REINKARNATION
Die umfassende Wissenschaft
der Seelenwanderung

von Ronald Zürrer

Internet-Veröffentlichung Juli 2008,
(c)
Govinda-Verlag GmbH

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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Vierzehnter Teil: RUDOLF STEINER

Rudolf Steiner

Unter allen Abendländern, die sich mit der Reinkarnation befaßt haben, nimmt Rudolf Steiner (1861–1925) eine besondere Stellung ein, da er praktisch als einziger versuchte, sich nicht nur auf die Betrachtung und Deutung von Einzelphänomenen zu beschränken; vielmehr erarbeitete er zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine in sich geschlossene Lehre und Systematik der Reinkarnation, und seine Vorstellungen des Karmabegriffs und der „wiederholten Erdenleben“ (wie er die Reinkarnation zu bezeichnen pflegte) haben – bewußt oder unbewußt – nachhaltig das Denken all jener mit beeinflußt, die sich in der deutschen Geistesgeschichte nach ihm mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben.

Die Leistung Rudolf Steiners besteht also darin, daß er die höheren Gesetze von Karma und Reinkarnation im europäischen Raum im breiten Rahmen bewußt gemacht hat, ebenso wie dies beispielsweise in den Vereinigten Staaten der berühmte Hellseher und „Schlafende Prophet“ Edgar Cayce (1876–1944) zur gleichen Zeit – wenn auch in anderer Weise – tat.

Über die zentrale Bedeutung der Reinkarnation in Steiners Lehre schreibt der ehemalige Leiter der anthroposophischen „Christenge­meinschaft“ Emil Bock: „Die Darstellung von Reinkarnation und Karma, von Wiederverkörperung und Schicksalsverknüpfung, in der Verkündigung Rudolf Steiners ist das, was das Rückgrat im menschlichen Organismus.“

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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Vierzehnter Teil: RUDOLF STEINER

Die Anthroposophie

Rudolf Steiner ist im deutschen Sprachraum wenigstens dem Namen nach allgemein bekannt als der Begründer der Anthroposophie. Dieser Begriff, wörtlich „Menschenweisheit“, stammt ursprünglich aus dem Werk „Anthroposophia Thaumaturgica“ (1704) von Thomas Vaughan und taucht danach erstmals bei I.P.V. Troxler (1780–1866) und dem Herbatianer R. Zimmermann (1824–1898) auf.

Später wurde er dann von Rudolf Steiner übernommen, der nach seiner Trennung von der „Theosophischen Gesellschaft“ im Jahre 1913 die Anthroposophische Gesellschaft und damit die Lehre der Anthroposophie begründete. Diese verstand er als Fortführung der Theosophie und der Lehren Goethes – insbesondere seiner „Metamorphosenlehre“ – und definierte sie wie folgt: 

Anthroposophie ist die Erkenntnis, die vom höheren Selbst des Menschen selbst hervorgebracht wird. Sie will die tieferen geistigen Kräfte, welche in der Menschennatur und in der übrigen Natur schlummern, erforschen und bezeichnet sich selbst als Geisteswissenschaft.

Steiner lehrte, der Mensch könne sich durch bewußte Schulung seiner in ihm ruhenden geistigen Kräfte so weit entfalten, daß er schließlich in der Lage sei, über übersinnliche Fähigkeiten zu verfügen und mit höheren „Geistwesen“ in Verbindung zu treten.

Das höchste Ziel eines Anthroposophen („Geheimschülers“) ist die letztliche Gewinnung eines „Ätherleibes“; einen solchen Körper besitzen zwar alle Menschen, aber der Geheimschüler lernt seinen Ätherleib lenken und beherrschen und tritt so in die Geisterwelt ein, um dort sein „höheres Ich mit übergeordneten Wesenheiten in Verbindung zu setzen“. Hat er diese höchste Entwicklungsstufe erreicht, so vermag er in der sogenannten „Akasha-Chronik“ zu lesen.

