Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap XXXI. Psychologistische Kritik der automatistischen und visionären Offenbarung.             (S. 294)

Ich breche hier mit der Anhäufung von Beispielen ab, die dem Leser eine ungefähre Anschauung jener ersten zwei Gattungen mystischen Erkennens verschaffen sollten: des automatisch in sprachlich-begrifflicher Form erzeugten und - ihm wesensverwandt - des visionär dargebotenen.

Ich habe mich dabei natürlich nicht an 'kanonische' Gesichtspunkte halten können: als seelische Gewebe mit den Augen des Psychologen betrachtet, sind die Offenbarungen des anerkannten Propheten von den Jenseitsträumen des Irren ja schlechterdings nicht zu unterscheiden, und es muß ganz fraglich erscheinen, ob etwa einzelne Gesichte oder Gattungen von solchen, oder aber Elemente innerhalb einzelner Gesichte zu höherer Würde sich absondern lassen.

Eine solche Aussonderung aber könnte natürlich nur in Rücksicht besonderen Ursprungs stattfinden; durch den Ursprung unterscheiden sich für das herkömmliche Urteil z.B.


Kap XXXI. Psychologistische Kritik der automatistischen und visionären Offenbarung.             (S. 295)

HalIuzinationen und Wahrnehmungen: den ersteren wird abgesprochen, was den Wert der letzteren ausmacht: die unmittelbare Beziehung auf Wirklichkeiten.

Dem Mystiker nun gelten seine Gesichte fast ausnahmelos als Wahrnehmungen. Fast ausnahmelos. Denn es soll nicht übersehen werden, daß selbst das Bewußtsein des Mystikers die Unterscheidung objektiv gültiger und ungültiger Gesichte durchaus nicht bestreitet.

Die Gründe seiner Unterscheidungen können freilich für unser Denken nicht ins Gewicht fallen, zumal sie durchweg von der Voraussetzung der jenseitigen Welt an sich ausdrücklich ausgehen. [1] Ja einige seiner Gründe für eine objektive Wertung der Gesichte können heutigem Denken geradezu die Annahme subjektiven Ursprungs befürworten: wie etwa die Tatsache, daß man durch Gesichte oder Auditionen mehr begreife, als unmittelbar in ihnen enthalten sei, [2] daß sie eine ungewöhnliche Gewißheit und Überzeugtheit einflößten, selbst widerstrebenden Tatsachen und eigenen Bedenken gegenüber, [3] oder daß sie sich unmittelbar in sittlich-seelische Wirkungen übertrügen. [4]

Denn alle diese Folgeerscheinungen könnten sehr wohl, ja müßten sogar eintreten, wenn das Gesicht nur ein Symptom, den versinnlichten, zur Halluzination gediehenen Anteil eines umfassenderen Vorgangs in der schöpferischen Tiefe des Außerbewußten darstellte.

Gerade auf diese Vorgänge gründet sich letzten Endes der Subjektivismus, den die herrschende Psychologie natürlich den Ansprüchen des Mystikers entgegensetzt. Ihre - man kann wohl sagen - restlose Ablehnung dieser Ansprüche darf sich einerseits schon auf die ganz offenkundige Unsinnigkeit, ja Ungeheuerlichkeit so vieler Gesichte und Eingebungen berufen.

Soweit sich diese Unsinnigkeit nicht ohne weiteres jedermann aufdrängt, darf die Kritik darauf verweisen, daß dies vermutlich der Gewöhnung gewisser Kulturkreise an bestimmte Vorstellungen zuzuschreiben sei, und dem geschichtlichen Ansehen, das gewisse Lehren und ihre Verkünder nun einmal besitzen.

Dieses Ansehn indessen versagt in anderen Kulturkreisen - gegenüber Andersgläubigen oder Vertretern moderner Wissenschaft -, und darin liegt schon angedeutet, daß selbst soweit die mystischen Erkenntnisse nach kirchlicher Auffassung sinnvoll erscheinen, ihr Erkenntniswert durch ihre Nichtübereinstimmung untereinander zerstört wird.

Endlich aber und vor allem soll die ganze Frage mit der Wurzel beseitigt werden durch den Nachweis, in welcher Weise alle jene Erkenntnisse ganz natürlich im Subjekt entstehen, ohne jede Zuziehung metaphysisch-jenseitiger Annahmen.

Die oberflächlichste, wenn auch in ihren Grenzen zureichende Form dieser Kritik durch Ursprungsnachweis bestände darin, daß man

[1] Vgl. z.B. Lechner 64; Rousselot 165; S. Teresa IV 121; S. Jean II 172.
[2] S. Teresa IV 127. 141ff.
[3] Das. 122f.
[4] Das. 121; S. Jean II 357ff.


