REINKARNATION von Ronald Zürrer |
Internet-Veröffentlichung Juli 2008, |
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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Sechzehnter Teil: DIE WESTLICHE INDOLOGIE
Die westliche Indologie
„Einige Missionare des 19. Jahrhunderts haben – bewaffnet mit Zitaten aus Schriften des Hinduismus und des Buddhismus, die oft aus dem Zusammenhang gerissen wurden, sowie mit Geschichten über Hungersnöte, Seuchen und die Übel des hinduistischen Kasten- und Familiensystems – zur Verbreitung der Fehlauffassung beigetragen, Indien sei ein Land lethargischer Düsternis.“
Dieses Zitat stammt aus dem Werk „The Wonder That Was India“ (1954) des australischen Indologen Dr. Arthur Llewellyn Basham (1914–1986), das heute an vielen Universitäten der Welt als Standardlehrbuch für Indologie verwendet wird. Basham gehört zu den ersten westlichen Sanskritforschern, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die indische Kultur vorurteilslos und frei von ideologischen Sachzwängen zu untersuchen und ihre wahre Größe zu offenbaren.
Diese lobenswerte Zielsetzung steht im deutlichen Gegensatz zu den herkömmlichen Darstellungen, die von den Indologen der vergangenen zweihundert Jahre verbreitet wurden. Denn seit Charles Wilkins im Jahre 1785 die erste englische Übersetzung der Bhagavad-gita vorlegte, sind „Hinduismus“ und indische Philosophie weltweit beliebte Lehrfächer geworden, und es hat sich ein ansehnlicher Kreis von Sanskrit- und Indologiefachleuten gebildet.
Ihre auf empirische Weise erarbeiteten Theorien und Auffassungen über die vedischen Schriften unterscheiden sich jedoch in vielerlei Hinsicht von den Aussagen der Schriften selbst. Dieser Konflikt wird von den Indologen nur selten oder gar nicht erörtert, da sie – zumindest hier im Westen – davon ausgehen können, daß ihre Studenten ohnehin ihren empirischen Standpunkt übernehmen werden.
Dies allerdings nicht, weil für diesen die besseren oder stichhaltigeren Argumente sprächen, sondern einfach, weil der westliche Bildungsweg praktisch keine andere Methode als die induktive duldet.
Für die Empiriker ist der Ursprung der Veden mythologisch, und das Ziel der vedischen Religion (individuelle Gottesbegegnung und dadurch Befreiung aus dem Kreislauf der Reinkarnation) gilt als unwissenschaftlich. Auch lehnen sie es ab, das vedische Wissen durch den Vorgang des Shabda (Hören von einem echten spirituellen Meister) zu empfangen oder sich zum besseren Verständnis gar moralische Prinzipien und Tapasya (Entsagung) aufzuerlegen, wenngleich all dies von den vedischen Schriften selbst nachdrücklich gefordert wird.
Sie versuchen statt dessen, ihre Hypothesen durch die gängigen Methoden der Empirie (Geschichte, Archäologie und Philologie) zu untermauern – Methoden, die offensichtlich unzureichend sind, wenn es darum geht, der altindischen Kultur näherzukommen und einen klaren Überblick über ihre mannigfaltigen philosophischen Systeme zu gewinnen. Bezeichnenderweise sind die Indologen daher unter sich selbst völlig uneinig und gelangen oft zu den widersprüchlichsten Schlußfolgerungen.
Wir wollen in der Folge diese empirischen Methoden kurz im einzelnen betrachten, wobei ich die Angaben hauptsächlich zwei Quellen entnehme: de Buch des amerikanischen Vedenforschers Sat-sva-rupadasa Gosvami (*1939) „Die vedische Literatur in ihrem eigenen Licht“ sowie dem Anhang des bereits erwähnten Buches „Gott und die Götter“ von Armin Risi (*1962).
Geschichte.
Die vedische Kultur hat sich bereits vor Tausenden von Jahren in einem höchst
umfangreichen Schrifttum selbst dargestellt, und diese Selbstdarstellung wie
auch der Vorgang des Shabda wurde durch die gesamte indische Geschichte von
allen großen Lehrern und Meistern als autoritativ anerkannt und gelehrt. Aus
diesem Grunde wurde von den indischen Denkern selbst keine gesonderte
historische Untersuchung der Ursprünge der vedischen Kultur und Philosophie
vorgenommen.
