handlungen, mitunter ganzen Reihen zusammengesetzter Vorstellungen, ja sogar mit einseitig-gedanklichen Unterredungen. [3]

Vielfach hat sie die Form der hypnotischen Einschläferung auf große Entfernungen und unter Ausschluß normaler Suggestionen angenommen. [4] Bekannt (und auch nach Dessoirs Urteil unübertroffen) sind in dieser Hinsicht die Versuche, in denen Pierre Janet, Dr. Gibert u. a. ihr Subjekt auf Entfernungen von 1 km (in der Stadt!) 'einschläferten' oder zu bestimmten Handlungen zwangen. [5]

Diesen Feststellungen ist die negative Kritik nicht mehr gewachsen. Völlig belanglos dem Gesamtmaterial gegenüber, in welchem experimentelle und spontane

[1] Vom Jenseits der Seele, 2. Aufl. 114ff., bes. 119. 124.
[2] Außer Gurney; Myers; Flammarion; Podmore, App.; Pr Indexband, s. v. Apparitions, Death signs, Hallucinations und Telepathy - s. zB. Owen, Footfalls 105ff.; APS IV 219: V 95f.; Harrison 83ff.; Daumer I 184ff. usw
[3] S. zB. Pr I 224ff.; II 20ff. 205ff.; VI 377ff.; ÜW X 257ff. (Kommitteebericht der Münch. Psychol. Ges.); Sphinx VII 184; das. 1886 I 383ff. (Dessoir, Exper. m. Figuren); Hennig, aaO. I 157f. (Prof. d. Physik D.); PS XV 7 ff. (v. Schrenck-Notzing); Ochorowicz, bes. p. I ch. 4; p. II ch.9; Stewart, Thought-Reading (1883) (118 Versuche);  RH III 82; Liébeault, Thérap. suggest. 275ff.; Dufay in RS XVI (1888) 240ff.; Dr. A. G in ASP II 253ff.; Wetterstrand, bei H. Schmidkunz, Psychol. d. Suggestion (Stuttg. 1892) 35f.; Lombroso 11 ff. (aus Sulla trasmissione del pensiero [Turin 1881]); Wrchowszky in ZO 1909 28 (bemerkenswert); Rochas, Etats 24; R. Tischner, Üb. Telep. u. Hellsehen (München 1921) 12ff.; W. v. Wasielewski, Telep. u. Hellsehen (Halle 1921). In ält. Zeit: Elliotson in The Zoist V 242ff.; ATM V, 3. St. 80f.; Haddock 90; Mayo 182; Reichenbach II 662ff.; Lassaigne, Mém. d'un magnétiseur 80ff. (du Prel, Entd. I 117); Zöllner III 529. - Ganze Gespräche telep. übertr.: Teste u. Barrier bei du Prel, Entd. I 138. 140; Passavant, 2. Aufl. 115f; Eckartshausen, Aufschlüsse zur Magie II 294; Despine 218ff.; Owen, Deb. L., Append.; ASP I 178ff.; APS V 152; ÜW X 307f.
[4] In Deutschland schon früh: ATM I, 2. St. 123; VI, 2 90; IX, 2 73; X, I 124.126; XII, 3 82; Passavant, 2. Aufl. 117f. (nach Wienholt); Reichenbach II 662ff. In England Esdaile 67ff.; The Zoist VII 280 (Barth); Townshend, Facts in Mesmerism 314 (Podmore, Spir. I 135); Battersby, bei Gurney II 344.
[5] RPh Aug. 1886 und Bull. de la Soc. de Psychol. physiol. I 24ff.


Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 369)

Fälle auf große Entfernungen weitaus überwiegen, ist der Versuch, die psychische Übertragung durch 'unbewußtes Flüstern' oder suggestive Gesten des 'Agenten' zu erklären. [1] Ebenso unzulänglich aber ist die Berufung auf paralleles Denken der beiden Versuchspersonen, auf Denkgewohnheiten, oder gar auf das Wirken des Zufalls. [2]

Mögen einzelne Versuchsreihen durch solche Überlegungen an Gewicht verlieren: die bedeutendsten und die Masse der verwickelteren Spontanfälle werden von ihnen nicht einmal berührt.

Die Befürworter des Zufalls [3] sollten nicht vergessen, daß das Argument, nach welche ein vielfaches zufälliges Zusammentreffen von sog. telepathischen 'Erschein gen' mit dem Tode des Erscheinenden bei der vorausgesetzten Massenhaftigkeit von Halluzinationen 'wahrscheinlich' sei,

seitens der Forschung eingehend gewürdigt worden ist, daß aber gerade die rechnerische Vergleichung der 'wahrscheinlichen' und der wirklich beobachteten zeitlichen Übereinstimmungen einen ganz außerordentlichen Überschuß der letzteren ergeben hat:

sie sind in der Tat 440mal häufiger, als sie nach bloßer Wahrscheinlichkeit, d. h. ohne Annahme einer ursachlichen Verknüpfung zwischen Todesfall und Erscheinung sein dürften. [4]

Der Tatbestand, den die Arbeitshypothese 'Telepathie' decken soll, gelte uns also als gesichert; der Tatbestand, daß ein Auftreten seelischer Inhalte in einem Bewußtsein abhängig sein kann von denen eines andern Bewußtseins ohne die Beteiligung der normalen sinnlichen Mittel des Verkehrs.

Dies zu wissen, ist nichts Geringes. Aber wie wenig ist es, verglichen mit dem, was eine Theorie zu wissen fordern müßte, - und erst durch eine Theorie ja könnte dieses Wissen gerade für unsern Zusammenhang Bedeutung gewinnen.

Schon die unwillkürlich auftauchende Frage nach einer Verteilung aktiver und passiver Rollen innerhalb des Tatbestandes der Telepathie führt uns über die gegebene Begriffsbestimmung hinaus. Überträgt ein' Agent' den seelischen Inhalt?

Verhält sich ein 'Perzipient' ausschließlich aufnehmend? Oder vermischt sich sein aktives 'Lesen' mit einem aktiven 'Darbieten'? Oder sind alle diese Begriffe dem wirklichen Hergange gegenüber gleich unzulänglich?

Die übliche Theorie der Telepathie nimmt diesen Denkbarkeiten gegen- über sehr schnell Partei: sie setzt einen ausgesprochen aktiven und einen ausgesprochen passiven Beteiligten an.

Sie verallgemeinert also den natürlichen Anschein des telepathischen Experimentes, welches einen willkürlich beschließenden Experimentierenden einer abwartenden Versuchsperson gegenüberstellt.