Kap XXXI. Psychologistische Kritik der automatistischen und visionären Offenbarung.             (S. 296)

die einzelne Offenbarung aus unmittelbar vorausgehenden Anlässen sich entwickeln läßt. Wir finden unleugbar im mystischen Leben Vorgänge, die an die bekannten Tatsachen der experimentellen Anregung von Träumen und Halluzinationen erinnern. [1]

Oft stellt sich die Vision z.B. als soz. wörtliche Übersetzung-in-die-Anschaulichkeit von soeben gehörten liturgischen oder eben gelesenen oder meditierten Worten dar, wie wenn S. Gertrud beim Texte des Responsoriums Vidi dominum facie ad faciem 'mit einem unbeschreiblich wunderbaren Glanz umleuchtet' wird und 'wie ein Antlitz meinem Antlitz entgegengesetzt' sieht. [2]

Etwas mehr ins Innere führt diese Deutung bei Offenbarungen, deren bloßer Gegenstand und deren Tendenz in allgemeiner Weise durch Fragen oder Wünsche angeregt sind, während sie im übrigen die Sprache der erlernten Theologie oder aber durchsichtige, ad hoc gebildete Symbole benutzen.

Ein Beispiel der ersteren Art ist etwa das Gesicht der Begine Christina v. Stumbelen (geb. 1233), deren quälende Zweifel, ob wirklich Gottes Leib in der Hostie sei, sich auf ihr Gebet hin lösen durch das Gesicht eines Kindes in der Hand des Priesters während der Erhebung. [3] -

Ein Beispiel der zweiten Art liefert uns eins der Subjekte Cahagnets, M. Blouet. Auf die Frage, warum unsere Gebete Gott angenehm seien, wenn wir doch nicht frei sind, sieht er ein Kind auf den Knien eines Mannes, das diesen liebkost, wie es gelehrt worden ist, eine leicht verständliche allegorische Darstellung von Gedanken, die nachweislich im Vorstellungsbereich des Sehers lagen.

Weit tiefer indessen greift die genetisch begründete Kritik der mystischen Offenbarungen, wenn sie im Gewande einer Geschichte der Vorstellungen und Begriffe auftritt. Indem der Mystiker seine Offenbarungen zu Mitteilungen und Wahrnehmungen stempelt, behauptet er ja ihre Ursprünglichkeit und Selbstgenügsamkeit:

wenn nie zuvor gedacht oder geschaut worden wäre, so würden ihm seine Gesichte sich selbst und ihren Gegenstand verbürgen. Diesen Anspruch schiebt die subjektivistische Kritik beiseite, indem sie den Einzelnen in einen geschichtlichen Zusammenhang nicht nur der Offenbarungen, sondern auch 'normalen' [4] Denkens und Lehrens einordnet; dieser Zusammenhang liefere dem einzelnen Propheten oder Seher den Stoff seiner Offenbarungen zum Umguß in die ihm natürliche, als übernormal imponierende Form der Äußerung.

[1] Vgl. hierzu Rieger u. Virchow, Der Hypnotismus (Jena 1884) 23; Dheur, Les halluc. volontaires (Par. 1899); v. Straaten in ZH IX 132ff.; Richer 398; Spitta, Schlaf- u. Traumzustände d. menschl. Seele 123; Ll. Tuckey, Psychotherapeutics 248 (nach Lagrave); Perty, Blicke 55ff.; Abercrombie, II. Aufl. (1841) 380 u. a. - Selbstlenken der Träume: Binet in AP XVI (1910) 492; A. Dumas in Rev. de Paris, 15. Nov. 1909. - Vgl. dazu Ruysbroeck 67; S. Teresa IV 180.
[2] Gertrud I 157. Vgl. Görres II 253f. (Thom. a Villanova); Angela 144 (c. XLI); Dazza 281; Wells 98 (Joseph Main).
[3] Görres I 344.
[4] Cahagnet, Heil. 156f. Wunscherfüllende Gesichte auch bei S. Alphonse Rodriguez 49 (Nr. 34); Arnold III 213b (Christina Poniatowia).


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Kap XXXI. Psychologistische Kritik der automatistischen und visionären Offenbarung.             (S. 297)

Daß die Kritik hiermit Verpflichtungen übernimmt, die sie in aller Strenge nicht immer einhalten kann, ist zuzugeben. Der biographische Nachweis, daß dem einzelnen Propheten der Gesamtinhalt seiner Offenbarungen auf normalen Wegen zugeflossen sei, kann selten vollständig geführt werden, anderseits ist nicht zu bestreiten, daß eine weitaus größere Beweislast der entgegengesetzten Behauptung zufalle, nach der sich in seinen Offenbarungen etwas finde, was ihm auf normalem Wege nicht zugeflossen sei, genau genommen (und dies wird uns später auf eine zweite Form der genetischen Kritik führen):

was auf normalem Wege in ihm nicht hätte entstehen können. Daß aber jener biographische Nachweis wenigstens in jener allgemeinen Form gelungen sei, wie sie gegenüber geschichtlichen Begebenheiten allein gefordert werden kann, wird schwerlich zu bestreiten sein.

