Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap XXV. Mystischer Liebesrausch und Geschlechtlichkeit.         (S. 224)

Ich brauche kaum erst zu sagen, welchen Weg uns die letzten Andeutungen weisen. Wir sind auf der Suche nach Tatsachen, die es uns möglich machen, die mystische Gottesliebe ebenso auf geschlechtliche Wurzeln zurückzuführen, wie dies im Falle der profanen Erotomanie und verwandter Erscheinungen durch die Beobachtung gelegentlichen Rückschlagens in organisch-sexuelle Erregungen möglich schien.

Die Andeutungen masochistisch-sadistischen Fühlens dienten diesem Zweck, doch eben nur als Andeutungen. Indem sich nun diese Leidseligkeit des religiösen Liebens als häufiges Teilmoment jener ekstatischen Wonneerlebnisse selbst erweist, die wir als charakteristisch für das mystische Leben kennenlernten, legt sich der Gedanke nahe - ja er ist gerade seitens der


Kap XXV. Mystischer Liebesrausch und Geschlechtlichkeit.         (S. 225)

Psychopathologen meist für selbstverständlich gehalten worden -, daß diese Erfahrungen mit dem sexuellen Wollustkrampf gleichzusetzen seien und damit der bündigste Beweis für die sexuale Natur des religiösen Liebens und zugleich des religiösen Komplexes nach seinem letztgültigen Inhalt überhaupt gegeben sei.

Eine zweite Form des Rückschlagens der theomanischen Liebeserregung ins Nackt-Geschlechtliche wäre dann in jenen 'Versuchungen' zu sehen, denen der gottliebende Ekstatiker, etwa in Form von aufreizenden Visionen, zeitweilig unterworfen ist: an die Stelle heiliger Gesichte schieben sich solche von 'Dämonen';

der Mystiker hört dann, wie S. Alphonso Rodriguez von sich selbst berichtet, ihre 'höllischen Unterhaltungen' voll Gotteslästerungen, er fühlt sich von ihnen 'umarmt, in einer Art, die ihn zur Sünde zu reizen bestimmt ist', wobei ihm 'nur eben die Verweigerung der (inneren) Zustimmung übriggelassen ist'; und nach diesen Versuchungen, die sich durch viele Jahre hinziehen können, ist er von großer Schwäche und furchtbaren Schmerzen geplagt. [1]

Während hier die Deutung nicht zweifelhaft erscheint, erheben sich bei näherer Betrachtung der anscheinend so eindeutigen mystischen Wollusterlebnisse eigenartige Schwierigkeiten. - Von vornherein freilich muß daran erinnert werden, daß auch im Rahmen der profanen Hysterie, über deren sexuale Verwurzelung, zum mindesten in Sachen des Liebeslebens, ein Streit der Meinungen kaum zu gewärtigen ist, tatsächlich zu den mystischen Wonnen ähnliche Erfahrungen beschrieben werden.

Richer z.B. erwähnt eine in der Jugend Hysterische, die zuweilen, indem sie zu sprechen aufhörte, sich von einer göttlichen Liebe entzündet fühlte und den Zauber eingebildeter Küsse schmeckte. [2]

Eine vermutlich ebenfalls Hysterische, die Janet beschreibt, empfand nach eigner Angabe in ihren Ekstasen und kataleptischen Anfällen 'eine innere Freude, die sich durch ihren ganzen Körper ausbreitete, wobei die eingeatmete Luft, der Anblick des Himmels, der Gesang der Vögel sie in unbeschreibliche Wonne versetzte, sie sich wie getragen fühlte und ihr noch nach dem Erwachen Brot und Wasser wie die köstlichsten Speisen schmeckten'; [3] Einzelheiten, die geradezu an die Angaben Bekehrter erinnern.

Eine andere 'unzweifelhaft hysterische' verheiratete Frau, von der Rouby berichtet, konnte ähnliche ekstatische Freuden willkürlich herbeiführen, indem sie die Stille aufsuchte, sich im Lehnstuhl hingoß, den Blick zur Decke verlor und bei gekreuzten Beinen mit langsamer rhythmischer Bewegung die rechte Ferse am untern Ende des linken Schenkels rieb.

In dem dadurch herbeigeführten 'hypnotischen Halbschlaf' empfand sie 'den unendlichen Genuß einer eingebildeten Vereinigung: die Empfindung’, sagte sie, ’die ein Opiumraucher haben müsse'. Die Geräusche im Zimmer erweckten sie dann nicht, doch kam sie nach einer Viertelstunde von selber zu sich.

Daß die Reibung der Beine übrigens hauptsächlich den Zweck der Einschläferung, vielleicht mit gleichzeitiger örtlicher Reizung, verfolgte, scheint dadurch angedeutet, daß derartige Zustände gelegentlich auch gegen

[1] S. Alphonse Rodriguez 28. 31.
[2] Richer 212 (nach Zimmermann).
[3] Une Extatique, in BIPI 1901 (Juli).


Kap XXV. Mystischer Liebesrausch und Geschlechtlichkeit.         (S. 226)

den Willen der Frau, selbst in Gesellschaft, sich einstellten. [1] Jedenfalls liegt es nahe, derartige Fälle in die Nähe der sog. larvierten geistigen Masturbation zu rücken, bei der keinerlei Handgriffe vorgenommen werden, die Betreffenden aber in halb- oder ganz-ekstatische Träumereien mit nachfolgender Erinnerungslosigkeit versinken, deren Inhalt durch kleine Symbolhandlungen sich verrät.

Mitunter sind auch unbewußte oder nur halbbewußte masturbatorische Handlungen vorausgegangen, die zu plötzlicher Übelkeit und Schwäche und zu einer 'süßen' Ohnmacht führen, die den Orgasmus darstellt. [2]

Soweit sich indessen solchen Fällen gegenüber Bedenken erheben, den vollen physiologischen Geschlechtskrampf vorauszusetzen, bleibt noch der Rückgriff auf den Begriff der halluzinatorischen Geschlechtsempfindung.