Und sie tut dies (bewußt oder nicht) im Interesse  eines bestimmten theoretischen Grundbegriffs, dessen Begünstigung es ihr offenbar erst ermöglicht hat, sich so verhältnismäßig leicht mit der Tat-

[1] Lehmann u. Hansen in Philos. Stud. XI H. 4.; Dessoii, aaO. 116.
[2] Sog. number-habit; s. Dessoir, aaO. 116; A. Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt (München 1916) 37ff.; N. Vaschide, Exper. invest. in telep. hall., in The Monist XII (1902) 273ff., 337ff. und Contrib. expér. a l'ét des phén. telép. in BIPI 1902 117ff. (paralleles Denken).
[3] Noch Dessoir, aaO. 118 Anm. 2.
[4] Pr X 247.


Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 370)

sache selber abzufinden. Denn diese Theorie soll vor allem die Einordnung der Tatsachen in das geltende physikalische Weltbild sichern, und danach, indem die Rückführung der übrigen metapsychischen 'Tatsachen' auf Telepathie erstrebt wird, auch diesen den peinlichen Stachel des Unerhörten nehmen.

Welcher Art die physikalisch-physiologischen Begriffe seien, die sie heranzieht, versteht sich der gegebenen Sachlage gegenüber eigentlich von selbst: es kann sich nur um vibratorische Vorgänge handeln, die in dem 'Gehirn' des Agenten oder Teilen desselben entstehen und das Gehirn des Empfängers oder Teile desselben in entsprechende 'Schwingungen' (als Substrat der übermittelten Vorstellungen) versetzen.

Der vibratorische Vorgang der Übermittelung wird dann meist in den Äther verlegt oder irgendeinen 'noch feineren Stoff'. [1]

Crookes, der dieser Annahme das Gewicht seines Namens lieh, sprach sich übrigens vorsichtig dahin aus, daß 'wenigstens einige der telepathischen Beobachtungen' eine solche Deutung zulassen möchten.

Andere redeten kühner von 'geistoder bewußtseinführendem Äther', was aber natürlich nichts anderes besagen konnte als andere Kunstworte auch, wie 'strahlende Nervenkraft', 'Hirnwellen' u. dgl. m. [2] Ochorowicz dachte, freilich unter Betonung des Hypothetischen seiner Annahme, an eine Beeinflussung der elektrischen Strömungen der Atmosphäre, die diese Modifizierung den elektrischen Strömen eines dazu befähigten Gehirns mitteilen sollten.

Insbesondere die neueren Entdeckungen über Strahlungen verschiedener Art haben dann dieser Theorie bedeutend Aufwasser gegeben, und vollends seit Maroonis Erfindung wird in weiten Kreisen die Telepathie als endgültig erklärt betrachtet. Vielleicht hätte man sie 'postuliert', wäre sie nicht schon in der Erfahrung gegeben gewesen.

Dr. H. A. Fotherby machte darauf aufmerksam, daß die (inzwischen wieder abgedankten) N-Strahlen in bezug auf Wellenlänge und Periodizität den elektromagnetischen Strahlen sehr naheständen, die in der drahtlosen Telegraphie Verwendung finden; [3]

daß aber das Gehirn selbst Aussender von N-Strahlen sei, bewiesen bald Versuche an allen Enden Europas, [4] die eine Strahlenaussendung des Zentralorgans entsprechend dem Maße seiner Denkanspannung durch Aufleuchten von Schwefelcalciumschirmen prüften. [5]

Es bedurfte nur der weiteren Annahme, daß gewisse Gehirne aufeinander 'abgestimmt' seien, wie Ausgangs- und Empfangsantennen von Marconi-Apparaten, um den Vorgang der Gedankenübertragung den neugewonnenen Begriffen unterordnen zu können. [6] -

Auch ältere, mehr 'okkultistisch' gerichtete Gedanken verschmähten es nicht, an der neuen Lehre sich modern zu verjüngen. Du Prel vermutete bei der Ver-

[1] W. Crookes vor der Brit. Association; ders. in Pr XII 351f. Schon Mesmers theoretisch ähnlich verwendetes fluide universeI sollte supérieur en subtilité à l'éther sein (bei Ochorowicz 473f.). Unbestimmt ähnlich A. Kardec, Le livre des esprits (Par. 1862) 185.
[2] Force neurique rayonnantej brain-waves.
[3] APS 1906 Dec.
[4] Charpentier, A. Broca, Zimmern, J. Becquerel u. a.
[5] S. neuerdings bes. Kotik 102ff.
[6] Vgl. ferner Despine 222ff.; Cl. Perronet, Du Magnét. animal (Par. 1884) 60f.; A. Fouillée in BIGP IV (1904) 316f.; Dr. H. Haenel in PS XXXIII 683f.; E. Houston in RS L (1892) 59f. {Möglichkeit von absorption sélective des cerveau récepteur)j J. T. Knowles in The Nineteenth Cent., Mai 1899; Tesla in Light, 24. Juni 1893; Barret 42; Ochorowicz 493ff.; Prof. Jacobi, Okkultismus u. mediz. Wissenschaft (1912) 26f. u. a.


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Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 371)

wandtschaft von 'Od' und Elektrizität, daß die Gesetze, nach denen die magnetische Fernwirkung -    eben durch Od - sic h vollziehe, mit denen der elektrischen Induktion bei drahtlosem Telegraphieren übereinstimmten, und sprach von 'odischer Gleichstimmung' zwischen Agent und Perzipient im telepathischen Vorgang. [1]

Doch hielt er dabei teilweise an der unphysikalischen und mehr physiologistischen Annahme fest, daß dieser magnetischen Kraft der odischen Telepathie durch den Willen des Agenten die Richtung angewiesen werden könne.

Mit dieser Annahme wurzelt er in Anschauungen der älteren 'Magnetiseure' über eine im Raume gleichsam u"ansportfähige, vom Willen strahl artig in bestimmter Richtung, etwa auch um Ecken zu lenkende 'Nervenkraft'. [2]

Die Verfechter der einen wie der anderen Form der Theorie berufen sich schließlich auf gewisse angebliche Erfahrungen, die eine 'Leitung' der übertragenen Vorstellungsinhalte durch grob-materielle Körper zu beweisen scheinen und die am Ende mit der einen wie mit der andern in Übereinstimmung zu bringen sein möchten:

steht ja doch neben der allseitigen Verbreitung von 'Wellen' durch den äthererfüllten Raum ihre Leitung durch Drähte, und könnte doch ein grob-materieller Leiter auch einem richtbaren Fluidum den Weg nicht nur weisen, sondern auch ebnen.

Bekannt sind vielleicht in dieser Hinsicht die massenhaften Beobachtungen schon der älteren Magnetiseure, nach denen die Leitung von Vorstellungen und Empfindungen meist durch einen oder mehrere lebende Körper, die sog. Kette, geschehen sollte, ohne daß dabei die Einbeziehung von Drähten, feuchten Schnüren u. dgl. ausgeschlossen war.