Die Geschichte zeigt uns den Mystiker fast immer als Glied einer Gemeinschaft von mehr oder minder reicher Überlieferung der Begriffe und Anschauungen, die den Einzelnen durchwogt, ohne daß er sich stets darüber klare Rechenschaft ablegen könnte.

Diese Überlieferungen bilden den Rohstoff zu unzähligen Offenbarungen. Und das einmal 'inspiriert' Geäußerte oder Geschaute bildet seinerseits den Inhalt neuer Überlieferung, an der sich jedes kommende Geschlecht erbaut und - zu neuen Offenbarungen begeistert. [1]

Die Anregung halluzinatorischer Offenbarungen von außen ist deutlich z.B. in Fällen von epidemisch auftretenden gleichartigen Gesichten, die stets durch eine 'erste' Vision und ihre Beschreibung seitens des Schauenden in Gang gebracht werden. [2] -

Aber auch das Schauen einzelner heiliger oder göttlicher Gestalten seitens des soz. isolierten Mystikers erklärt sich natürlich ohne weiteres, wenn man die Durchtränkung seines ganzen Denk- und Willenslebens mit der Überlieferung von eben jenen Gestalten in Betracht zieht. [3]

Wir vermögen nachgerade schon nur für sehr besondere Einzelzüge der Visionen noch ein Ursprungsinteresse aufzubringen, wie wenn z.B. die franziskanisch beeinflußte hl. Birgitta († 1373) Gesichte zugunsten des Dogmas von der 'unbefleckten' Empfängnis Mariae hat, während ihre dominikanisch gebildete Zeitgenossin, die hl. Katharina von Siena, Offenbarungen im Sinne des 'makulistischen' Mariendogmas dieses Ordens empfängt. [4]

Ich will indessen auf derartige Einzelnachweise an den früher gegebenen Beispielen nicht eingehen, sondern an einem neuen Falle die Aufgaben veranschaulichen, die sich der genetischen Einzelkritik stellen: nämlich an den Gesichten, die zur Begründung der 'Andacht zum Herzen Jesu' durch die Salesianerin Marguerite-Marie Alacoque führten.

[1] s. z.B. Perty, M. E. I 312 über den Zusammenhang zwischen der Bäuerle und der Wenger.
[2] Eine Zusammenstellung epidem. Marien-Vis. bei Kurz, Kirchengesch., 12. Aufl. II, 2 124ff.
[3] Elisabeth v. Schönau 'sieht' z.B. die einzelnen Heiligen an ihren 'Tagen': Preger I 38.
[4] Zöckler 541.


Kap XXXI. Psychologistische Kritik der automatistischen und visionären Offenbarung.             (S. 298)

Tatsachen, die den Vorstellungsgehalt dieser Offenbarungen abzuleiten gestatten, werden uns von dem streng gläubigen Biographen in genügender Fülle geliefert. In der ersten der drei großen Visionen, welche Mgr. Bougaud zählt, sah die Selige das Herz Jesu 'strahlend nach allen Seiten, heller glänzend als die Sonne und durchsichtig wie ein Kristall. Die Wunde, die es am Kreuz empfing, war darauf sichtbar.

Um dieses göttliche Herz schlang sich eine Dornenkrone, und ein Kreuz überragte es.' [1] Eine genau entsprechende Figur war nun aber von S. Françoise de Sales dem Orden der Visitation als Wappen verliehen worden, dem Orden also, dem auch Paray-Ie-Monial angehörte, das Kloster, in welchem Marguerite-Marie lebte. [2]

Abgesehen davon war die Andacht zum Herzen Jesu durch eine ganze Anzahl entsprechender Visionen [3] in der römischen Kirche schon vorher aufgekommen, wie auch die zum Herzen Mariae in manchen Gegenden ihren eigenen Festtag hatte.

Überdies war der Orden der Visitation von seinem Stifter insbesondere zur Verehrung des Herzens Jesu bestimmt worden, er nannte seine Mitglieder geradezu filles du sacré coeur de Jésus und bestimmte ihnen eine tägliche Meditation, in der sie 'mit vollem Vertrauen an der liebenswerten Brust, d.i. in dem liebevollen Herzen des liebenden Erlösers ruhen' sollten. [4]

Bougaud behauptet allerdings, daß gerade in Paray diese Andacht nicht üblich gewesen, in den Annalen des Klosters und den Lebensbeschreibungen seiner Einwohnerinnen soll sich 'kein Wort, keine Zeile, die auf das Herz Jesu Bezug hätte', finden. Auch soll Marguerite-Marie selbst ihre Unbekanntheit mit dieser Andacht vor ihren Offenbarungen behauptet haben. [5]

Zieht man diese Unkenntnis in Frage, so könnte gerade die Vernachlässigung dieser Andacht in Paray den Anreiz zur Ausbildung ihrer Visionen gegeben haben. Jedenfalls hat man nicht den mindesten Grund zur Annahme, daß das Wappenzeichen des Ordens der Ekstatischen unbekannt war, noch auch daß der Gedanke an das Herz Jesu als Gegenstand der Andacht ihr weniger nahe lag, als früheren Seherinnen.