Nach der Anthroposophie ist der Mensch zu seiner Erlösung und Vervollkommnung auf sich selbst gestellt. Gott, sofern überhaupt erwähnt, spielt dabei die Rolle eines unbeteiligten Zuschauers, Jesus Christus die des Vermittlers und Wegbereiters. Hierzu schreibt der Naturwissenschaftler und Anthroposoph Max Hoffmeister (*1916) in seinem Buch „Reinkarnation – Antwort auf das Rätsel des Menschen“: 

Rudolf Steiner stützte sich nicht auf das traditionelle Christentum ab, so wenig es auch Goethe tat. Atheist war er deshalb aber nie, dafür kannte er geistige Wesen aus eigener Anschauung viel zu gut. „Ich hatte, wenn ich in dieser Zeit [gemeint vor 1900] das Wort <Christentum> schrieb, die Jenseitslehre im Sinne, die in den christlichen Bekenntnissen wirkte...“
 

Wenn später die Christologie ein Hauptanliegen Rudolf Steiners war, neben der Darstellung von Reinkarnation und Karma, so offensichtlich deshalb, weil er die Christuswesenheit schauen konnte. Viele Ausführungen zeugen davon.

 

Bei ihm steht das Mysterium von Golgatha im Mittelpunkt der Erd- und Menschheitsentwicklung. Er hatte viele Vorträge gehalten, um ein wirkliches Verstehen der Evangelien, der Genesis und der Apokalypse zu ermöglichen, besonders in den Vortragszyklen der Jahre 1908–1914.
 

Am Anfang seiner anthroposophischen Tätigkeit steht seine Schrift „Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums“ (1902), die eine Zusammenfassung von Vorträgen, die er 1902 gehalten hatte, darstellt.

 

Als Kind hatte er tiefe Eindrücke aus dem Miterleben des katholischen Kultus in seinem Heimatdorf erhalten, dann wirkte er bis 1900 wie ein Freigeist. Von da ab stellte er den Christus als diejenige Wesenheit dar, die die ganze Entwicklung zum göttlichen Ziele hinlenken und so vorwärtsbringen will. Er fragt und sucht nach dem Christus in der geistigen Welt unmittelbar. (S. 100)

Steiner orientierte sich einerseits an der Gnosis und am Christentum, dessen Offenbarung er als noch nicht abgeschlossen betrachtete, zum anderen aber auch an den vedischen Schriften Indiens, die er sehr schätzte und aus denen er die Begriffe des Karma und der Reinkarnation sowie gewisse praktische Übungen der geistigen Meditation entlieh. Über die Bhagavad-gita sagt er beispielsweise: „In der Bhagavad-gita finden wir die Praxis des Yoga, der eine Anleitung ist, um das Seelische zu höheren Stufen inneren Erlebens zu heben.“

Dies alles versuchte er in seiner Lehre der Anthroposophie mit dem modernen naturwissenschaftlichen Denken zu verknüpfen. Dieser Versuch, gewisse Elemente aus der vedischen Philosophie mit dem Christentum zu verbinden, um so eine neue, umfassendere, vollkommenere Geisteswissenschaft zu begründen, hat sich jedoch – zumindest aus der Sicht des vedischen Weltbildes – als problematisch erwiesen.

Ursprüngliches Wissen „der heutigen Zeit anpassen“, „ergänzen“ und „vervollkommnen“ zu wollen bedeutet nämlich unweigerlich, dieses zu verändern, und die tückische Gefahr jeder Veränderung durch den menschlichen Verstand liegt darin, daß sie viel eher zu Verfälschung und Verwässerung des Ursprünglichen, statt zu seiner Verbesserung, führen kann.

Worin die Abänderungen Steiners in bezug auf die vedische Philosophie im einzelnen bestanden, wollen wir im folgenden untersuchen.

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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Vierzehnter Teil: RUDOLF STEINER

Vergleich der Reinkarnationsidee Rudolf Steiners mit der vedischen Wissenschaft der Seelenwanderung

Wir finden vier Hauptunterschiede zwi­schen der anthroposophischen Geisteswissenschaft und der vedischen Philosophie, nämlich: 

a) die „Einheit von Geist-Seele-Leib“

b) das Gesetz der „Metamorphose und Steigerung“

c) das Fehlen der Gnade Gottes

d) die wiederholten „Erdenleben“

a) Geist, Seele und Leib.
Nach der anthroposophischen Lehre besteht eine „Dreigliederung der menschlichen Wesenheit“ („Trichotomie“) in Leib, Seele und Geist – auf den ersten Blick also exakt dasselbe, was wir bereits aus der vedischen Wissenschaft kennen.

Wir wollen in dieser Betrachtung von der nebensächlichen Tatsache absehen, daß in der Anthroposophie die Ausdrücke „Seele“ und „Geist“ in der genau umgekehrten Weise definiert sind als in der vedischen Terminologie. Es handelt sich hierbei um einen einfachen Begriffsunterschied, den wir uns im folgenden vor Augen halten müssen.