Wenn die Somnambule eine Musik nur hörte, während der gleichfalls zuhörende Magnetiseur sie berührte, so sollte sie 'durch seine Ohren' hören, ihre Wahrnehmung also wohl auf Übertragung derjenigen des Magnetiseurs beruhen.[3]

Eckartshausen erzählt sogar, daß wenn er sich mit einer Person durch eine' Kette' verband, er in einer Entfernung von 2 oder 3 Zimmern den Geruch einer Blume empfand, an welcher die andre Person roch, wenn sie sich auf ein Isolierstativ stellte. [4]

Ein bei solchen Versuchen in die Handkette eingeschalteter Lackstock sollte dann die Übertragung sofort unterbrechen, Eisendraht, Stöcke usw. sie aber bestehen lassen. [5] Selbst das Lesen durch eine solche Kette, deren Endhand auf einem Buche lag, wurde behauptet. [6]

Ähnliche Feststellungen wiederholten sich in den neuerdings viel besprochenen Versuchen Dr. Kotiks, der Übertragung von Vorstellungen bei einem 14 jährigen neuropathischen Mädchen zwar auch ohne jede Be-

[1] du Prel in ÜW VI I0ff., bes. 19; vgl. Stud. II 47f. - Spanuths Deutung der Tel. durch Duftstoff-Wellen (I) s. PS XVIII 82. 128ff.; XIX 435.
[2] S. zB. Deleuze, Hist. critique du magnétisme (Par. 1813) 181. Angebliche Beob. (der Somn.) von 'Lichtströmen', 'Lichtschweifen' u. dgl. bei Gedankenübertr. s. Passavant 2. Auf!. 98; ATM III, I 112. 168; Werner 269. üb. angebl. Empfindungen von 'Zug', 'Nachgeben' u. dgl. s. ASP II 332; Werner 279f.
[3] de Lausanne bei du Frei, Magie II 98.
[4] das. II 116 (nach Eckartshausen, Aufschlüsse zur Magie I 189). Ähnliches bei Rochas, Etats 13; Ludlow 323f.; ÜW VII 22. Vgl. die 'odische' Leitung durch Drähte, nach Reichenbach I I95f. (§ 432) und die früher vielfach behauptete 'Übertragung' von 'Gesichten' auf Andere durch Berührung: zB. Görres III 341; Martin 108.
[5] Pététin, bei Gurney Il 345 (auch Podmore, Spir. I 63f.); ähnlich Mesnet in  RH III 262ff.; du PreI, Magie II 99.
[6] Werner 391f.


Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 372)

rührung erzielte, den Ablauf des Versuches aber sehr beschleunigte und vervollkommnete, wenn er Berührung mit der Versuchsperson, und zwar  nicht nur durch die Hand, sondern auch durch einen Kupferdraht hindurch herstellte, während die Verzögerung der Wirkung bei fehlender Berührung ihm zu beweisen schien, daß die Luft zwar auch ein Leiter der 'psychischen Emanation', aber ein schlechter sei. [1]

Als bedeutsamstes Ergebnis aber möchte man ansprechen, daß die Leitbarkeit durch Kupfer sich auch jener Hirnstrahlung gegenüber zu bewähren schien, die Dr. Kotik, gleich andern Forschern, durch das Aufleuchten eines Calciumschirmes glaubte nachweisen zu können.

Begab sich nämlich die Versuchsperson dieser Experimente in ein 'drittes' Zimmer, so daß sie also durch ein dazwischenliegendes und zwei geschlossene Türen von dem Schirm getrennt war, so brachte das 'Denken' der Person gar keine Wirkung auf diesen hervor.

'Zog ich jedoch,' sagt Kotik, 'in diesem Falle durch die Schlüssellöcher beider Türen einen Kupferdraht und hielt die Versuchsperson das eine Ende desselben in den Händen, während ich an das andere den Schirm heranbrachte, so stellte sich zur Zeit, wo die Versuchsperson dachte, auf ihm der gewohnte Effekt ein.' [2]

Gestehen wir um des augenblicklichen Argumentes willen auch diese an sich recht fragwürdige Beobachtung zu, so würde ihre nächstliegende Deutung in dem Begriff der Fortleitung einer Emanation liegen, die sich ohne solche' Kanalisierung' im Raum ausbreiten und eben darum in irgendeinem ,Verhältnis zum Abstand von ihrer Quelle abschwächen würde.

Während diese 'Tatsache' zwischen der physikalischen und der physiologischen Theorie etwa die Mitte hält, konnte sich die letztere insbesondere auf die angebliche Beobachtung berufen, daß selbst 'Striche', die der Magnetiseur über seine Somnambule gemacht hatte, die Stelle der materiellen Leitung vertreten konnten, als wäre soz. dadurch ein unsichtbares 'magnetisches', 'odisches' Band zwischen ihnen geknüpft.

Dies war der vielumstrittene 'Rapport' zwischen beiden, der die Somnambulen auch in der Entfernung instand gesetzt haben soll, die Vorstellungen und Gefühle, Leiden und Freuden ihrer Magnetiseure mitzuerleben, [3] oder auch mehrere Somnambule desselben Magnetiseurs, d. h. Empfängerinnen von Strichen derselben Persönlichkeit. [4] -

Ich will die verwickelte Frage des Wertes dieser alten Beobachtungen nicht anschneiden; wir sind ja heute geneigt, sie für suggestive Kunsterzeugnisse phantastischer vorgefaßter Theorien zu halten; [5] d. h. das Wissen der Versuchsperson um das, was die Theorie

[1] Kotik, bes. 44f. 75 ff. Versuchszeiten werden übrigens durchweg nicht angegeben, und die größere Vollkommenheit der Übertragung mit Draht geht aus den mitgeteilten Ergebnissen keineswegs hervor. (Am ehesten S. 75 ff.; dagegen vgl. Sitzung VII u. VIII mit IX !).
[2] aaO. 113f.
[3] S. zB. Wienholt bei du PreI, Magie II 95ff.
[4] S. zB. du PreI, das. II 112f.; Perty, M. E. I 44. Angebliche Weitergabe des Rapportverhältnisses durch Berührung oder passes: Kluge, bei du PreI, aaO. II 99; Janet, Aut. 283ff.
[5] S. bes. A. Moll, Der Rapport in d. Hypnose (Schriften d. Ges. f. psych. Forschung I 273ff.).


Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 373)

von ihr erwartete, soll unwillkürlich ihre Aufmerksamkeit oder gar ihr Wahrnehmungsvermögen in einer Weise beeinflußt haben, wie sie ja aus dem Suggestionsexperiment seitdem jedem vertraut geworden ist.

Diese Auslegung würdigt zwar wenig die Sorgfalt, mit welcher einzelne ältere Rapportforscher, zB. Pététin, eben diese Suggestion auszuschließen trachteten. Doch mögen die angeblichen Tatsachen hier auf sich beruhen bleiben und unsere Überlegungen sich auf die leichter nachprüfbaren der Vorstellungsleitung durch materielle Zwischenglieder richten.

Auch bezüglich dieser führt geringe Überlegung uns zum Bewußtsein, daß Suggestion-durch-Erwartung genügen könnte, die beobachtete Erleichterung, Beschleunigung und Vervollkommnung der Übertragung zu erklären.