Bezüglich umfassenderer Gesichte will ich als Beispiel einen Typ herausgreifen, der sich dem Leser als solcher aufgedrängt haben wird.

Wenige Arten visionären Erlebens sind von der geschichtlichen Religionswissenschaft unserer Tage so gründlich auf ihre Genealogie untersucht worden, wie die der Seelenreise durch Himmel und Hölle; und wenn auch natürlich nicht in allen Einzelfragen Übereinstimmung herrscht, so steht doch der Psychologe hier vor der Tatsache einer Fortpflanzung von Begriffs- und Anschauungsgut, die sich von den ältesten bekannten Kulturkreisen bis auf die Gegenwart erstreckt.

Gegeben ein beschränkt-astronomisches Weltbild von der Art des babylonischen, [6] gegeben die Vorstellung von der Seele, ihrer Verstrickung im Leibe, ihrer Erlösung als Befreiung vom Leibe, wie sie schon früh z.B. die altpersische Religion entwickelt hatte, so ergab sich leicht die Vorstellung nicht nur einer Abwanderung der im Tode befreiten Seele nach irgendwelchen der himmlischen Örtlichkeiten - Sonne, Mond, Planetensphären oder was sonst - sondern auch die

[1] Bougaud 237.
[2] aaO. 209.
[3] aaO. 201f.
[4] aaO. 215. 217.
[5] aaO. 229.
[6] Zusammengefaßt z.B. bei Anz 87.


Kap XXXI. Psychologistische Kritik der automatistischen und visionären Offenbarung.             (S. 299)

eines gelegentlichen Ausfluges der während des Lebens ekstatisch dem Leibe entwundenen Seele nach jenen Örtlichkeiten. A. Dieterich teilt diese Exkursionen der Seele in 'Reisen' (wobei die Seele bald reitet, bald zu Fuß wandert, schwimmt oder zur See fährt, fliegt oder Brücken benutzt), 'Abstiege', die zu den niederen Orten des Erdinnern, zum Hades, zur Hölle führen, und 'Aufstiege' zu den himmlischen Wohnsitzen der Götter und Seelen. [1]

Ältest-überlieferte Einzelheiten dieser jenseitigen Orte bereits erinnern so sehr an neuere, daß die Annahme der Vererbung und Wanderung von Vorstellungen sich förmlich aufdrängt.

So hat schon der Buddhismus ein ganzes Arsenal z.B. jener abenteuerlichen Höllenstrafen, die tausend Jahre später im Abendlande das Entsetzen der Seher und der Gläubigen waren: Flammen, Sägen, Messer, rotglühende Zangen und Äxte u. dgl. m.

Die Brücke des Gerichts, welche die Verstorbenen überschreiten müssen, um in den Abgrund zu stürzen, falls zu schwere Sündenlast ihre Schultern drückt - diese Brücke bildet ein Verbindungsglied persischer, muhamedanischer und westlicher Visionssymbolik. Das Monstrum mit dem weiten Rachen und die Waage der Gerechtigkeit sind wiederum ägyptischen und christlichen Gesichten gemeinsam. [2]

In griechischem Denken sodann schießt die Vorstellung der Seelenfahrt an allen Enden auf Plato, der selbst in seinen Lehren vom Schicksal der Seele aus weit rückwärts reichenden Quellen schöpft, berichtet von dem Pamphylier Er, Sohn des Armenios, der in einer mehrtägigen Ohnmacht nach der Schlacht die Entlohnung irdischer Taten und Untaten, die Parzen, den Lethestrom u.a. im Jenseits mit eigenen Augen schaute. [3]

Empedotimos von Syrakus erblickte in einer ekstatischen Vision am Himmel u.a. die Tore und drei Wege zu den Göttern und dem Seelenreich und fand den Sitz der Seelen in der Milchstraße. [4] Verwandte Andeutungen ziehen sich dann über Plotin und Porphyrius bis zu allen mystischen Schulen der hellenistischen Zeit, Philo, den Essenern u.a. [5] -

Das stoisch-peripatetische Weltbild vor allem, selbst wieder nicht-griechischem Denken entsprossen, vermittelt die anschaulichen Grundlagen der Lehre vom Seelenaufstieg an die Mysterienkulte dieser religiösen Mischperiode um die Wende unserer Zeitrechnung: [6] über der Erde wölben sich die Luft-, die Ätherregion, feurige Tore führen zur Götterwelt.