'Gewisse Personen (vor allem Frauen) von überstarker Einbildungskraft’, sagt Beaunis, ’können sich den körperlichen Genuß der Wollust mit genügender Stärke vorstellen, um die Geschlechtsempfindungen in ihrer ganzen Intensität zu kosten vermittelst eines rein psychischen Aktes und außerhalb aller körperlichen Erregung.' [3]

Auch ist Beaunis nicht der Einzige, der Beispiele hierfür in den Lebensbeschreibungen der Mystiker zu sehen glaubt und damit eine zweite mögliche Deutung - etwas zurückhaltender als die erste - für die mystischen Wonneerlebnisse an die Hand gibt.

Selbst ein Hysteriologe vom Schlage Roubys, der - durchaus willkürlich - gewisse Worte der Marguerite-Marie Alacoque [4] auf die Begattungsstellung deutet, setzt bei ihr schließlich nur genitale Halluzinationen voraus.

Wen diese Annahme gleichwohl fragwürdig oder zu abstrakt dünkt, der könnte noch immer bei der Annahme wirklicher Empfindungen vom typischen Inhalt des Geschlechtsrausches haltmachen, die nur eben ohne die Bewegungsbegleiterscheinungen des Orgasmus und die örtlichen Ausscheidungen ablaufen würden; damit wäre die offenbar unmögliche Gleichsetzung der mystischen Wonneerlebnisse mit den wild-spasmodischen BeischlaferIebnissen der erotisch Delirierenden und Nymphomanischen vermieden. [5]

Das Bild solcher fast ganz auf Empfindung eingeschränkter Geschlechtserlebnisse böte etwa eine Frau, von der Vaschide und Vurpas berichten, daß sie während des Anhörens von Musik [5] gelegentlich den Gesichtsausdruck der Wonne und eine gewisse motorische Unrast zeigte.

'Sie bekannte danach, daß sie während des Zuhörens sehr ähnliche Empfindungen wie die der geschlechtlichen Vereinigung gehabt habe.' Der Unterschied bezog sich vornehmlich auf den örtlichen Zustand der Schamteile, insofern in diesem Falle kein Ausfluß stattgefunden habe. [6]

[1] Vgl. auch den Fall bei Binswanger 322f., der indes sehr an die émotions sublimes der Psvchasthenischen erinnert.
[2] W. Stekel, Über larvierte Onanie, in Sexualprobleme IX (1913) 81ff.; bes. 90. 92.
[3] H. Beaunis, Les sensations internes (Par. 1889) 151f.
[4] Der 'große Gott habe ihr auch in einer weniger ehrfürchtigen Haltung (als der des Knieens oder Auf-dem-Antlitz-liegens) keine Ruhe gelassen...'
[5] Vgl. z.B. das Bild bei Moreau 190f. (nach Pidoux); den Fall von Baillarger in AMP 1845  147; H. Ellis in AAC XXI (1906) 903.  
[6] In AMP (sér. 8) XVIII (1903) 93; dies. in AAC XIX (1904) 370ff.; vgl. v. Schrenck-Notzings Fall bei Ellis, in Alien. and Neurol. XIX 271f.; Mantegazza bei Féré 438; Abraham in JPPF 1910 II 21 (höchst lustvolle Traumzustände eines Masochisten).


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Kap XXV. Mystischer Liebesrausch und Geschlechtlichkeit.         (S. 227)

Vermutet man nun in den Ekstasen der göttlichen Liebe und den 'Feuertaufen des Heiligen Geistes' geschlechtliche Empfindungen dieses beschränkten Charakters, so könnte man sich bestärkt fühlen durch die Beobachtung, daß zwischen den mystischen und den offengeschlechtlichen Genüssen zuweilen ein gewisses Verhältnis gegenseitiger Ablösung zu bestehen scheint.

Obrist Gardiner, dessen mehrfache Erwähnung geschehen ist, hatte seine ersten mystischen Liebesentzückungen kurz nach seiner Bekehrung, die den wüsten Don Juan zum fast geschlechtslosen kleinen Kinde machte.

Und soweit ich der Doddridge’schen Biographie entnehmen kann, dauerten diese inneren Empfindungen der Liebe Gottes etwa sieben Jahre, d.h. gerade die Zeit hindurch, die er nach seiner Bekehrung unverehelicht blieb. Von der Zeit seiner kindergesegneten Ehe erwähnt er nur 'gewohnheitsmäßigen wirklichen Umgang mit Gott', [1] was nicht mehr als ein inniges Gebetsleben zu bedeuten braucht, gegenüber der 'glücklichen Zeit des fühlbaren Umgangs'. [2]

Ein Aufhören der Wonneerlebnisse mit der glücklichen Verheiratung ist möglicherweise auch bei Mrs. H.A. Rogers anzunehmen, und etwas mindestens Analoges vielleicht angedeutet in dem Falle des Joseph Main, dessen religiöse enjoyments in Enttäuschung übergehen, als er sein Herz von Gott abwendet und 'im Fleische sein Glück sucht'. [3]

Der Leser entsinnt sich, daß diese Persönlichkeiten schon angeführt wurden, als ich auf das Erlöschen der Fleischeslust mit dem Eintritt der Gottesliebe hinwies. Es könnte also hier die Mutmaßung entstehen, daß dieser Wandel in einer physiologischen Aus- und Umschaltung gewisser Bestandteile des genießenden Geschlechtsapparates begründet sei, ohne daß dabei die Qualität der genußreichen Empfindungen sich änderte.

Doch ist dies augenscheinlich ein gewagtes Schlußverfahren, und das bezeichnete Verhältnis gegenseitiger Ablösung könnte ebensogut gerade auf Verschiedenartigkeit der Erfahrungen deuten.

Aber auch andere Einzelheiten scheinen eine sexualistische Auffassung des Wonneerlebnisses zu begünstigen, wie etwa die Verurteilung, die diese Genüsse bei scharf beobachtenden Mystikern nicht selten gefunden haben.