Mit „Seele“ meint der Anthroposoph ungefähr das, was wir in dem vorliegenden Buch als „feinstofflichen Körper“ des Denkens, Fühlens und Wollens bezeichnet haben, und mit „Geist“ etwa annähernd das, was die Veden als „Atma“ oder „spirituelle Seele“ (siehe Kapitel 2) beschreiben.

Der wesentliche Unterschied liegt hingegen nicht in der Definition der einzelnen Termini, sondern in deren Inhalt. Max Hoffmeister schreibt:

Wir können also zunächst einmal feststellen, daß wir unterschieden haben zwischen dem physischen Begriffskleid, dem Seelenerlebnis des Begreifens und dem Geistinhalt des Begriffs.

 

Was wir an dem Begriff in unserem wahrnehmenden Seelen-Ich erleben, ist demnach die Verschmelzung erstens von physischen körpergebundenen Vorgängen, die uns zwar selbst unbewußt bleiben, aber der Bewußtwerdung des Geistigen dienen, zweitens von seelischem Erleben im tätigen Eingreifen und drittens von dem vom Ich ergriffenen Geistinhalt.

 

Wir sagen ja auch nicht, ich trage meinen Leib durch das Zimmer, sondern ich gehe, wobei ich mich selbst mit meinem Leib und mit meinem Seelenerlebnis des Gehens zur Einheit verschmelze. So wird beim Aufgreifen eines Begriffes Leib, Seele und Geist als Einheit erlebt. (S. 124f.)

Diese Auffassung vertritt auch der bereits in Kapitel 4 zitierte anthroposophische Arzt Hugo S. Verbrugh in seinem Buch „... wiederkommen“: 

Die Anthroposophie will die monistische (monos = eins) Alternative realisieren. ... In ihr erscheint der Mensch als eine Einheit, die sich fortwährend in einem dynamischen Wechselspiel zwischen Leib, Seele (die Mitte) und Geist offenbart. (S. 135)

Gemäß vedischer Auffassung jedoch besteht niemals eine „Einheit“ zwischen den grob- und feinstofflich-materiellen Bereichen des Leibes und des Geistes auf der einen Seite und der spirituellen Seele auf der anderen. Die spirituelle Seele ist vielmehr immer vollständig unabhängig von der Materie, und die sogenannte „Einheit“ zwischen der Seele und dem Körper beruht lediglich auf einer Täuschung, einer Illusion (Maya).

Schon in der Sprache unterscheiden wir zwischen „meinem“ Körper, „meinen“ Gedanken, „meinen“ Gefühlen und „meinem“ Bewußtsein im Gegensatz zum „Ich“, dem Individuum, das all dies besitzt und erfährt. Dieses Ich, die spirituelle Seele, befindet sich also immer in transzendenter Stellung sowohl zu ihrem physischen als auch zu ihrem psychischen Körper. Die Bhagavad-gita weist mit den folgenden Worten auf diesen Sachverhalt hin: 

Diejenigen, die mit den Augen des Wissens den Unterschied zwischen dem Körper und dem Besitzer des Körpers sehen und auch den Vorgang der Befreiung aus der Knechtschaft der Materie verstehen, erreichen das höchste Ziel. (Bg. 13.35)

Nun mögen wir natürlich fragen, wie diese ewig nichtmaterielle Seele überhaupt mit der Materie in Kontakt kommen und diese für die Erfüllung ihrer zahlreichen Wünsche benützen kann. Die Antwort der Veden lautet: durch das „falsche Ego“ (Ahankara).

Das Ahankara bildet das feinstofflichste aller materiellen Elemente, ist also feinstofflicher noch als die Intelligenz und kann daher mit dieser nicht vollumfänglich erfaßt werden. Es stellt jedoch die eigentliche „Verbindung“ zwischen der Seele und ihren verschiedenen Körpern her, und ohne das falsche Ego wäre es der Seele gar nicht möglich, sich in der materiellen Welt aufzuhalten.

Ohne den Einfluß des falschen Ego würde sie sofort erkennen, daß sie nicht das geringste mit dieser materiellen Welt zu tun hat, und würde auf der Stelle in die spirituelle Sphäre zurückkehren. Erst das Vorhandensein des falschen Ego ermöglicht es der Seele, ihre „pervertierten“ (im wörtlichen Sinne: verdrehten, unnatürlichen) Wünsche, Materie zu genießen, zu erfüllen.