Die Mithrasgrotte ist ein Abbild der Welt. Die Lehre vom Aufstieg der Seele durch die sieben Himmel in die Ogdoas (den achten Raum) als Ort der Ruhe und die damit zusammenhängende magische und sakramentale Praxis zur Öffnung der sieben Tore und Gewinnung der sie hütenden Archonten (ähnlich den sieben Planetengöttern) sind die Hauptlehren des Gnostizismus. [7]

Spätjüdische Quellen wiederum berichten von der Himmelfahrt des Henoch zu seinen Lebzeiten, den zwei Engel bis in den siebenten Himmel entrücken, wo er von weitem Gott mit seinen höchsten Engeln sieht und inmitten blendenden Lichtes Offenbarungen namentlich über die Weltschöpfung erhält. [8] Die Himmelfahrt des

[1] Dieterich 180ff.
[2] E. J. Becker, A Contrib. to the compar. study of the medieval visions of heaven and hell... Diss. (Baltimore 1899) 10. 16f.
[3] Rep. X, 13ff. p. 614bff. (ed. Bipont. VII 322).
[4] Quellen bei Rohde II 94ff.
[5] Quellen bei Dieterich 204.
[6] Das. 78ff.
[7] Nach Anz.
[8] 2. Henoch-Buch, Levi V, 2ff., bei Bousset in AR IV 138ff. 141.


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Kap XXXI. Psychologistische Kritik der automatistischen und visionären Offenbarung.             (S. 300)

Levi im Testament der 12 Patriarchen, die Ascensio Jesaiae unter Führung eines Engels sind weitere Beispiele. [1] - Erbin der gesamten antiken Mystik wird endlich das katholische Christentum, [2] innerhalb dessen z.B. Origenes die Seele nach dem Tode allmählich vom (irdischen) Paradiese bis zum eigentlichen Himmelreich des körperlosen Seins und des Anschauens und Erkennens Gottes aufsteigen läßt. [3]

In der mittelalterlichen Glaubenswelt sodann ist die Vererbung ähnlicher Vorstellungen wiederum erweisbar durch zahlreiche durchgehende Einzelheiten.

Auf einem besonderen Gebiete, dem der altenglisch-keltischen Literatur, spinnen sich diese Fäden besonders reichlich: die Vision S. Pauli, die des Tundale, S. Patricks Purgatorium, das Gesicht des Owen im 12. Jahrhundert, dasjenige des Mönches von Eynsham und des Thurcill sind dem Forscher wohlbekannt. In allen ist eine gewisse Übereinstimmung in den Grundanschauungen wie in vielen Einzelheiten zu erkennen.

Das strahlende Licht, die Wohlgerüche, die unverweslichen Blumen und Früchte des Himmels, vor allem aber die Flammen und Qualen der Hölle, darunter solche Einzelheiten, wie das wechselnd tiefe Eintauchen der Sünder in die höllischen Fluten, ihr Aufgehängtwerden an verschiedenen Körperteilen, der brennende See, die schlangenbevölkerte Flut, brennende Bäume, die stinkende Grube, die Brücke, dazu das Motiv des 'Führers' - dies alles sind Züge, die sich immer in mehreren Darstellungen nachweisen lassen. [4]

Manche dieser Einzelheiten sind übrigens zu 'sinnvoll', um nicht erfunden, will sagen: von einer bewußt-spielerischen Phantasie, von einem blutdürstig grübelnden Verstande ersonnen zu sein.

Wenn in der Hölle Vögel die Augen derer aushacken, die sich durch lüsterne Blicke versündigt hatten, oder Verleumdern die Zunge mit Scheren ausgeschnitten wird, wenn falsche Zeugen ihre Zungen nagen und Feuer im Munde halten müssen, [5]

oder Frauen, welche die Erziehung von Waisenkindern verweigert hatten, ihre Brüste unablässig 'von Schlangen trocken saugen lassen müssen', [6] wenn endlich solche Motive in den Händen der Dichter und Bußprediger sich immer mehr verwickeln und steigern, [7] so stellt sich dringend die Frage, wie viele von den berichteten Seelenfahrten denn auch wirklich visionär-ekstatisches Erlebnis, wie viele bloße 'Literatur' gewesen sei.

'Himmelfahrten und Apokalypsen', sagt Reitzenstein, 'sind durch den Hellenismus zur Erbauungsliteratur geworden und werden am Schreibtisch erfunden und umgebildet.' [8] Daß wirklich ekstatische Erlebnisse der Himmel- und Höllenfahrt auch im Altertum nicht gefehlt haben, beweist freilich die eingehend ausgearbeitete ekstatische Praxis, die wir in der Nachbarschaft dieser Lehren und Berichte vorfinden und die mit Fasten, Kopfhaltungen, gemurmelten Liedern, berauschenden Getränken und andern Mitteln arbeitet. [9]

Nur um solche Stichproben kann und braucht es sich für uns zu handeln, auch gegenüber den automatisch erzeugten Offenbarungen. Wo wir auch näher zusehen, überall finden wir den Propheten eingetaucht in den Strom der Überlieferung, verwurzelt durch hundert Fasern mit dem

[1] Vgl. schon Daniel c. 7. 8. 10; Hesek. (1-10); die Apokalypse S. Petri.
[2] Anz 208
[3] De princ. 2, 11, 6 (nach H. Achelis, D. Christentum in d. ersten drei Jahrh. (Lpz.1912) II 185).
[4] Vgl. E. J. Becker, aaO. Anderes bei Perty, M. E. I 134ff.
[5] ApokaI. S. Petri.
[6] Wie in der Vis. Alberics, eines 8jähr. (!) Knaben.
[7] Eine Zusammenstell. Dantesker Vis. z.B. bei Kraus, Dante (Freib. 1897) 428f.
[8] Reitzenstein 58. Selbst bezügl. Thespesios (s. o. 287): A. Dieterich, Nekyia 145ff.
[9] So jüdisch, persisch (Apokal. des Ardâ Vir âf) bei Bousset. aaO. 153. 161.