Die Volkstümlichkeit des Gedankens, daß 'Berührung', insonderheit durch 'Drähte', eine 'Leitung' befördere, legt jene Möglichkeit nahe, und es würde in der Tat sehr zahlreicher und sorgfältiger 'differentieller' Versuche bedürfen, um alle hiermit angedeuteten Wirkungen auszuschließen. [1]

Bis diese durchgeführt sind, wollen wir indessen der physikalisch-physiologischen Theorie den 'Vorteil des Zweifels' zugestehen und annehmen, daß wirklich durch die verschiedenen Zwischenglieder der Berührung eine Leitung irgendwelcher Art stattfinde; nur in die weiteren Voraussetzungen dieser Annahme und die Folgerungen aus ihr wollen wir etwas gründlicher einzudringen suchen.

Was wird geleitet? Die Beantwortung dieser Frage führt uns zunächst in allgemeinster Weise auf die funktionellen Erregungen, die wir als Grundlagen oder Begleiterscheinungen der Vorstellungen im Gehirn voraus- setzen.

Die Psychologie nimmt an, daß im Nerv wie in der Nervenzelle chemische Vorgänge des Aufbaues höher-zusammengesetzter und darum leichter-zerfallender (labiIerer) Verbindungen und ihres Zerfalles in einfachere, beständigere sich mehr oder minder die Wage halten; daß der erstere Typ von Vorgängen während der funktionellen Ruhe, der andere während der Tätigkeit der Nervenelemente ungefähr überwiege.

Diese Vorgänge der Aufspeicherung und Ausgabe von Arbeit - oder, wie Wundt es ausdrückt, der positiven und negativen Molekulararbeit [2] - in den Nervenelementen scheinen indessen, soweit sie nach klassischer chemischer Vorstellung in örtlich umgrenzten Umlagerungen von Atomen bestehen, für das Problem der Fernwirkung von Gehirnerregungen keinerlei Fruchtbarkeit zu besitzen.

Dies ändert sich wohl erst, wenn von diesen grobmolaren Vorgängen eine Brücke gefunden wird zu spezifischen Folgeerscheinungen im Sinne jener verschiedenen neueren Anschauungen vom Wesen der Atome, die im Begriff der Radioaktivität gipfeln, auf die sich, wie wir sahen, die physikalischen Theorien der Telepathie denn auch durchweg berufen.

Diese Anschauungen sind zwar, wie heute so vieles in der

[1] Zur Kritik Kotiks s. auch N: v. Peskoff in JPN XII (1908) 272.
[2] Wundt I 60. 74ff. 78. 89ff.


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Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 374)

Physik, noch in flüssigem Zustande, aber in der Auflösung des Atoms in eine Welt von sehr viel kleineren Gebilden stimmen sie überein.

Diese Begriffe von Untereinheiten der zuvor für letzte Einheiten gehaltenen Atome haben nicht nur die Möglichkeit des Zerfalls von Atomen fassen gelehrt, sondern auch eine Brücke geschlagen von den Begriffen der Atomistik zu denen der Lehre vom Äther und zu der von der Radioaktivität, indem gerade diese Untereinheiten sich als Träger der von Atomen ausgehenden Strahlungen darstellen:

das zerfallende Atom schießt gewissermaßen letzte Teilchen seines Gesamtbestandes in den Raum ab. Gelänge es nun, einen gesetzlichen Zusammenhang zu finden zwischen den Vorgängen jener positiven und negativen Molekulararbeit, die man als Grundlagen der psychischen Arbeit des Hirns voraussetzt, und jenem radioaktiven Verhalten der kleinsten Teile der Hirnatome, so möchte der Zugang zu einer Strahlentheorie der Telepathie in der Tat gefunden zu sein scheinen; -

es sei denn, man spreche den molaren Vorgängen im Hirn überhaupt jeden Zusammenhang mit den Bewußtseinsvorgängen ab, erkläre sie zB. für bloße Vorgänge der Ernährung, also der Masse- und Formerhaltung von Elementen, die andern Lebensaufgaben dienen.

Lassen wir aber auch diese denkbare Erschwerung der Theorie hier ganz beiseite, so muß doch erwähnt werden, daß jener wünschenswerte gesetzliche Zusammenhang zwischen molaren und radioaktiven Vorgängen, also zwischen den grob-chemischen Begleiterscheinungen der Vorstellungen und den Zerfallserscheinungen der dabei beteiligten Atome, von Physikern selbst bestritten wird.

Die Vorgänge des Atomzerfalls sollen Gesetzen folgen, die außer Zusammenhang stehen mit den Gesetzen, nach denen An- oder Umordnung zwischen zwei Systemen von Atomen oder MolekeIn erfolgen; [1] gleichwie etwa die Bedingungen, nach denen die Erschütterungen im Schoße einer Familie erfolgen, unabhängig sein können von denen, die das Schicksal des Volkes bestimmen, dem die Familie angehört.

Aus ähnlichen Gründen entziehen sich denn auch die radioaktiven Veränderungen durchaus der experimentellen Beeinflussung, selbst durch die mächtigen Mittel, welche der heutigen wissenschaftlichen Technik zur Verfügung stehen: die äußersten Hitze- und Kältegrade zB., die sich künstlich erzeugen lassen, sind ohne allen Einfluß auf sie. [2]

Setzen wir aber auch hier zum besten der fraglichen Theorie voraus, daß diese Zwischenglieder noch dereinst entdeckt werden, daß sich also die radioaktiven Vorgänge der Hirnerregung, wie wir sie von Charpentier bis Kotik festgestellt sahen, als in gesetzlich-funktionalem Zusammenhang stehend erweisen werden mit den physiologisch-chemischen Vorgängen, die man als Unterlage der Denkvorgänge annimmt; setzen wir also im Sinne jener Theorie voraus, daß während eines Vorstellungsaktes von sämt-

[1] W. C. D. Whetham, The recent devel. of physical science (Lond. 1904 226.
[2] Das. 242.


Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 375)

lichen irgendwie beteiligten Hirnelementen ein jedes die Quelle von Strahlungen wird, die entsprechend den Wandlungen der Erregung in jenen Hirnelementen ihrerseits charakteristische Wandlungen erleiden, sowie daß diese Strahlungen zwar von gewissen Leitern soz. kanalisiert, ihre Wirkungen dadurch beschleunigt

oder verstärkt werden können, daß sie sich aber auch unmittelbar durch den Äther (oder was sonst) in allen Richtungen gleichzeitig in die Ferne fortpflanzen können: - wie wäre unter allen diesen Voraussetzungen die Betätigung dieser Strahlungen im Dienste der Vorstellungsübertragung zu denken?

Dies ist die Frage, an der sich die Theorie endgültig zu erproben hat.