Hierzu schreibt der Kulturanthropologe O.L. Chavarria-Aguilar in seinem Buch „Traditionelles Indien“: „Es wäre schwierig, ein Volk zu finden, das noch unhistorischer ist.“ Das alte Rom hatte seinen Livius (59 v.u.Z.–17 n.) und das alte Griechenland seinen Herodot (485–425), aber Indien hatte keinen vergleichbaren großen Historiker, der die vedische Zeit festhielt.
Die modernen Geschichtskundler jedoch anerkennen die Gültigkeit der in den vedischen Quellentexten niedergelegten historischen Angaben nicht, und so bleibt ihnen nichts anderes übrig, als mit fraglichen Methoden zu versuchen, die verschiedenen historischen Epochen der indischen Geschichte empirisch zu rekonstruieren.
Von mehr oder weniger hypothetischen Annahmen gelangen sie zu noch hypothetischeren Ansichten und sind nicht imstande, ein vollständiges Bild zu zeichnen. So bleiben ihre Erkenntnisse höchst dürftig und bruchstückhaft, mit dem Ergebnis, daß sich die einzelnen Handbücher in bestimmten Daten um nicht weniger als zweitausend Jahre (!) unterscheiden.
Moritz Winternitz, einer der geachtetsten Chronologen, sagt in „Geschichte der indischen Literatur“: „Die Chronologie der Geschichte der indischen Literatur ist in wahrhaft erschreckende Dunkelheit gehüllt. ... Alle in der indischen Literaturgeschichte angegebenen Daten gleichen aufgestellten Kegeln, denen es bestimmt ist, wieder umgeworfen zu werden.“
Seiner Meinung nach ist es besser, der ältesten Periode der indischen Literaturgeschichte gar keine Daten zuzuschreiben: „Der Gebrauch hypothetischer Daten würde nur eine Irreführung sein, die mehr Schaden anrichten als Gutes tun würde.“
Archäologie.
Die theoretische Datierung des Anfangs einer ersten fortgeschrittenen
menschlichen Zivilisation wird im allgemeinen immer mehr zurückgeschoben. Was
nun die archäologischen Funde in Indien betrifft, so haben die Ausgrabungen von
Städten mit uralten Tempeln, Münzen und Inschriften in toten Sprachen bisher auf
keine schlüssigen Daten über das erste Erscheinen der vedischen Kultur
hingewiesen.
Zum Beispiel entdeckte der britische Archäologe Sir John Marshall im Jahre 1924 am westlichen Ufer des Indus (im heutigen Pakistan) die beiden Städte Harappa und Mohenjo-Daro, die von einer hochentwickelten städtischen Sozialgemeinschaft („Indus-Zivilisation“) zeugt, deren Blütezeit heute auf mindestens 3.000 v.u.Z. geschätzt wird.
Für die willkürlichen Datierungen aufgrund archäologischer Funde gibt es praktisch keine wissenschaftlichen Beweise, und so scheitert die Archäologie letztlich in ihrem Versuch, Aufschluß über die alten vedischen Zivilisationen zu geben. Chavarria-Aguilar schreibt dazu: „Wir wissen nicht mit Gewißheit, wer die Begründer dieser bemerkenswerten Zivilisation waren; dies ist ein weiteres jener Geheimnisse, die das Leben des Gelehrten einerseits interessant, aber andererseits auch etwas frustrierend machen.“
Und in der „Encyclopedia Britannica“ heißt es: „Religion ist ein geistiges oder spirituelles Phänomen, bei dem das heilige oder übernatürliche Wort eine bedeutende Rolle spielt. Es ist offensichtlich, daß dieses essentielle Ausdrucksmittel der Religion nicht archäologisch untersucht werden kann – archäologische Überreste sind wortlos.“
Philologie.
Zu den wichtigsten Werkzeugen der empirischen indologischen Forschung gehört
daher auch das Studium der Sprachen. Im späten 18. Jahrhundert nahmen
Sprachforscher eine vergleichende Studie von Sanskrit, Griechisch und Latein vor
und kamen zu dem Schluß, daß die Sprachen in Vokabular und Grammatik so ähnlich
seien, daß sie von einer gemeinsamen Muttersprache stammen müßten. Die daraufhin
konstruierte sogenannte „proto-indoeuropäische Sprache“ ist jedoch bei weitem
nicht belegt.
Aus dieser hypothetischen Sprache folgerte man auf eine hypothetische Zivilisation, die als „indoeuropäisch“ bezeichnet wird. Weil Wörter wie „Pferd“ und „Vater“ in den indogermanischen Sprachen eine enge Verwandtschaft aufweisen, schloß man daraus auf eine patriarchalische Bauerngesellschaft.