So 'entdeckte Gott' der Bourignon, die mit freudigster Genugtuung 'ganze Tage ohne Essen und Trinken in göttlichen Liebkosungen und Wollüsten zugebracht' hatte, daß sie sich 'in solcher Sinnlichkeit nicht verlustigen solle', die dem ewigen Leben aufbehalten sei. Gott sei lauter Geist; das am mindesten Gefühlte sei das Vollkommenste, als worin 'der Teufel keine Macht haben könne'.

Und Mme. Guyon spricht von sensualité spirituelle, welche die Seele in Schwachheit stürze und worin sich die Köder des Satans versteckten. [4]

Dieser Ausdruck - geistliche Sinnlichkeit - erinnert überdies daran, daß die Mystik auch von diesen Liebeserlebnissen im engsten Sinne meist in Ausdrücken

[1] habitual real communion with God.
[2] sensible communion. Doddridge 63. 95. (Vgl. hierzu o. Kap. XXIII S. 207 f.).
[3] Über Mrs. Rogers vgl. o.S.26 Anm. I; über ]. Main s. Wells 100.
[4] Bourignon, Leben 101; Guyon, Vie I, 9 § 4.Vgl. Gichtel, Theos. II 1212; VI 1497.


Kap XXV. Mystischer Liebesrausch und Geschlechtlichkeit.         (S. 228)

des Geschlechtslebens gesprochen hat. Ruysbroeck redet von einer Wollust des Herzens und aller leiblichen Kräfte, so daß es den Menschen dünkt, er werde innerlich umarmt durch göttliches Umfangen der Liebe; und Zinzendorf beschreibt bei der Umarmung der Vergeistigung Gefühle 'in Gliedern, Seele und Gemüte,... und ob's ihnen dabey ist wie dem weibe seyn wird, wenn's ihr mann erkennt'. [1]

Schon die bisher angeführten Gründe für eine sexualistische Deutung der mystischen Wonnen konnten indessen hier und da Bedenken nicht unterdrücken. Es ist nötig, sich nunmehr auch mit diesen etwas ausführlicher zu beschäftigen.

Eine Gleichsetzung mit dem Orgasmus im engeren Sinne verbietet schon die lange Dauer der fraglichen mystischen Erfahrungen: S. Magdalena von Pazzi 'brachte in solchem Überfluß der Liebe oftmals ganze Tage zu'; [2] S. Katharina von Siena konnte zehn Tage hindurch vor Süßigkeit der göttlichen Gegenwart weder essen noch trinken noch ihren üblichen Verrichtungen nachgehen. [3] -

Ein anderes zeitliches Bestimmungsstück gibt nicht minder zu denken: die Seltenheit des Wonnerausches in so vielen mystischen Lebensläufen. Von einer hysterischen Umschaltung des Orgasmus würde man leichte und regelmäßige Wiederkehr in den normalen, wenn nicht gar gekürzten Abständen geschlechtlicher Bedürftigkeit erwarten.

S. Bernhard beklagt die große Seltenheit der Erfahrung: rara hora et parva mora; dulce commercium, sed breve momentum et experimentum rarum. [4] Bromley, ein Freund des namhaften Dr. Pordage, datiert seine Erfahrungen des 'unaussprechlichen Vorschmacks der Hochzeit des Lammes und des seligen Zustandes der Vereinigung mit Gott' nach weit auseinanderliegenden Tagen, z.B. 12. Nov. 1678, 3. Dez. 1698. [5] -

Andere haben anscheinend nicht öfter als einmal in ihrem Leben den Rausch erlebt, meist eben wohl bei ihrer Bekehrung, wie z.B. Finney, der, nebenbei gesagt, mit seiner harten Jugend in der amerikanischen Wildnis der Pioniere, seinem raschen Aufstieg des self-made-man, seinem langen rüstigen und arbeitsreichen Leben soweit als möglich vom Typ der hysterischen Klosterfrau abliegt. -

Auch Kanne, der ein Leben arbeitsamer gelehrter Schriftstellerei in 'durchaus antichristlichem' Sinne hinter sich hatte und überdies seit kurzem als beamteter Professor glücklich verheiratet war, erlebt nur einmal den 'vollen Becher aus der Lebensquelle', den 'himmelsüßen Hauch', der sein Herz durchströmt, darin 'der Herr Jesus zu ihm spricht', wie es 'mit Worten nicht zu sagen ist', nachdem er noch eben 'ganz gelassen, ruhig und besonnen' gewesen: und diese Erfahrung wird ihm der Anfang des 'neuen Lebens', die Besiegelung seiner Erweckung. [6]

Wichtig ist sodann vor allem der schon in manchen der obigen Beispiele ersichtliche Unterschied in der Lokalisierung der ekstatischen

[1] Ruysbroeck 61. Die verräterische Bezeichnung 'Umarmungen Gottes’ auch bei Philippe de la Ste.-Trinité (Poulain 103); Marie de l'Incarn. (das. 108); Marg. Ebner (L. Zoepf, Die Myst. M. E. [1914], bes. 70ff.); Maximes Spirituelles, in Recueil 391.
[2] Dazza 391; vgl. 36 (16 Stunden lang).
[3] Drane I 50; vgl. Ramakrishna 49; Guyon; Opusc. 164 (Torr. I, 4, 16).
[4] Vacandard I 490; In cant., Sermo XXIII c. 15; LXXXV, 13; XXXII, 2.
[5] Corrodi III 395.
[6] Kanne I 289. 294.


Kap XXV. Mystischer Liebesrausch und Geschlechtlichkeit.         (S. 229)

Wonne einerseits und der Geschlechtsempfindungen anderseits. Was der Beichtvater der Begine Blambeck in Wien (1293) behauptet, 'daß an ganzem ihren Leib kein Statt war, sie befand leibliche unaussprechliche Süßigkeit', [1] gilt mit geringen, meist fraglichen Einschränkungen von allen Ekstatikern der Gottesminne.