Kap XXXI. Psychologistische Kritik der automatistischen und visionären Offenbarung.             (S. 301)

Fruchtboden jahrtausendealter Begriffe und Vorstellungen. Um nur zwei der früheren Beispiele unter diesem Gesichtspunkt zu berühren, so scheint z.B. in Lorbeers Fall eine gewisse beschränkte Kenntnis der Werke Boehmes, Swedenborgs, Stillings und Kerners einige Quellen seiner Offenbarungen anzudeuten, und Lohse verrät z. T. die Anregungen seiner Phantasie, indem er angibt, 'mit den Geistern von Francke, Schleiermacher, Baader,' aber auch mit Paulus, ja Christus als 'Kontrollen' geschrieben zu haben.

Auch bezüglich der spiritistischen Klassiker - wohl das massivste Beispiel automatischer Lehrerzeugung - läßt sich der Nachweis eines Stammbaums der Begriffe mit genügender Ausführlichkeit erbringen.

Stainton Moses' Gedanken z.B. erscheinen der geschichtlichen Betrachtung nicht als aus dem Himmel gefallen: zum Teil sind es Vorstellungen, die jede unitarische Kanzel allsonntäglich unter die Menge warf. [1]

Als ergiebigste Quelle der Befruchtung aber rauscht im Hintergrunde immer wieder A.J. Davis' Schriftstellerei auf, dessen Werke ja auch in Deutschland durch viele Auflagen gelaufen sind. In Davis' Fall nun genießen wir den Vorteil, auf das Urteil eines ebenso kundigen wie feindseligen, für alle negativen Instanzen also besonders scharfsichtigen Kritikers uns stützen zu können, nämlich Frank Podmores.

Daß Davis' Vorbildung äußerst gering war, ist freilich nicht zu bezweifeln. Er war ein halbes Dorfkind, Sohn eines Schusters und Webers, der sich im Sommer als Landarbeiter verdingte, schwächlich gebaut und als Knabe keineswegs begabt scheinend, nur bei einem Schuster einige Jahre in der Lehre,

und das zu einer Zeit, [2] in der die Bildungsmöglichkeiten in den Vereinigten Staaten nicht entfernt waren, was sie heute sind: dies alles wiegt schwer bei der Abschätzung einer Vorbildung, die ja großenteils nur vorausgesetzt wird, weil die Erstlingsarbeiten des Mannes bloß dann natürlich zu erklären sind.

Mit 17 Jahren zum erstenmal, dann regel- und erwerbsmäßig als Hellseher und 'hellsehender' Diagnostiker und Ordinator in Trans versetzt, erlebt er 1844 jene von innen erzwungene Wanderung in die Einöde, auf der ihm in einer Ekstase Galenus und Swedenborg erscheinen und die Sendung seines Lebens erteilen.

Im nächsten Jahr beginnt er das über 15 Monate ausgedehnte Transdiktat seines ersten Werkes, [3] der nachmals berühmten 'Prinzipien der Natur', an deren selbständig-hypnotischer Hervorbringung nach dem Zeugnis der Schreiber (Dr. Lyon und Rev. Fishbough) und anderer gelegentlich Anwesender kein Zweifel aufkommen kann.

Das dreiteilige Werk begreift in sich als ein Kompendium mystischer Philosophie, eine Darstellung der natürlichen Entwicklungs- und einen Grundriß sozialistischer Gesellschaftslehre. Die erstere bezeichnet die Welt als ein einheitliches großes Ganzes, eine unermeßliche Maschine von einwohnender Energie, worin das Niedere in Spirallinien zum Höheren vorschreitet und Materie und Geist sich wie das Gröbere und Feinere unterscheiden.

Der Seher vermag sich in der Ekstase zur Welt des wahrhaft Seienden zu erheben und von daher nach durchgehend herrschenden Korrespondenzen (oder Analogien) die Wahrheit aus allgemeinen Grundsätzen abzuleiten. Die Entwicklungslehre stellt dar die Entfaltung des

[1] Podmore Spir. II 285.
[2] Er war 1826 geboren.
[3] Nur einige Vorles. über Hypnotismus (1845) waren ihm vorausgegangen.