Daß solche Schlußfolgerungen aufgrund linguistischer Spekulationen jedoch nicht zulässig sind, verdeutlicht der Sanskritforscher A.B. Keith, der einmal bemerkte, daß wir, wenn wir die linguistische Methode zu wörtlich nehmen, zu dem Schluß kommen müßten, daß die ursprünglichen Indoeuropäer zwar Butter kannten, jedoch keine Milch, und daß sie etwas von Schnee und Füßen wußten, aber nichts von Regen und Händen (in: Stuart Piggot, „Prehistoric India“, S. 248).
Die Versuche, mit philologischen Untersuchungen Rückschlüsse auf den Charakter von Kulturen und auf das Alter von Sprachen und Schriftwerken zu ziehen, haben sich häufig als Fehlschlag erwiesen. Was den Ursprung und den wahren Sinn der vedischen Literatur betrifft, so haben sie bis heute nichts Definitives zutage gefördert.
KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Sechzehnter Teil: DIE WESTLICHE INDOLOGIE
Die ersten Indologen
Chauvinismus und Rassismus haben bei den europäischen Indologen schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert stellten gewisse Gelehrte willkürliche Daten zusammen, nur um zu beweisen, daß die arischen Vorväter aus Europa kamen.
Die ersten Indologen, die sich mit der vedischen Literatur befaßten, waren Engländer oder Deutsche und meist christliche Missionare, die Sanskrit studiert hatten, um in der damaligen britischen Kronkolonie Indien den christlichen Glauben einzuführen und den dortigen „Aberglauben“ zu eliminieren.
Man wollte also in erster Linie die „heidnischen“ Hindus zum Christentum bekehren und sie von der Minderwertigkeit ihrer eigenen Kultur überzeugen, ohne daß man sich wirklich für ihre Kultur und Tradition interessierte.
Als beispielsweise ein deutscher Missionar in einem Buchmanuskript eine positive Meinung über die indische Religion äußerte, wurde ihm die Drucklegung verweigert, da es „Aufgabe der Missionare sei, das Heidentum in Indien auszurotten, nicht aber heidnischen Unsinn in Europa zu verbreiten.“ (zitiert nach Helmut von Glasenapp: „Das Indienbild der deutschen Denker“)
Aus der Zeit der ersten Indologen ist uns eine Anzahl weiterer schriftlicher Zeugnisse überliefert, welche diese sonderbare Motivation belegen. Charles Grant beschrieb im Jahre 1808 die Eröffnung von christlichen Schulen und die Übersetzung der Bibel in indische Sprachen als „Hauptanstrengungen unter der Schirmherrschaft der britischen Regierung in Indien, den Eingeborenen das Christentum näherzubringen.“
Aubrey Menen sagt in seinem Buch „The Mystics“: „Man sollte sich erinnern, daß sie [die Engländer des 17. Jahrhunderts] nicht mit den fast heidnischen Engländern der heutigen Zeit zu vergleichen sind. Jeder war ein Christ, und es war die Pflicht eines Christen, die Heiden im Blut des Lamms zu waschen.“
H.H. Wilson (1786–1860), der zuweilen als „der größte Sanskritgelehrte seiner Zeit“ bezeichnet wird, hatte seine Ausbildung in London erhalten und reiste später im Auftrag der britischen Regierung nach Indien, wo er zahlreiche Schriften und Lexika veröffentlichte. Danach war er der Inhaber des ersten Lehrstuhls für Sanskrit an der Universität von Oxford. Die Briefe aus seiner Zeit in Indien offenbaren jedoch seine wahren Beweggründe:
Anhand des Überblicks, den ich Dir geschickt habe, wirst Du feststellen, daß die praktische Religion der Hindus keineswegs ein kompaktes System ist, sondern ein heterogenes Gemisch aus verschiedenen und häufig unvereinbaren Bestandteilen, und daß ein paar uralten Fragmenten ausgedehnte und unautorisierte Teile hinzugefügt wurden, von denen die meisten von äußerst niederträchtiger und barbarischer Natur sind. –
Es ist jedoch nicht ratsam, schon jetzt zu versuchen, diesem Unsinn den Kampf anzusagen; ihr Aberglaube basiert auf Unwissenheit, und solange nicht die Grundlage fortgenommen ist, wird der Überbau, ganz gleich wie verrückt und verfault er sein mag, zusammenhalten.