Mme. Guyon wird 'vom Kopf bis zu den Füßen' von jenem frisson durchzogen, der sie so außer sich bringt, daß ihr Körper schwach wird, der Schweiß ihr Gesicht bedeckt und sie im Übermaß der Wonne – très pure pourtant et spirituelle - sich zurückziehen muß. [2] -

Andere machen genauere Angaben, die aber nicht minder von dem Üblichen der Geschlechtsempfindung abweichen. Elie Marion, der Kamisardenführer, beschreibt die neuen Empfindungen, die ihn eines Tages überkamen, nachdem er mehreren Versammlungen jener Ekstatiker beigewohnt, als 'eine geheime Freude mit einem innerlichen Gefühl der Gnade Gottes, so daß ich zufrieden wie im Himmel war.

Ein gewisses Feuer nahm meine ganze Brust ein und verursachte mir eine Art von Bedrückung, die mir nicht unangenehm war, mir aber tiefe Seufzer abpreßte.' Dies dauerte 'eine gute Viertelstunde'. [3] - Eine aus dem Harris’schen Kreise glaubt die mystischen Empfindungen in 'Armen, Füßen usw.' zu kosten.

'Die Wärme in meiner Brust ist eine entzückende Empfindung, und wenn sie kommt, .so scheint sie zu bewirken, daß ich jedermann in der ganzen Welt liebe.' [4]

Hier ist freilich zu überlegen, daß manche Erfahrungen einen sexuell gewerteten Wollustrausch in jeden beliebigen Teil des Körpers zu verlegen scheinen. Der von Freud analysierte Dr. D.O. Schreber z.B. meinte, 'sein ganzer Körper sei mit Wollustnerven durchsetzt.

Die Seelenwollust, die sich in dieser Anhäufung der Nerven in seinem Körper entwickelt habe, sei so stark, daß es namentlich beim Liegen im Bette nur eines geringen Aufwands von Einbildungskraft bedürfe, um sich ein sinnliches Behagen zu schaffen, das eine ziemlich deutliche Vorahnung von dem weiblichen Geschlechtsgenusse beim Beischlaf gewähre.' [5]

Auch sind Beobachtungen vorhanden, nach denen Wollustgefühle suggestiv an beliebige Körperstellen verlegbar erscheinen. In einem von Tessie beschriebenen Falle hatte die Suggestion bewirkt, daß jede Berührung des rechten Ringfingers wollüstig empfunden wurde. [6]

Daß insonderheit die Muskeln, und zwar die Muskeln jedes Körperteils der Sitz wollüstiger Empfindungen sein können, beweisen die Erfahrungen nicht nur gewisser Massageliebhaber, die dabei ein 'Gefühl der wohltätigen Ermattung, welches der sexuellen Befriedigung

[1] Görres II 242f.
[2] Vie II 38 (II,4,7). Vgl. A. Coe in PR VI 495 (thrill through the whole body); Heiler 255 (der 'betrachtende Bettelmönch'; 'Kein Winkelchen von der Freude und dem Glück unberührt'); das. 244 (Imit. III, 5. 6 und Bonaventura; medulla et viscera animae meae); Preger II 60 ('jeglich Glied ist Gottes voll').
[3] Misson 65 bis (die S. 65-72 wiederholen sich); vgl: Leuret 344ff. ('am stärksten in der Brust u. im Magen'); Janet, Névr. I 99 ('unausprechl. Süßigkeit' auf den Lippen).
[4] Respiro 61. 62.
[5] 'Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken', in JPPF III 30. Vgl. etwa auch die Gefühle 'magnetischer' Durchströmung des Körpers bei abnorm starker Wollust z.B. belasteter Homosexueller, nach Krafft-Ebing bei Eulenburg, Sex. Neuropathie 131.
[6] Bei Moll 107.


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Kap XXV. Mystischer Liebesrausch und Geschlechtlichkeit.         (S. 230)

äußerst ähnlich ist', erleben wollen, [1] sondern auch Hypnotisierter, bei denen die Erschlaffung der Muskeln gelegentlich bis zu 'wunderbar wonnigem Lustgefühl' sich steigern soll. [2] 'Ich erinnere mich nicht,' schreibt Dr. Marcinowski, 'jemals ein solch rauschartiges Empfinden gehabt zu haben, außer bei sexuellen Erregungen’. Wird doch der Orgasmus selbst heute vielfach auf den beteiligten Muskelkrampf zurückgeführt. [3]

Immerhin führen uns, wie mir scheint, auch diese Angaben nicht über die Feststellung im Körper lokalisierter Rauschempfindungen hinaus, die einen gewissen Vergleich mit den sexuellen herausfordern, ohne damit ihre Identität mit diesen zu erweisen.

Die Mystiker scheinen sich sogar durchweg eines deutlichen Unterschieds bewußt zu sein zwischen Entzückungen, die sie sehr 'ins Innere' verlegen - 'ins Mark des Herzens', wie S. Bernhard sagt [4] -, und deren erst nachträglichem Sichergießen 'durch alle Gemächer und Vermögen der Seele, bis es sich auch über den Leib ausbreitet.' [5]

Erst in diesem offenen Übergehen 'in den Leib' erblicken sie etwas Bedenkliches und eine Beimischung von 'Schwäche und einiger Verderbtheit der Sinnlichkeit' bei göttlichen Mitteilungen 'nicht rein geistiger Natur' in unvollkommenen Seelen. [6] Wir werden diese erfahrungsmäßigen Unterschiede wohl im Auge behalten müssen, wenn wir unser Urteil nicht fehlgehn lassen wollen.

Zu diesen Bedenken geseIlt sich die Beobachtung, daß mystische Wonneerlebnisse zuweilen in ein Lebensalter fallen, in welchem die Ansprechfähigkeit für geschlechtliche Erregungen zum mindesten zweifelhaft sein darf.