Die Antwort wird wohl mindestens fordern müssen, daß die vom Hirn des 'Agenten' ausgehenden spezifisch gearteten und wechselnden Strahlungen durch den Raum bis zum Hirn des 'Perzipienten' gelangen und in diesem Erregungen setzen, mit welchen Vorstellungen verknüpft sind, die denen des Agenten sinnvoll entsprechen:

Und diese Annahme verträgt sich offenbar gleich gut mit mehr als einer Anschauung über das metaphysische Verhältnis von Hirn und Vorstellung - mit Dualismus, EpiphänomenaIismus, verschiedenen Formen des Parallelismus,. oder der Auffassung der Vorstellung als Erscheinung einer psychischen Energie. [1]

Wir können also verwickelte erkenntnistheoretische Erwägungen beiseite lassen und brauchen Klarheit anzustreben nur bezüglich des vorausgesetzten materiellen Vorgangs. Dr. Kotik scheint sich diesen so zu denken, daß 'psychophysische Atome und Elektronen' in 'bestimmten Kombinationen' und 'in fester Verkettung miteinander das Gehirn des Agenten verlassen und in der gleichen Weise ins Gehirn des Perzipienten eindringen' und somit als Träger bestimmter Vorstellungen auftreten. [2]

Diese Anschauungsweise erscheint mir nicht bloß sehr schwierig, sondern auch nicht ganz eindeutig. Sollen wir eine Einfügung der 'festverketteten' Kombination von Elementen in das Hirn des Empfängers annehmen? Oder die Anregung einer Bildung entsprechender Kombinationen in diesem Hirn aus seinen eigenen Elementen?

Unsere Unwissenheit mag nicht gestatten, den einen oder den an dem Gedanken als unzulässig zu bezeichnen. Und so soll sich bei ihnen beruhigen, wer will. Bezeichnend ist ja auf alle Fälle schon, daß ein Schriftsteller von der Ausführlichkeit des Dr. Kotik nicht einmal die Nötigung zu spüren scheint, seine Theorie bis in diese ausschlaggebenden Verästelungen hinein auszubauen. -

Soviel läßt sich wohl sagen: die geltende Anschauungsweise der Physik neigt nicht zu Bildern dieser Art. Sie dürfte eher gesonnen sein, die physische Fernvermittlung zwischen Hirn

[1] Die letztere Anschauung verwendet Kotik in ganz unklarer Weise, indem er (S. 11) von dem Gesetz der Erhaltung der psychischen (!) Energie spricht, welche die Möglichkeit unmittelb. Gedankenübertragung geradezu fordere; während doch, nach den von K. anerkannten Ostwaldschen Begriffen, die psych. Energie als solche sich gar nicht erhalten kann. (Vgl. W. Ostwald, Vorles. üb. Naturphilos. 2. Aufl. [Lpz. 1902] 377.) Auf ausführl. Darlegung von K.'s Verwirrung verzichte ich mit Rücksicht auf den Raum. (S. bes. 117f.).
[2] aaO. 126f.


Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 376)

und Hirn auf ihrem Wege als 'Schwingungen', als sich fortpflanzende Erregungen eines feinsten Mediums von charakteristischen Formen vor- zustellen, die in den Elementen des empfangenden Hirns Erregungen irgendwelcher Art bewirken, die den physischen Begleitvorgängen der telepathisch übermittelten Vorstellung des Agenten irgendwie 'entsprechen'.

Die Schwierigkeiten, die nun auch dieser Anschauung anhaften, beziehen sich wahrscheinlich weniger auf die Vorgänge des Übertragungsweges, als auf seine Endstationen.

Um diese Schwierigkeiten zu erfassen, mache man sich zunächst klar, daß in dem einzigen unbezweifelbaren Falle physischer Fernübertragung - dem der Telegraphie und Telephonie ohne Draht - beide Endapparate des physikalischen Vorgangs verhältnismäßig einfacher Natur sind, indem sowohl Aussender wie Empfänger auf die Übertragung von Erregungen eingerichtet sind, die immer nur in ganz wenigen Hinsichten ab- wandlungsfähig sind: nämlich bezüglich der Ausmaße und Formen von WeIlenstößen.

Auf diese wenigen Arten der Abwandlung läßt sich eine größere Bereicherung der auf der Empfangsseite erzielten Leistungen offenbar nur dadurch gründen, daß an den Empfänger ein zweckentsprechend vorgebildeter Apparat angeschlossen wird, der die Reize je nach ihrer Artung auf verschiedene Angriffspunkte der Auslösung lenkt. [1]

Es will demnach zB. noch wenig besagen, wenn Prof. Bose (Kalkutta) [2] vermittelst eines durch drei Zimmer geleiteten elektrischen Stromes eine chemische Reaktion, den Fall eines Gewichts, den Schuß aus einer Pistole und das Erglühen eines Drahtes veranlaßt.

Man kann natürlich noch viel weiter gehen und darauf verweisen, daß unsere Zeit bereits mit der drahtlosen Lenkung von Wasser- und Luftfahrzeugen experimentiert; ja es mag nur eine Frage der Zeit sein, daß man auf große Entfernungen ein Klavier zu bearbeiten oder eine Gliederpuppe zu lebensähnlichen Bewegungen zu veranlassen lerne. [3]

In allen diesen Fällen beruht aber die steigende Verwicklung der Leistung auf der steigenden Verwicklung des vorgebildeten und fertig eingestellten mechanischen Apparates; die Übermittlung selbst dagegen bleibt in ihrer verhältnismäßigen mechanischen Einfachheit stecken, abhängig von der Einfachheit des Aussenders und Empfängers.

Eine wirkliche Analogie der drahtlosen Telegraphie auf psychisch-telepathischem Gebiete würde also selbst in dem Falle der Übertragung 'einfacher Vorstellungen' nur dann gegeben sein, wenn wir die physischen Grundlagen solcher einfacher Vorstellungen in entsprechend einfachen

[1] Es ist beinahe ergötzlich, diese Möglichkeit von streng-'wissenschaftlicher' Seite geleugnet und diese Leugnung als Argument gegen die Behauptung von Gedankenübertragung verwendet zu finden. S. Prof. R. Lankester (einen geschworenen Feind alles 'Okkulten') vor der Brit. Association, zit. in APS IV 261 f. - Theosophische Spezialinformationen bezeichnen gelegentlich die allbeliebte Zirbeldrüse (pineal gland) als das materielle Organ der Gedankenübertragung. (A. Besant, Theosophy and the New Psychol. [Lond. 1904] 99.)
[2] worauf Mrs. Besant, op. cit., hinweist.
[3] über Echegarays Telekino s. ÜW XII 313f.


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Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 377)

und begrenzten Elementen des Hirns oder aber in ganz einfachen, einheitlichen Erregungen größerer Teile des Hirns ansetzen dürften. Die erstere Voraussetzung ist ja tatsächlich annähernd verwirklicht gewesen in der ehedem vertretenen Lehre, wonach 'einfache' Vorstellungen in je einer 'Ganglienzelle' gleichsam ihren Sitz haben sollten. [1]

Von dieser in jeder Hinsicht äußerst rohen Theorie der Zellen weisen Niederlegung der Vorstellungen darf man aber wohl sagen, daß sie heute unter klar denkenden Psychologen kaum noch Anhänger hat.