Wilson sprach auch davon, „einen Preis von 200 Pfund Sterling auszusetzen ... für die beste Widerlegung des hinduistischen Religionssystems.“ Ein weiterer berühmter Indologe, der Deutsche Max Müller (1823–1900), der ebenfalls im Auftrag der britischen Regierung zahlreiche Bücher über indische Mythologie verfaßte, schrieb an einen Freund: „Indien ist für das Christentum viel reifer, als es Rom und Griechenland zur Zeit des Hl. Paulus waren.“ Und schließlich schrieb H.H. Wilsons Nachfolger in Oxford, Sir Monier-Williams:
Unsere Missionare sind nun bereits genügend davon überzeugt, daß es notwendig ist, diese Werke [die vedischen Schriften] zu studieren und sich mit ihren falschen Glaubensinhalten vertraut zu machen, um sie zu bekämpfen.
Wie könnte eine Armee von Eroberern im Feindesland erfolgreich sein, ohne die Position und die Stärke des Feindes zu kennen und ohne zu wissen, wie sie die besiegten Einheiten des Feindes gegen diesen wenden kann?
Die Liste solcher Zitate ließe sich noch weiter fortsetzen, und ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Kapitel „Die ersten Indologen“ im bereits erwähnten Buch von Sat-sva-rupadasa Gosvami.
KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Sechzehnter Teil: DIE WESTLICHE INDOLOGIE
Die einseitige Darstellung der vedischen Philosophie
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß an den Universitäten der westlichen Welt, an denen Sanskrit und Indologie gelehrt werden, nahezu ausschließlich nur die eine der beiden grundlegenden Richtungen der indischen Philosophie behandelt wird. (Ich selbst habe an der Universität Zürich einige Semester Sanskrit studiert und kann diese bedauerliche Tatsache aus eigener Erfahrung bestätigen.)
Wie ich bereits zu Beginn von Kapitel 2 dargelegt habe, unterscheidet man in der vedischen Philosophie zwischen zwei hauptsächlichen Schulen:
Advaita, die unpersönliche, atheistische Lehre, die sich auf den Philosophen Shankara beruft, und
Dvaita, die monotheistische Lehre der Gotteshingabe und Gottesliebe (Bhakti), welche beispielsweise dem christlichen Gedankengut sehr nahe steht.
Gerade aber diese wichtigen Schulen der Dvaita- und Bhakti-Philosophie werden im Westen kaum gelehrt, und zwar vornehmlich aus folgendem Grunde: Die meisten zeitgenössischen Indologen und Religionswissenschaftler beziehen den größten Teil ihrer Kenntnis über die indische Philosophie aus der westlichen indologischen Tradition, das heißt aus den noch heute als Standardwerke geltenden Schriften jener „ersten Indologen“, die ich zuvor beschrieben habe.
Da diese jedoch sehr motiviert waren und ihnen erklärterweise nicht an einer objektiven Darstellung der indischen Religionen und Philosophien gelegen war, ist es nicht verwunderlich, daß ihre Darstellungen einseitig sind und häufig nur gerade jene Seiten der vedischen Kultur präsentieren, die sich verzerrt darstellen lassen, so daß sich der Christ und Europäer „überlegen“ und „besser“ vorkommen kann.
Daher ist es keine Seltenheit, daß selbst Indologieprofessoren über kein objektives, umfassendes Verständnis der verschiedenen Richtungen verfügen und manche, wie beispielsweise die der Bhakti, folglich auch nicht lehren können. Daher werden ihre Schüler ebenfalls kein Verständnis dieser Philosophien gewinnen und sie später ihrerseits auch nicht lehren können. So pflanzt sich dieser Mangel in der westlichen Indologie Generation für Generation fort.
Als ich während meiner Studienzeit meinen Professor für Religionswissenschaften, einen protestantischen Theologen, der als Kapazität auf dem Gebiet des „Hinduismus“ galt, auf diesen Mangel hin ansprach, gab er zu, daß er sich wohl bewußt sei, daß es in der indischen Religionsgeschichte auch eine starke Bhakti-Tradition gebe.
Er überraschte mich darauf jedoch mit der folgenden Erklärung: „Warum sollte ich über eine indische Philosophie lehren, die derart stark mit unserem Christentum verwandt ist? Das Interessante und Spannende an dem typisch Indischen sind ja nicht die Ähnlichkeiten, sondern gerade die Unterschiede, daß es in ihrer Lehre eben keinen persönlichen Gott gibt.“
Mit anderen Worten, es war ihm nicht daran gelegen, uns Studenten ein objektives Bild der vedischen Kultur und Philosophie zu vermitteln, sondern es ging ihm vielmehr darum, aufzuzeigen, wie verschieden das „typisch Indische“ doch von „unserem Christentum“ sei.