Eine im höheren Alter typisch Bekehrte, die nie im Leben die mindesten hysterischen Symptome dargeboten, Mutter mehrerer Kinder, schreibt ihrer Tochter drei Monate vor ihrem 68. Geburtstage u.a.:

'Vor der zweiten Versammlung (welche Miss Patrick hier hielt, die durch Handauflegen die Geistestaufe mitteilte) bat ich Gott um Nüchternheit; ich wollte durchaus in Geist und Wahrheit, ohne seelische Erregungen, dem Heiligen begegnen.

Als die Schwester mir die Hände auflegte, war ich auch ruhig und nüchtern, aber im nächsten Augenblick wurde über mich ein Strom ausgegossen, der meinen ganzen Körper durchflutete, so daß ich zurückprallte, die Hände erhob und in unaussprechlicher Wonne Gott laut preisen mußte; zugleich empfand ich eine Liebe, wie ich sie nie zuvor empfunden. . .' Auch dies war eine einzige Erfahrung. [7]

Endlich soll nicht übersehen werden, daß Personen, die sowohl geschlechtliche Wollust als auch die ekstatischen Wonnen aus eigener Erfahrung kennen, eine qualitative Verschiedenheit beider sehr entschieden behaupten.

[1] Zeugnis e. Spezialarztes bei Sadger, in JPPF III 528.
[2] Dr. Marcinowski in ZH IX 21; vgl. Leuba in RPh 1902 467 über Wollust bei Muskelreckungen.
[3] Sadger, aaO.539.
[4] In cant., Sermo XXXI c. 3; vgl. S. Teresa V 114: 'Mark der Seele'; IV 58: 'zu allerinnerst in uns'; Mauroy 72: 'au coeur un brazier'.
[5] S. Ter., aaO.
[6] S. Jean III 329 (N.O. II, 1) vgl. Ruysbroeck 72; Joly 173.
[7] Eigene Beob. - Die M. Ebner anscheinend noch im 70. Jahre (Preger II 271).


Kap XXV. Mystischer Liebesrausch und Geschlechtlichkeit.         (S. 231)

Abenarabi beschreibt die genußreiche Halbekstase des typischen Mystikers - die Mattigkeit und süße Müdigkeit durch die Macht des Genusses -, wie er sie selber stunden- und tagelang erfahren.

'Die Süßigkeit,' sagt er, 'die vom Hirn in das Geschmacksorgan herabsteigt, dann aber augenscheinlich auch den Körper ergreift, kann mit keinem der Sinnesgenüsse verglichen werden, weil sie etwas ganz Besonderes, Ideales, ohne materielles und sinnfälliges Objekt ist.

Deswegen vergleicht sie sich weder der Süßigkeit des Honigs, noch dem Genuß der geschlechtlichen Vereinigung, noch einem anderen Vergnügen der Sinne... Sie ist etwas Erhabeneres als alle diese... und unvergleichlich viel heftiger.' [1] -

In einem Falle eigener Beobachtung hatte eine empfindsame, überschwängliche, unbefriedigte und vielfach leidende Frau von ausgesprochener Religiosität (verheiratet und Mutter) gelegentlich einer Trauerfeier eine Vision Jesu und gleichzeitig die ihr bis dahin fremde und später nie wiederholte Erfahrung eines stärksten Wonneempfindens, 'eine überströmende Seligkeit,' wie sie schreibt, 'das tatsächliche reale Gefühl einer himmlischen Wonne und Freude, eine in der Tat überirdische Empfindung, ein realer Vorgeschmack des Paradieses'.

Nachdem ich das Vertrauen der Schreiberin gewonnen, erhielt ich auf klare, eingehende und dringende Fragen die offene und bestimmte Antwort: daß sie im ehelichen Umgang Wollust 'völlig und intensiv' kennengelernt habe; daß sie von dem vollsten Liebesglück der Vereinigung als etwas 'Realem' einen zureichenden Begriff habe, daß dies alles aber ein 'fahler Schatten blieb gegenüber einer Seligkeit,

(wie sie) mir in jenem kurzen Augenblick geoffenbart wurde, kaum noch in Betracht kommend', daß diese Seligkeit zudem von der ehelichen Wollust 'qualitativ gänzlich verschieden und keineswegs überhaupt vergleichbar' gewesen sei; eine 'absolut verschiedene Empfindung, nicht der leiseste Zusammenhang, herausgehoben hoch über alles, was irdisch heißt, nie, niemals in meinem Leben etwas auch nur annähernd Ähnliches'.

Diese Aussagen mögen nicht über jeden Zweifel hinausgehoben sein. Aber es kann ihre Glaubhaftigkeit immerhin stärken, daß auch die Wonnezustände des narkotischen Rausches als qualitativ verschieden von den geschlechtlichen bezeichnet worden sind.

Selbst wenn Dr. Blumröder den Zustand unter Stickstoffoxydul als 'ein Gefühl süßer Angst, wie kurz vor dem Samenerguß', bezeichnet, so widerspricht das der Annahme qualitativer Verschiedenheit nicht. [2]

Auch Cécile Vé beschrieb die Annäherung ihrer Ekstasen in Ausdrücken, die an die Annäherung des Geschlechtsgenusses erinnern; und doch durfte ein so feiner Analytiker wie Flournoy betonen, daß der 'fleischliche Symbolismus der Mystiker' der ekstatischen Erfahrung selbst und auf ihrem Höhepunkt keineswegs entspreche. [3]

Davy, dessen Versuche mit Lachgas noch heute die berühmtesten sind, beschrieb 'äußerst lustbetonte Schauer' [4] besonders in der Brust und den Gliedmaßen, gelegentlich in den Lippen und Wangen beginnend und sich dann über den ganzen Körper ausbreitend, bis sie 'so intensiv und rein wurden, daß sie das Bewußtsein auslöschten'; [5] und diese Empfindungen bezeichnet der vorzügliche Beobachter ausdrücklich als keinen andern vergleichbar und folglich unbeschreibbar. [6]

[1] Asin 227.
[2] 'Über Einschlafen. . .', in Mag. f.d. physiol., medic. u. gerichtl. Seelenkunde 1829 107.
[3] Flournoy, M.M. 82. 192. Vgl. o.S. 210f.
[4] highly pleasurable thrilling.
[5] absorb existence.
[6] Davy 458. 461. 492. 495. 520. Vgl. die Aussagen von Tobin, Kinglake, Thomson u. Wansey das. 499. 503. 513. 526; den Fall bei Boismont 330ff.; die Aussage Th. Gautiers bei Cahagnet, Heil. 307; Fr. Fischer, Der Somnambulismus I 168 ('eine Art wollüstiger Vernichtung' unter Opium). - Üb. narkot. Unlusterfahrungen s. Davy 479. 493. 502. 511; Ludlow 45. 145.