Wir sind uns überdies im reinen darüber, daß selbst sog. einfache Vorstellungen meist schon ein reichlich verwickeltes Geschehen darstellen, das sich innerhalb eines allseitig ausgedehnten Vorstellungskontinuums als dessen beleuchtetes Mittelfeld befindet - ganz abgesonderte Sinneselementarvorstellungen in Zuständen des Monoideismus vielleicht ausgenommen.

Eine Lokalisationstheorie, die diesem Sachverhalt gerecht werden will, muß demnach für jeden nur einigermaßen zusammengesetzten Bewußtseinsinhalt ein verwickeltes System von Hirnerregungen annehmen, das die mannigfaltigsten Sinnes- und Assoziationszentren in wechselnden Ausmaßen in Mitleidenschaft zieht. [2]

Damit werden aber die objektiven Voraussetzungen der physikalischen Theorie der Telepathie schon für einfache Vorstellungen außerordentlich verwickelt. Die Gesamtheit der charakteristischen Schwingungen, welche von den schier zahllosen Hirnelementen ausgehen, die an dem Zustandekommen selbst solcher einfachen Vorstellung beteiligt sind, wächst zu einem unübersehbaren Gemengsel an.

Diese charakteristischen 'Schwingungen' dürften kaum für zwei an dem Vorgang beteiligte Zellen ganz die gleichen sein; die Theorie verlangt aber von uns zu denken, daß das ganze Gemengsel nebeneinander hergehender charakteristischer Schwingungen oder Strahlungen, nach gleichmäßiger Ausbreitung in allen Richtungen des Raums am Gehirn des Perzipienten angelangt,

nun wieder über eine entsprechend große Menge von Nervenelementen sich verteile, und zwar so, daß jeder charakteristische Teilvorgang der gesamten Schwingungsmasse ein Element 'auffinde', welches auf seine charakteristischen Eigenschaften 'anzusprechen' imstande sei, und deren Gesamtheit, wenn erregt, eine Gesamtvorstellung ergebe, die der des Agenten gleich oder doch wesensverwandt sei.

Diese Anforderungen der Theorie erscheinen mir darum so ungeheuerlich, weil sie die außerordentliche Unwahrscheinlichkeit übersehen, daß irgend zwei Gehirne, bei der schlechthin unberechenbaren Zahl persönlicher Variationsmöglichkeiten, hinsichtlich der 'Stimmung' des Gesamthirns oder seiner Elemente so sehr bis in die Einzelheiten gleichartig seien, daß der verwickelte Vorgang der Übertragung auch nur die mindesten Aussichten auf empfänglichen Boden hätte.

Man könnte diesen Schwierigkeiten zu entgehen suchen durch die An-

[1] Als Möglichkeit bei Th. Ziehen, Leitf. d. Physiol. Psychol. 4. Auf!. (Jena 1898) 132.
[2] W. Wtmdt in Deutsche Rundsch. XXV 64.


Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 378)

nahme, daß jedes 'Element' eine große Zahl von charakteristischen Schwingungen auszusenden und dementsprechend auf eine große Zahl verschiedener Strahlungen anzusprechen vermöge; daß die charakteristische 'Note' dieser Schwingungen aber jeweils mit der Eigenart der Vorstellungen zusammenhänge, zu deren physischer Gesamtgrundlage sie gehören.

Diese Annahme würde einer psychophysischen Theorie sich einfügen, nach weIcher den wechselnden Vorstellungen (im umfassendsten Sinne) nicht Erregungen in wechselnden Elementengruppen des Hirns, sondern wechselnde Erregungen in wesentlich den gleichen Elementengruppen entsprächen, wobei allenfalls Vorstellungen bestimmter Sinnesgebiete an die entsprechen- den Sinnesbezirke des Hirns gebunden sein könnten.

In diesem Falle ließe sich annehmen, entweder daß für eine gewisse zusammengesetzte Vorstellung die charakteristische Erregung in dem ganzen erregten Bezirk eine gleichartige sei; oder aber daß sie in verschiedenen Teilen dieses Bezirks eine verschiedene sei.

Die zweite Annahme würde die oben angedeuteten Schwierigkeiten einer vibratorischen Theorie der Telepathie zum Teil erneuern (wenn auch vielleicht in abgeschwächter Form), indem sie zum Gelingen der Übertragung eine variable Gleichgestimmtheit jener unbestimmt vielen Teile eines Bezirks voraussetzen müßte.

Dagegen brauchte die erste Annahme nur zu fordern, daß die charakteristisch- einheitlichen Gesamterregungen der fraglichen Bezirke für den Agenten und Perzipienten gleichartig seien. In dieser Form hätte die physikalische Theorie der Telepathie vielleicht noch die meisten Aussichten, den Anforderungen der Tatsachen zu genügen.

Denn in dieser Form käme sie einigermaßen auf jenes einfachste Schema zurück, das (wie gesagt) die Vergleichung mit dem drahtlosen Telegraphen am ehesten vertrüge. An die Stelle des einfachen Elementes der 'Vorstellungszelle' wäre ein zusammengesetztes Organ getreten; aber bezüglich der einheitlichen Charakteristik ihrer Strahlungen verhielten sie sich übereinstimmend.

Abgesehen nun von dem durchaus hypothetischen Charakter auch dieser psycho-physiologischen Anschauung als solcher, müßte (wie bemerkt) auch sie wieder die Annahme machen, daß in den Gehirnen von Agent und Perzipient die Note der Erregung für inhaltlich gleiche oder verwandte Vorstellungen durchaus die gleiche sei; und dafür möchte, bei der anzunehmenden außerordentlichen Verschiedenheit der individuellen 'Stimmung' menschlicher Nervensysteme, die Wahrscheinlichkeit nicht allzu groß sein. -

Ein möglicher Versuch, diese Schwierigkeiten der vibratorischen Theorie  wenigstens zu vermindern, darf nicht unerwogen bleiben. Er besteht in der Annahme, daß auch in Fällen anscheinender Übertragung von verwickelten Vorstellungsgebilden eine wirkliche Übertragung nur ganz einfacher Inhalte stattfinde, die sich vielleicht in entsprechend einfachen Nervenelementen vertreten denken lassen; während alles, was diesen ein-


Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 379)

fachen übertragenen Kern überschreite, ein Zuwachs sei, der erst auf Seiten des Empfängers assoziativ oder sonstwie zustande komme.

Insofern die Elemente dieses Zuwachses in der Seele des Empfängers bereitliegen, würden Vorgänge dieses Typs in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit haben mit jenen Erfindungen, welche einen verhältnismäßig einfachen physikalischen Kernreiz seinen einzelnen Dimensionen nach innerhalb eines vorgebildeten Mechanismus 'kanalisieren' und dadurch Leistungen von leidlicher Verwickelung erzielen.