Kap XXXI. Psychologistische Kritik der automatistischen und visionären Offenbarung.             (S. 302)

ursprünglichen, undefinierbaren, grenzen- und formlosen einheitlichen Feuerozeans durch allmähliche Differenzierung, erst zu Sonnensystemen, die sich in konzentrischen Kreisen von unermeßlicher Größe um das Große Ewige Zentrum göttlicher Kraft ordnen, dann (durch die Entwicklung der Einzelplaneten) zu organischem Leben und menschlichen Geschlechtern von geistiger Zukunft.

Der Schluß schildert die sechs Sphären der Geisterwelt und die Beziehungen der Menschen zu dieser, und kündigt den nahen Anbruch einer neuen Ordnung dieser Beziehungen an, wie sie auf dem Mars, Jupiter und Saturn bereits bestehe. [1] Dieser Teil besonders enthält in den naturwissenschaftlichen Einzelheiten zahlreiche Angaben von geradezu lächerlicher Sinnlosigkeit.

Sehen wir vom dritten, wirtschaftlichen Teil ab, dessen Gedanken damals in Amerika längst in Aller Munde waren, so sind wir bezüglich der Quellen des Buches allerdings so ziemlich auf Vermutungen angewiesen. Davis selbst behauptet, bis 1845 nur ein Buch, und zwar einen Roman, 'Die drei Spanier', gelesen zu haben. [2] Rev. A.R. Bartlett, der ihn von 1842 bis 1845 vertraut kannte, behauptet, der junge Mann habe Bücher geliebt und sich öfter verschafft. [3]

Davis selbst dagegen will diese Bücher nur für Freunde entliehen und weder Zeit noch Lust zum eigenen Lesen gehabt haben. Jedenfalls scheint aus der Selbstbiographie hervorzugehen, daß es sich dabei nur um theologische Werke gehandelt haben könne. Podmore sieht sich daher genötigt, für den naturwissenschaftlichen Teil die Bekanntschaft mit gewissen populären Schriften jener Zeit eben vorauszusetzen.

Dagegen ist es für die Beurteilung des mystisch-philosophischen Teiles beachtenswert, daß Davis nicht lange vor Beginn des Transdiktates an Prof. Bush einen Brief gerichtet hatte, in welchem er eine Stelle aus Swedenborgs Arcana Coelestia mit genauer Ortsangabe anführte. [4]

Daß dieser Abschnitt größtenteils Swedenborg’sche Gedanken verarbeitet und mehrfach fast seine eigenen Worte wiedergibt, ist auch nach Ansicht Bushs, eines Swedenborgianers und ernsthaften Gelehrten, unverkennbar. Allerdings wird Podmore letzten Endes nur durch die 'übermäßigen Unwahrscheinlichkeiten' des Gegenteils, [5] im Grunde also durch seinen Glauben an die Notwendigkeit einer 'natürlichen' Deutung gezwungen, die Bekanntschaft des 19jährigen Schusters mit Swedenborgs Werken vorauszusetzen, die nicht einwandfrei erwiesen und von Davis selbst bestritten wird.

Daß das umfangreiche Werk selbst unter allen diesen Voraussetzungen ein erstaunliches Erzeugnis des Transdenkens sei, vermag der Kritiker nicht zu verkennen.

Immerhin ist die genealogische Anknüpfung, die uns für diese mystischen Lehren glaubhaft gemacht wird, eine sehr bedeutsame, denn mit der Anschaltung an Swedenborg ist die moderne spiritistische Offenbarung tatsächlich an den fernher geleiteten Strom der mystischen Begriffsgeschichte überhaupt angeschlossen, dürfte ja doch bei dem gelehrten Schweden, der in reiferen Jahren zum Seher wurde, auch ohne ausdrückliche biographische Bezeugung [6] eine gründliche Bekanntschaft mit Vorgängern mystischer Lehre angenommen werden.

Die Kette dieser Vorgänger, in der ein Glied

[1] Nach Podmore, Spir. I 160ff.
[2] A. J. D., The Magic Staff, 13. Aufl. (N. Y. 1876) 186. 304.
[3] Podmore, aaO. 165.
[4] Das.
[5] aaO. 167.
[6] Vgl. J. Görres, E. Sw., seine Vis. u. s. Verhältn. z. Kirche (Straßb. 1827) 89 (Kabbalist. Einflüsse); M. Lamm, Swedenborg (Lpz. 1922) 13 ff.


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Kap XXXI. Psychologistische Kritik der automatistischen und visionären Offenbarung.             (S. 303)

ausdrücklich erkennbar ins andere greift, reißt nun aber nicht wieder ab, bis - über mittelalterliche Gottes-, Himmels- und Weltlehren hinweg - das Spekulationsgebiet des Areopagiten, des Plotin, des göttlichen Lehrers von Athen und darüber hinaus der mannigfachen Lehren Südwestasiens und Nordafrikas erreicht ist, die in dem synkretistischen Zeitalter zu so überaus fruchtbarem Zusammenprall kamen. [1]

Und an jedem Punkte dieses gewaltigen Entwicklungsstromes mystisch-kosmologischer Vorstellungen dürfen wir natürlich das Auftreten automatistisch-inspiratorischer Lehrerzeugung auf Grund von unterbewußtem Keimen in besonders veranlagten Personen erwarten, ohne daß diese Form der Hervorbringung die geringsten besonderen Ansprüche auf Autorität begründete.