Kap XXV. Mystischer Liebesrausch und Geschlechtlichkeit.         (S. 232)

Die Angaben der Mystiker über qualitative Verschiedenheit sollten also nicht unterschätzt werden. Zwar darf dem Religiös-Überschwänglichen durchaus nicht ohne weiteres die Fähigkeit zu psychologisch genauer Beobachtung zugeschrieben werden, und in diesem besonderen Falle mag sein Vorurteil gegen das Geschlechtliche sogar sein Urteil täuschen. Um so beachtenswerter ist, daß seine Meinung gerade hier die Unterstützung unverdächtiger medizinischer Beobachter findet.

Max Nordaus Annahme z.B., daß 'jede heftige und übermäßige Tätigkeit von Nervenzellen, jede außerordentliche, explosionsartige Zersetzung von Nervennährstoffen' von Gefühlen 'höchster Wonne, mit Schmerz gemischt', begleitet sein könne, wie sie sich mit der Ekstase verbinden, würde, falls erhärtet, den Behauptungen der Mystiker beträchtlichen Spielraum schaffen.

Denn diese spasmodische Wollusterregung wird ausdrücklich, zum mindesten im entarteten Gehirn, einem jeden, und nicht nur den sexuellen 'Zentren' zugestanden; ja die Vermutung wird hinzugefügt, daß diese Zentren erregbarer sein möchten als die Rückenmarkszentren der Sexualität, und die Wonneempfindungen ihrer explosiven Tätigkeit daher noch mächtiger als die des Geschlechtsrausches, so daß den großen Ekstatikern wohl zu glauben sei, daß ihre ekstatischen Wonnen 'mit nichts Irdischem zu vergleichen und dem Sterblichen fast unerträglich' seien. [1] -

Hier wird über M. Hirschfelds Vermutung also noch hinausgegangen, daß der eigentliche Orgasmus, die zentrale Lust, durch eine gleichzeitig mit der genitalen Sekretausscheidung sich über die Hirnzellen ergießenden Rauschsubstanz bewirkt werde. [2]

Denn der vorausgesetzte zentrale Vorgang soll gar kein der sexuellen Erregung besonders angehöriger sein, er dürfe ausschließlich dem Substrat 'rein geistiger' Vorgänge - der Erregung religiöser Vorstellungen - zugeschrieben werden.

Nordau scheut sich denn auch nicht vor der Schlußfolgerung: nur der Umstand, daß die einzige uns bekannte normale Empfindung, die derjenigen der Ekstase ähnele, eben die Wollustempfindung sei, erkläre es, 'daß die Ekstatiker durch Ideenassoziation Vorstellungen der Liebe mit ihren ekstatischen Vorstellungen verbinden und die Ekstase selbst als eine Art überirdischen Liebesakt deuten', eine bloße Folge ihrer religiösen Erziehung, die sie alles Unerklärliche als Übernatürliches ansehn und mit den Vorstellungen der Glaubenslehren in Zusammenhang bringen lasse.

Wem Nordau, der Arzt, als Psychologe oder Physiologe zu geringe Autorität hat, der mag an die größere Maudsleys verwiesen werden. Auch für diesen Materialisten ist die fragliche mystische Erfahrung 'keine bestimmte und scharf begrenzte, .. nicht einem Sinnesgebiet angehörig, sondern ein vages, diffuses, unbestimmtes Ineinander aller angenehmen Empfindungen in äußerster Verfeinerung und Sublimierung; nicht einfache und besondere Sinnenlust, sondern eine Art höchster und zusammengesetzter Sinnenwonnen'. [3]


[1] M. Nordau, Entartung, 3. Aufl. (Berl. 1896) I 116ff.
[2] Hirschfeld 197f.
[3] sense-delight. - H. Maudsley, Natural causes and supernatural seemings, 3. Aufl. (Lond. 1897) 252.


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Kap XXV. Mystischer Liebesrausch und Geschlechtlichkeit.         (S. 233)

Eine vorsichtige Zusammenfassung des Gesagten würde die fraglichen Erlebnisse als äußerst lustbetonte Empfindungen von geringerer oder größerer Ausbreitung im Körper, aber schwer bestimmbarer Lokalisierung und eigenartiger, nicht durchaus sexualer Qualität bezeichnen, welche sich - und dies ist eine weitere Feststellung von Belang für uns - vorzugsweise verknüpfen mit Zuständen der Ich-Schwächung und der Steigerung des verinnerlichten, traumhaften, weltentrückten, visionären, mit einem Wort: des unter- und außerbewußten Seelenlebens.

Ein großer Teil der obigen Beispiele verdeutlicht diese natürliche Verwandtschaft zwischen Wonneerlebnis und Ekstase, mindestens Halbekstase, und die früheren Schilderungen religiöser Erlebnisse ähnlicher Art ließen fast durchweg die Steigerung der Wonneerfahrung mit der zunehmenden Ich-Auslöschung zusammenfallen.