Auch scheint ja die soz. nackte, d. h. durch keinerlei 'Zuwachs' verhüllte Übertragung einfacher Bewußtseinsinhalte ein wohl verbürgter Typ der telepathischen Erfahrung zu sein. [1] Und ebenso bietet die Rückführung verwickelterer (anscheinend telepathisch übertragener) Vorstellungen auf verhältnismäßig einfache Übertragungskerne zumeist gar keine Schwierigkeiten.

So kommt bekanntlich zB. erlebtes Unglück, Gefahr oder Tod des Agenten dem Perzipienten häufig als unerklärliche Sorge, Unruhe oder Trauer zum Bewußtsein, verbunden etwa mit der Vorstellung, das nicht abzuschüttteinde Gefühl 'beziehe sich' auf 'einen Verwandten', auf 'jemand unter den Nahestehenden', oder etwa auf diesen oder jenen Bestimmten; [2] oder aber in einem mitunter überwältigenden Drang, den anscheinenden Agenten aufzusuchen, selbst um den Preis einer mühsamen Reise. [3]

In allen solchen Fällen ist es wahrscheinlich, daß das bewußte Erlebnis des Perzipienten die Übersetzung oder Auswirkung eines außerbewußten oder halbbewußten Wissens telepathischer Herkunft sei, welches seinerseits leidlich einfachen Inhalts gedacht werden kann.

Es braucht in den meisten Fällen sicherlich nicht mehr als die Person des Agenten sowie eine Andeutung seiner Gefährdung oder seines Todes zu enthalten, [4] und bei des kann am Ende durch einfache 'Gefühlsnoten' übermittelt gedacht werden: eine Gefühlsnote des Schreckens, der Angst o. dgl., [5] nebst der Gefühlsnote, mit der wir gewohnheitsmäßig auf eine bestimmte Person 'reagieren'.

Ebenso werden wir eine persönlich gefärbte' Aufmachung' eines einfachen Übertragungskernes durch den Empfänger natürlich immer da voraussetzen, wo dessen Erlebnis von offenbar subjektiv-phantastischer Färbung oder Dramatisierung ist, wie sie namentlich telepathisch angeregten Wahrträumen eignet. [6]

Wir werden sie ebenso annehmen, wenn nur der Hauptinhalt einer offenbar telepathisch erlangten Wachvorstellung der fernen Wirklichkeit entspricht, ihre nebensächlichen Inhalte aber nicht jener Wirklichkeit, wohl aber den Erinnerungen und Denkgewohnheiten des Empfängers: wie wenn zB. der Agent in einer Kleidung oder Umgebung 'erscheint', die nicht seiner gegenwärtigen, wohl aber derjenigen entspricht, in welcher ihn der Perzipient zu sehen gewohnt war. [7]

[1] Besonders in der experimentellen Telepathie. Betr. spontaner Tel. s. zB. Gurney I Nr. 17; II 132; Pr X 269; APS IV 19.
[2] S. zB. Gurney I 251. 271ff.; Fechner, Zend-Avesta I. Aufl. III 207f.; Splittgerber, Schlaf 2. Aufl. 243ff.
[3] S. zB. Gumey I 286; II 376f. 397ff.
[4] Deutlich etwa Gurney II 355 (Nr. 376): 'Die Uhr zog mein Auge auf sich [2Uhr 20) und ich sagte zu mir selbst: genau in diesem Augenblick stirbt mein Bruder in Indien.' (Sofort notiert.) Vgl. das. I 243; II 356. 366. 372.
[5] S. zB. den Fall APS I 385 (Ohnmachtsgef. infolge Verwundung).
[6] Mehrere gute Beispiele: Gurney I 362ff.; Pr V 455ff.
[7]  zB. Gurney I 212f.; Pr VI 17f.


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Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 380)

Indessen findet diese Deutungsweise ihre Grenzen offenbar in demselben Maße, als die Erfahrung des Perzipienten zunehmend reichere und doch 'wahre' Vorstellungselemente enthält, die dieser aus seinen Erinnerungen nicht schöpfen konnte.

Myers konnte zB. schon leidlich zu Beginn der wissenschaftlichen Telepathieforschung darauf hinweisen, daß häufig der Agent in einer Kleidung oder mit sonstigen Äußerlichkeiten behaftet erscheine, wie sie ihn im Augenblick des telepathischen Vorganges, nicht aber für gewöhnlich charakterisieren; oder mit symbolischen Zutaten, welche die näheren Umstände seiner Krise bezeichnen

und offenbar mitübertragen sein müssen: wie nasse Kleider eines Ertrunkenen, Wunden, Zittern und bleiche Gesichtsfarbe u. dgl. m.; endlich daß mitunter Gestalten erscheinen, die z. Z. dem Perzipienten völlig unbekannt waren, sich aber nachträglich nach ihrer Beschreibung auf völlig befriedigende Weise identifizieren lassen. [1]

Beispiele für diese wie für weitere Arten der Überschreitung dessen, was der Perzipient selbst zur Ausarbeitung einer Erscheinung des Agenten beitragen könnte, ließen sich leicht in großer Zahl beibringen.

Robert Mackenzie, der an einem Glase für Whisky gehaltenen Aqua fortis gestorben ist und des Selbstmordes verdächtigt wird, erscheint nicht nur im Traume seinem Brotherrn, ehe dieser von dem Vorfall gehört hat, mit der 'unbeschreiblich bläulich-blassen Gesichtsfarbe' und den schweißigen Flecken, die für jene Art der Vergiftung bezeichnend sind,

sondern teilt ihm auch gesprächsweise mit, daß er einer Handlung beschuldigt werde, die er nicht begangen habe, wovon sein Herr in Bälde hören werde: 'ye'll sune ken (you'll soon know)', wiederholt das Phantom 'ganz bestimmt dreimal in eindringlichem Ton'. [2]

Ein Mr. Wilson erscheint der Perzipientin (der späteren Mrs. Belcher) ohne Rock, und sie wird 'besonders überrascht' durch die Beobachtung, daß der Rückteil seiner Weste aus einem sehr glänzenden Stoff gearbeitet ist.