Immer ließe sich – so nehmen wir an - als Vorstufe der 'Inspiration' ein 'normales' Schöpfen aus dem Strom der Überlieferung nachweisen.

Wann aber stehen wir an der wirklichen Quelle dieser Begriffe? Den primitiven Menschen schon finden wir im Besitz von Begriffen und Erfahrungen, die ein mystisches Religionswesen wohl ermöglichen: ein Allvater, ein Pantheon unsichtbarer Wesen, eine Seele, vom Leibe trennbar, Schauplätze ihrer Schicksale nach dem Tode, eine allverbreitete magische Kraft, ein Teilhaben an den Fähigkeiten der Höheren, ein Schauen und eine Einverleibung der Götter, Besessenheit durch sie und andere unsichtbare Wesen - dies alles kennt schon der 'Wilde'.

Vorausgesetzt also, es sei die ungeheure Aufgabe gelöst, von jeder vermeintlichen Offenbarung im ganzen Verlaufe mystischer Geschichte nachzuweisen, wann, wie und wo sie normal bewußt als Begriff oder Bild an ihren Empfänger gelangt sei,

und diesen ganzen Verlauf als fortwährende Verkettung normaler Anregungen zu inspiratorischen Leistungen zu erweisen: so ständen wir dort, wo diese genealogische Reihe ins Dunkel der Vorzeit mündet, doch im Grunde der gleichen Problemlage gegenüber, wie angesichts der Offenbarungen eines beliebigen Sehers der Neuzeit.

Dem subjektivistischen Psychologen stehen dann nur mehr zwei Wege zu weiterem Vordringen frei. Der eine führt ihn in die mannigfachen Annahmen - ebenso unwiderlegbar, wie unbeweisbar -, welche die Entstehung religiöser Urbegriffe deuten sollen und mit denen die ersten Kapitel unserer religionsgeschichtlichen Lehrbücher angefüllt sind.

Die letzte Quelle aller mystisch-jenseitigen Lehre läge dann da, wo aus verstorbenen Stammeshäuptlingen, aus eindrucksvollen Naturvorgängen oder aus den Subjekten aktiver Zeitworte Götter gebildet werden, wo aus Traum- oder Spiegelbildern, aus Erwägungen über Schlaf, Ohnmacht und Tod sich 'Seelen' formen, aus Himmelserscheinungen - Seelenräume, aus Höhlen und Schlünden - Höllen, aus Schreckerlebnissen und Krankheiten - Teufel und

[1] Vgl. in dies. Zusammenhang z.B. A. Merx, Ideen u. Grundlin. e. allg. Gesch. d. Mystik (Heidelb. 1893). Üb. Zusammenhänge griech. Denkens mit oriental. s. Zeller, Philos. d. Griechen, 2. Aufl., III, 2 58 ff.


Kap XXXI. Psychologistische Kritik der automatistischen und visionären Offenbarung.             (S. 304)

Dämonen, aus Rachegelüsten - Höllenstrafen, aus Dankgefühlen - Himmelswonnen, und was dergleichen mehr ist. An solchen Überlieferungen nähme der mystisch Veranlagte in der Weise teil, daß er das empfangene Gut in seiner besonderen Weise des Automatischen oder Visionären wieder von sich gäbe.

Dadurch mag er imponieren und dem Glauben der Menge neue Kraft verleihen, aber etwas Neues hätte er nicht hervorgebracht, der Anspruch auf persönliche Offenbarung löst sich in Schein auf.

Der andere Weg zweigt freilich ab, noch ehe jene Urschichten mystischer Genealogie erreicht sind. Er erspart dem Subjektivismus den Zwang, die Ursprungsfrage mystischen Erkenntnisgutes durch immer erneute Nachweise von Vererbung möglichst weit zurückzuschieben, wie - auf einem anderen Gebiete - gewisse Biologen den rätselhaften Ursprung des Lebens zuletzt von Stern zu Stern verschieben, vielmehr gestattet er, entsprechend der rettenden Annahme einer 'Urzeugung', die subjektive Erzeugung des mystischen Lehrgutes zeitlich und räumlich beliebig anzusetzen.

Die Dichtungen über das Jenseits müssen schließlich ihre Dichter haben. Wie wir im strengen Sinne nicht an 'Volksdichtung' glauben, so suchen wir auch hinter der Mythenschöpfung - einer sog. Leistung des 'Volksbewußtseins' - letzten Endes den schöpferischen Einzelnen.

Warum aber sollte dieser nur am Anfang der Entwicklung zu finden sein? Jeder Vergleich mit andern Leistungen des Menschengeistes spräche dagegen. Ist dieser Schöpferische aber noch gegenwärtig unter uns am Werke, warum sollte er nicht gerade da am Werke sein, wo wir die unterbewußte Erzeugung im  Gange finden?

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