Theophile Gautier, der ein typisches diffuses Wonneerlebnis aus eigener Erfahrung beschreibt, nennt sich derweil 'so abwesend von mir selbst, so sehr des Ich entledigt, .. daß ich zum erstenmal begriff, welcher Art das Dasein der Elementargeister, der Engel und der vom Leibe getrennten Seele sein möchte'. [1]

Und die buddhistische Erfahrung läßt auf einer gewissen Stufe der Meditation (der 'zweiten') als solcher den Körper von 'seligem Behagen', auf der dritten von 'Seligkeit, die über Freude erhaben ist', durchdrungen sein. [2]

Dies ist nun freilich, was man erwarten sollte, indem ja jedes Anwachsen eines Bewußtseinsinhaltes das Schwinden des apperzeptiven Hintergrundes - der erfahrungsmäßigen Ichbeziehung - mit sich führt: der reine Geschlechtsrausch selbst ist in diesem lockern Wortgebrauch eine Ekstase.

Aber diese Feststellung ist doch nur einseitig: denn gerade von der im strengem Sinn ekstatischen, hypnoiden Einstellung darf man sagen, daß sie, wenn auch nicht als solche den Wonnerausch mit sich führt, so doch ihn augenscheinlich in hohem Grade begünstigt und auf geringe Reize hin eintreten läßt, Reize, die in der Tat nicht immer auch nur auffindbar sind.

Wenigstens hören wir in vielen Fällen nichts von besonderen Anlässen dieser Wonnezustände, außer eben der Auslöschung des Wachbewußtseins.

Bei Davy kehrten die Wonnegefühle der Narkose unerwartet vor dem Einschlafen wieder - zwischen Wachen und Schlafen. [3] Esdaile, der bekanntlich als einer der ersten die Hypnose zur schmerzlosen Ausführung chirurgischer Operationen anwandte, bezeichnete ein glückseliges Stadium als 'ersten' Zustand der Mesmerisierten (auf welchen ein deprimiertes und dann das Koma folgen sollte) und behauptete das gelegentliche Vorkommen 'ekstatischer Freuden' bei Patienten, die sich in rein psychisch herbeigeführter Betäubung operieren ließen. [4] -

Auch die Somnambulen der klassischen Zeit berichteten von einem angeblich 'tieferen' Stadium ihrer abnormen Bewußtseinszustände, das solche Rauschempfindungen mit sich geführt

[1] Vgl. o. 231 Anm. 6; auch bei Ribet III 633f.
[2] Beckh II 45.
[3] Davy 492.
[4] Esdaile 104.


Kap XXV. Mystischer Liebesrausch und Geschlechtlichkeit.         (S. 234)

zu haben scheint und das sie gelegentlich geradezu als 'Wonneschlaf' bezeichneten. 'Jetzt kann ich', sagte die Petersen in einem solchen, 'vor lauter Wonne an nichts mehr denken.' [1] - Fitzgibbon, ein Beobachter jener Zeit (1785), beschreibt denselben 'ekstatischen Zustand der Wonne' in einem Briefe an Puységur und gibt eine Viertelstunde oder 20 Minuten als Höchstdauer an.

Die Augen seien dabei weit offen, der Körper leidlich steif, die Atmung ein wenig behindert, als ersticke man soz. vor Wonne. In 3-4 Minuten habe er diesen Zustand stets erzielt. [2]

Nun mögen ja in all diesen Fällen irgendwelche besondere auslösende Ursachen des Rausches vorausgesetzt werden. Die klassischen Somnambulen z.B. dürften zumeist schwer hysterisch gewesen sein, und man mag annehmen, daß ihre 'zweiten' und 'dritten' Zustände von vornherein mit Vorstellungen ausgestattet waren, denen sich wollüstige oder ekstatische Gefühlstöne leicht zuordneten.

In dem Fall der Witwe Petersen könnte man in der Tat einen Zusammenhang mit dem verstorbenen Gatten zu erkennen meinen, den sie sich 'winken' sah. Die hochtönenden Andeutungen der alten gläubigen Magnetiseure über einen 'verklärten, namenlosen' Gesichtsausdruck, über das 'gewaltsame Ringen des inneren Lebens, welches bei der stets wachsenden Wonne einem wahren Todeskampf glich', und über die weit aufgerissenen glänzenden Augen [3] könnte den modernen Pathologen am Ende zu sehr viel nüchterneren Deutungen versuchen.

Es sei daran erinnert, daß überhaupt geschlechtliche Bezüge der Hypnose neuerdings vielfach hervorgehoben worden sind, ja daß die Freud’sche Schule bis zur Behauptung fortgeschritten ist, das hypnotische Subjekt sei immer innerlich erotisch an seinen Hypnotiseur gebunden.

Die berühmte Hélène Smith erlebte eine 'Glückseligkeit und ekstatisches Wohlsein', einen calme délicieux und eine 'tiefe Seligkeit' während der visionären Halbsomnambulismen, in denen ihr der romanhafte orientalische Scheichvater oder Astane, ihr Marsfreund aus einer früheren Inkarnation, erschien. [4] -

Auch im Falle von Janets Vk könnte man eine Durchdringung der augenscheinlich religiösen Vorstellungen mit sexuellen vermuten. Diese hat eine 'köstliche Wollust' (volupté suave) empfunden, 'die sich überallhin verbreitet und mich gleichsam in einer Atmosphäre der Wonnen schwimmen läßt', während sie in der Ekstase das Sakrament in einem strahlenden Lichte gesehen. '

Eine innere Stimme hat mir zu verstehen gegeben, das ich infolge der Kommunion Jesus in mir trüge wie eine lebende Monstranz.' Freilich hat sie auch, fügt ihr Arzt hinzu, während der Ekstase 'eine lange Meditation über die Vereinigung der Seele mit Gott angestellt, die nicht ohne philosophischen und poetischen Wert ist'. [5]

Immerhin sollte m. E. der angedeutete Gesichtspunkt nicht übertrieben werden. Wo sich Vorstellungen als Reizursache der Wonne nachweisen

[1] ATM X I. St. 107.
[2] Bei Rochas, États 34; vgl. das. 14; Reichenbach II 591f. und den fast tot erscheinenden, erkaltenden und röchelnden Hypnotisierten Filazzis, der von sensations of extreme delight berichtet, bei Buchanan I 187.
[3] ATM X I. 5t. 133.
[4] Flournoy, Des Indes 51f. 173. Vgl. auch die Selbstbeob. Blouets bei Cahagnet, (Heil.) 153.
[5] Janet, Névr. I 99; vgl. Davenport 255f. (nach Dr. Buckley).