Da die unpersönliche Advaita-Philosophie in der Tat logische Mängel und innere Widersprüche aufweist, ist es für die christlichen Religionswissenschaftler auch nicht allzu schwierig zu beweisen, daß das Christentum „besser“ sei.
Wer sich jedoch eingehend mit der vedischen Bhakti-Tradition befaßt, wäre gezwungen einzusehen, daß hier nicht nur keine nennenswerten Widersprüche zu den Lehren Jesu Christi zu finden sind, sondern daß im Gegenteil die gleichen Inhalte sogar auf verständlichere und umfassendere Weise vermittelt werden. Als Christ betrachtete es unser Professor als seine Missionspflicht zu verhindern, daß seine Studenten diesen Eindruck gewinnen würden.
Vor dem Hintergrund dieser versteckten Motivationen herrscht in unseren Breitengraden also nach wie vor die nicht korrekte Ansicht, die indische Religion sei „unvereinbar“ mit der christlichen und müsse daher bekämpft werden. Doch jede Kritik, die von christlicher Seite dem „Hinduismus“ gegenüber laut wird, bezieht sich ausschließlich auf die Advaita-Philosophie oder den Buddhismus und ihre jeweiligen Thesen, wie etwa:
Es gibt keinen persönlichen Gott; es gibt bestenfalls Tausende und Abertausende von „Göttern“, und jeder kann verehren, wen immer er will, denn letztlich ist „alles eins“ („Polytheismus“); letztlich sind wir alle Gott, und das Ziel der spirituellen Suche besteht darin, mit diesem einen All-Einen Göttlichen, dem „Brahman“, zu verschmelzen und „Gott zu werden“ (tat tvam asi); da es keinen Gott gibt, gibt es auch keine Gnade Gottes, das heißt, wir sind völlig auf uns selbst gestellt („Selbstbefreiung“); wir sollten uns nicht mehr mit der Welt, in der wir leben, abgeben, denn sie ist falsch („Weltflucht“); wir sollten auch anderen Menschen und deren Leiden gegenüber indifferent werden, denn Liebe zum Mitmenschen ist materiell („Unbarmherzigkeit“); jeder ist aufgrund der Karma-Gesetze für sein eigenes Leid selbst verantwortlich, und daher ist es nicht nötig, jemandem zu helfen, dieses besser zu ertragen („Grausamkeit“); usw.
So berechtigt die Kritik an all diesen Lehren auch ist, sollten wir uns doch im klaren sein, daß sie sich nur auf die monistische Advaita-Philosophie beziehen, nicht auf die Bhakti-Philosophie!
Der bereits zitierte Indologe A.L. Basham sagt in „Krishna im Westen“ (Hrsg. Dr. Edmund Weber, 1985):
Diese westlichen Vorurteile ... – das unpersönliche Wesen Gottes und die Vorstellung, daß die Seele und Gott letztendlich eins sind – haben ihren Ursprung im 19. Jahrhundert, bei Leuten wie Emerson und Thoreau in Amerika, verschiedenen deutschen Denkern, der Theosophischen Gesellschaft und später dann bei Leuten wie Aldous Huxley, Christopher Isherwood und all den unzähligen Swamis, die aus Indien in den Westen gekommen sind, um hier zu predigen. Fast alle haben monistische Philosophien vertreten und gelehrt [Ramakrishna 1836–1886, Vivekananda 1863–1902, Aurobindo 1872–1950, Yogananda 1893–1952 u.a.], und dadurch ist die Klischeevorstellung entstanden, Hinduismus sei gleich Monismus. (S. 128)
Nicht alle modernen westlichen Indologen besitzen den motivierten christlichen Missionsgeist der Pioniere vor nahezu zweihundert Jahren (oder wie, in versteckter Weise, mein ehemaliger Professor), doch haben sie stillschweigend viele der alten Thesen und Vorurteile aus der Pionierzeit übernommen und betrachten sie noch immer als gütige Tatsachen.
Auch heute lehnen die meisten den prähistorischen Ursprung und die zeitlose Bedeutung des Veda ab, oft sogar ohne eine stichhaltige Erklärung, warum empirisches Wissen den Vorrang vor dem Shabda-Vorgang des Hörens aus einer authentischen spirituellen Quelle haben soll. Obwohl ihre Vorurteile heute also nicht mehr „evangelistisch“ sind, sondern eher „empiristisch“, treffen sie wie eh und je nicht zu.
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