W., dem eine Ader gesprungen war, liegt derweil auf seinem Bette, ohne Rock, in einer Weste mit gerade solchem Rückteil; die Perzipientin aber hatte ihn nie ohne Rock gesehen. [3] Ein Anderer, der infolge Abszesses eine Nacht schwerster Leiden hat, wird gesehen 'in seinem Nachtkleide, den Kopf umwunden mit einem seidenen Sacktuch', das der Perzipient 'deutlich wahrnimmt' und das er später unter einer Anzahl, worin nicht zwei einander glichen, entsprechend seinem Gesichte richtig bezeichnet habe. [4]

Als andere dergleichen veridike, d. i. Wahres mitteilende Einzelheiten einer Erscheinung, die dem Perzipienten bislang unbekannt waren, erwähnen weitere Berichte zB. ein Hausgewand von kariertem bayette, das erst eine Woche vor dem Tode der sterbenden Agentin fertiggestellt worden war; [5]

einen Bart, den der Agent sich erst seit dem letzten Beisammensein mit dem Perzipienten und ohne dessen Wissen hatte wachsen lassen; [6] Narben oder Muttermale, die der Perzipient nie gesehen hatte, etwa weil sie überhaupt nur bei völliger Entkleidung des Agenten zum Vorschein kommen konnten, [7] und was dergleichen mehr ist.  [8]

[1] zB. Gurney I 298ff.
[2] Pr III 95f.; vgl. Gumey I 212f.
[3] Pr X 237.
[4] Gurney II 492f.
[5] Pr X 218.
[6] Podmore, Stud. 287f.
[7] S. zB. Pr X 375; APS II 383.
[8] S. zB. Gumey II 626 (grüne [!]. eben gekaufte Handschuhe im Bilde der Agentin, die sonst nur schwarze trug); das. 91ff. (Nachtkappe, die Ag. eben erst gekauft und wie sie Perz. nie an ihr gesehen); vgl. auch Pr 271f. 299f.; APS IV 219; Gurney II 446 (ein nachts geschrieb. Brief mit der Nachricht einer Geburt wird vom Perz. im Traum 'sehr deutlich gelesen', wobei dieser an derselben Stelle das Blatt 'nicht wenden kann' und von der Anstrengung erwacht, wo der nächtliche Schreiber abbrach).


Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 381)

Solche Einzelheiten der Übertragung gehen nicht nur weit über das Maß von inhaltlicher Einfachheit hinaus, das die fragliche Form der Theorie voraussetzen müßte: sie erregen dem theoretisch Unbefangenen überhaupt schon Zweifel an der ganzen ungelenken und starren Anschauung, die der physikalischen Theorie zugrunde liegt.

Wenn A den B erblickt - und zwar der Wirklichkeit entsprechend - auf einem Sofa liegend, dem Seher den Rücken zukehrend und damit zugleich die Rückseite einer speckig-scheinigen Weste, deren Stoff dem A auf diese Art zum ersten Male sichtbar wird, so sträubt sich das unverkünstelte Urteil, dies Bild, das ja dem B bewußt und unbewußt vermutlich gleich fernliegt, durch 'Hirnstrahlen übertragen' zu denken.

Doch über Bedenken dieser Art wird später mehr zu sagen sein. - Inzwischen will ich noch eine letzte Schwierigkeit streifen, mit der die vibratorische Theorie der Telepathie zu kämpfen hat. Ihre Grundannahmen müßten nämlich erwarten lassen, daß die Vorstellungsübertragung etwa -- gleich anderen im Raume sich ausbreitenden physischen Wirkungen - im umgekehrten Verhältnis zum Quadrat der Entfernung sich erschweren, verringern und schließlich wohl gar aufhören werde.

Vielleicht lassen sich vereinzelte Beobachtungen aufweisen, an die sich eine Hoffnung heften könnte, daß ein solcher Nachweis gelingen werde. In den Versuchen zB. mit einer gewissen Miss L. trat fast völlige Erfolglosigkeit ein, wenn sie und die Agenten sich in verschiedenen Häusern befanden oder durch zwei geschlossene Türen und einen Flur voneinander getrennt waren. [1]

Auch Dr. Kotik fand, freilich bei überhaupt nur geringen Entfernungen, eine Abnahme der Erfolge mit zunehmendem Abstand zwischen den bei den Versuchspersonen. [2] Aber schon diese Ergebnisse lassen sich durch Umstände erklären, die von den angedeuteten physikalischen Grundlagen völlig unabhängig sind;

und man kann es dankbar hinnehmen, daß gerade ein Anhänger der physiologischen Theorie auf solche Umstände "aufmerksam macht, wie zB. den Einfluß der neuartigen Versuchsbedingungen auf die 'Erwartung' eines Erfolges seitens des Agenten oder Perzipienten; oder das langwierige Warten, das der Mangel an Verständigungsmitteln bedingt. [3]

Abgesehen davon indessen scheitert die angedeutete theoretische Hoffnung völlig an denjenigen Fällen, die ein auffallend vollkommenes und rasches Gelingen von Vorstellungsübertragung gerade bei Entfernungen aufweisen, die alle jemals bei telepathischen Versuchen benutzten Abstände soz. unendlich übertreffen.

Beispiele hierfür finden sich vor allem im Bereich der spontanen telepathischen Halluzinationen in größter Fülle. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß in solchen Entfernungen an sich die physikalische Theorie keine Schwierigkeit zu finden brauchte, auch hier sich auf hirnerzeugte Schwingungen zu berufen. Schwierigkeiten

[1] Pr VIII 547 f. Mrs. Sidgwicks u. Miss A. Johnsons Bericht.
[2] Kotik 45.
[3] Podmore, App. 74f.


Kap XXXVII. Theorien der 'Telepathie'.         (S. 382)

macht nur die Tatsache, daß gerade die inhaltlich reichsten und genauesten Übertragungen spontaner Art in der Regel Ferngeschehnisse betreffen, während der mühsame Nahversuch schon bei geringer Abstandsvergrößerung vielfach ins Stocken zu kommen scheint.

Dieser Unterschied, wie auch der weitere, daß die spontanen Fernübertragungen soviel häufiger eine Vorstellung enthalten, die dem Agenten vermutlich überhaupt nicht bewußt war, nämlich die seiner eigenen Persönlichkeit, haben einzelne Kritiker angeregt, für die beiden Arten telepathischer Vorgänge überhaupt verschiedene Deutungen vorzuschlagen; wie denn E. v. Hartmann zB. für die Nahfälle zwar eine physiologisch-physikalische Übermittlung, für die Fernfälle dagegen Verbindung durch das Absolute annahm. [1]

Es ist merkwürdig - und wir wollen es uns merken-, daß schon die Betrachtung der telepathischen Tatsachen für sich zu soz. idealistischen Theorien die Anregung geboten hat, so wenig diese Anregung auch eine zwingende sein mag.

In der Tat bin ich ja nicht der Meinung - und auch der Leser wird wohl den Eindruck nicht haben -, daß die vorstehenden Bedenken einer Widerlegung der physiologisch-physikalischen Theorie der Telepathie gleichkommen; sie machen indessen auf die außerordentlichen Schwierigkeiten aufmerksam, welche dieser Theorie erstehen, wenn man sich nicht (wie meines Wissens alle ihre Verfechter tun) auf unbestimmte Andeutungen beschränkt, sondern die Einzelheiten ihrer Voraussetzungen durchzudenken versucht. [2]

[1] bei Podmore, App. 390.
[2] Jahre nach Abfassung vorsteh. Kapitels finde ich zu meiner Freude verwandte Gedankengänge bei Tischner, Tel. u. HeIls. 99ff.

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