Kap XXV. Mystischer Liebesrausch und Geschlechtlichkeit.         (S. 235)

lassen, sind sie meist allgemein-beglückender, [1] nicht selten 'religiöser' Natur, und würden sich, als Symbolismen, auf eine geschlechtliche Grundlage nur auf dem Umwege einer Theorie zurückführen lassen, die doch erst zu beweisen wäre und deren Einseitigkeit uns mehr und mehr zum Bewußtsein kommen wird.

Jung-Stilling z.B. erlebt 'eine Wonne, die mit Worten nicht beschrieben werden kann, ein Gefühl, gegen welches alle sinnlichen Vergnügen für nichts zu achten sind, in dem Zustande zwischen Schlafen und Wachen', während sich seinem inneren Sinne 'überirdisch schöne, gleichsam paradiesische Landschaftsansichten' darstellen, die mit dem Inhalt einer damals triebhaft und mit außerordentlicher Geschwindigkeit geschriebenen Schrift ('das Heimweh') in enger Verbindung standen. [2] -

Eine schwer und schmerzhaft Gebärende hat die beglückende Vision eines Engels über ihrem Bette und verbringt die nächste Stunde schmerzfrei - wir dürfen vermuten: in mindestens halber Ekstase - und in 'nie wieder empfundener Seligkeit'. [3] -

Leon Favre-Clavairoz wird von 'unsagbarer Freude erfüllt' in einem Trans, den er durch Schließen der Augen und Gebet herbeiführt, wobei er anscheinend die Gegenwart eines höheren Geistes zu erfahren glaubt. [4]

Insonderheit aber könnte man die ekstatische Wonne als natürliche Begleiterscheinung allgemein beseligender Vorstellungen auffassen, wenn sie bei Sterbenden auftritt, eine Erscheinung, die häufig genug ist, um das Interesse der medizinischen Psychologie herausgefordert zu haben.

Sollier deutete sie als Schmerz- und Empfindungslosigkeit infolge der krankhaften Erschöpfung, bei tödlich verlaufenden Unglücksfällen als Wirkung einer Ablenkung der Aufmerksamkeit auf die Ursache des Todes! [5] Solche Deutungen erscheinen durchaus ungenügend angesichts des ausgesprochen positiven Charakters dieser überaus starken Empfindungserlebnisse. Die Berichte [6] sprechen z.B. von einem 'überschwänglich glücklichen Zustande der Liebe und Freude'.

'Wäre diese Freudigkeit,' sagt Pfarrer W. Jennwag (t 1673), 'noch gewachsen, so hätte ich sie nicht mehr ertragen können, sie würde meine Seele vom Körper getrennt haben.' [7] Bei einem sterbenden Geistlichen dürfen aber beseligende Vorstellungen wohl vorausgesetzt werden.

Es braucht dem nicht zu widersprechen, daß höchste Wonnegefühle auch bei solchen auftreten, die mit knapper Not dem Erstickungstode entronnen sind, also wohl mit angstvollen Vorstellungen die letzte Schwelle betreten haben. [8] Denn wir wissen aus mancherlei Beobachtungen, daß sobald in solchen Fällen mit dem Tagesbewußtsein auch die Angst des Sterbens überwunden ist, das verbleibende

[1] Vgl. Janet, Obs. I 380; AZP VI 586.
[2] J.-St., Lehr- und Wanderjahre, 3. Aufl. (1857) 612. Vgl. Le Baron in Pr XII 281.
[3] Splittgerber, Leben, 2. Aufl. 194.
[4] Perty, Spir. 190; vgl. das 'Gefühl grenzenlosen Glücks' in Sr. Cabrals Fall, Pr X 383f.
[5] RPh 1896 635.
[6] Zusammenstellung bei Splittgerber, Schlaf, 2. Aufl. II 201f. Vgl. auch H. Huth, Euthanasia 112f.
[7] Das. Vgl. die charakterist. Schilderung prämortaler transports bei [Poiret,] Wernerus..., le saint réfugié (1701) 112f.
[8] S. den Fall (nach Nasse) bei Fechner, Zend-Avesta, I. Aufl. III 32; Dr. A. Clarkes Bericht bei Dendy 391.


Kap XXV. Mystischer Liebesrausch und Geschlechtlichkeit.         (S. 236)

Traumbewußtsein häufig von seligen Gesichten herrlicher Gegenden oder himmlischer Szenen erfüllt ist. Scheintot Gewesene oder auch nur kataleptisch von der Außenwelt Abgelöste haben häufig nach ihrem Zusichkommen Ähnliches berichtet.

In einem ursprünglich von Muratori mitgeteilten und seitdem vielfach in die neuere Literatur übernommenen Falle hatte eine junge Dame, die nach Fieberdelirien ohne Puls und mit erkaltendem Körper für tot gehalten wurde, sich bitter über ihre Wiederbelebung beklagt, da sie sich 'in einem Zustand unbeschreiblicher Ruhe und Glückseligkeit befunden, wie er in diesem Leben nie empfunden würde und dem sich die größten Genüsse, die sie je erfahren, nicht vergleichen ließen .....

Ihre Seele wäre in einer hingerissenen Wonne gewesen und hätte alle Neigung für die Dinge der Welt, selbst die Sorge um die Erhaltung des Lebens verloren'. [1] 

[1] M., Della forza della fantasia c. 9 (z.B. bei Perty, M. E. II 399). Der willkürl. Scheintod der ind. Yogis (nach guten Beob. heute unbezweifelbar) soll ähnliche Zustände der Seligkeit herbeiführen: Pillai 55.

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