Von Friedrich Nietzsche ist der Ausspruch überliefert: „Wo immer ich gehe, folgt mir ein Hund namens Ego“, und damit wird die Funktion des Ahankara innerhalb der polaren Welt treffend beschrieben. In seinem Kommentar zur Bhagavad-gita (13.9) erklärt Prabhupada das Ahankara-Prinzip wie folgt: 

Falsches Ego bedeutet, den Körper für das Selbst zu halten. Wenn man versteht, daß man nicht der Körper, sondern spirituelle Seele ist, erreicht man sein wahres Ego. Das Ego existiert immer. Das wahre Ego wird nicht verurteilt, nur das falsche.

 

In den vedischen Schriften heißt es: aha„ brahmasmi. „Ich bin Brahman, ich bin spirituell.“ Dieses „Ich bin“, dieses Gefühl des Selbst, existiert auch auf der befreiten Stufe der Selbstverwirklichung. Dieses Gefühl des „Ich bin“ ist das Ego, doch wenn es auf den Körper gerichtet wird, sprechen wir vom falschen Ego.

 

Wenn das Selbstgefühl auf die Realität gerichtet wird, ist dies wahres Ego. Einige Philosophen sagen, wir sollten unser Ego aufgeben, aber das ist nicht möglich, denn Ego bedeutet Identität. Was wir jedoch aufgeben sollten, ist die falsche Identifizierung mit dem Körper. (S. 607)

b) „Metamorphose und Steigerung“.
Nach der anthroposophischen Lehre bestehen die Hauptziele in der Natur – auch in der Natur des Menschen – in 1. Metamorphose und 2. Steigerung. (Damit schließt sie sich direkt an die Metamorphosenlehre Goethes an.)

In der Essenz ist damit gemeint, daß sich jeder Mensch, durch ständiges Reinkarniertwerden, mit jedem „Erdenleben“ automatisch immer weiter zum „Höheren“ hin emporsteigert und sich auf diese Weise allmählich von all seinen Schwächen und Unvollkommenheiten („niederes Ich“) reinigt. Das Ziel ist die vollkommene „Veredlung des Menschen im Geistigen“.

Auch hiermit stimmen die vedischen Schriften nicht vollumfänglich überein. Es wäre sicherlich wünschens- und erstrebenswert, daß alle Lebewesen sich „geistig“, also spirituell, immer mehr erheben würden bis hin zur Vervollkommnung. Wenn dies jedoch ein feststehendes Naturgesetz wäre, wo bliebe da der freie Wille? Was ist mit einem Menschen, der sich nicht erheben will?

Hier beschreiben die vedischen Schriften die Natur als großzügiger und zwangloser. Das Lebewesen, die spirituelle Seele, ist ja ursprünglich freiwillig in die materielle Welt heruntergekommen mit der Absicht, diese zu genießen. Warum sollten die Naturgesetze es nun, da es sich in der materiellen Welt befindet, zwingen, sich gegen seinen Willen zu veredeln?

Für manche mag gerade dies der Weg des Lernens und Erkennens sein, daß sie sich zunächst durch ihre eigenen Wünsche aufs neue erniedrigen, gegebenenfalls sogar bis zurück in tierische Verkörperungen, bis sie schließlich zur Einsicht gelangen, daß diese Handlungsweise nicht ihre wahre Bestimmung darstellt. Dann werden sie sich – eben­falls aus freiem Willen und nicht aufgrund eines aufgezwungenen Gesetzes der materiellen Natur – allmählich wieder erheben.

c) Das Fehlen der Gnade Gottes.
In einem höchst bedeutenden und zentralen Punkt steht, und dies mag vielleicht zunächst erstaunen, die vedische Lehre dem traditionellen christlichen Erlösungsgedanken näher als die (sich auf Jesus Christus berufende) Anthroposophie.

Gemäß geltender christlicher Lehrmeinung ist Jesus Christus als der Sohn Gottes erschienen, um die Sünden (mit anderen Worten, das Karma) der Menschen aufzuheben.

Durch das Annehmen Christi als Erlöser kann der Mensch von den karmischen Reaktionen auf seine Verfehlungen befreit werden – wohlverstanden nur unter dem (heute gerne vergessenen) Vorbehalt, daß er aufhört zu sündigen. Nachdem Jesus in Jerusalem einen Gelähmten geheilt hatte, sagte er zu ihm: „Jetzt bist du gesund; sündige nicht mehr, damit dir nicht noch Schlimmeres zustößt.“ (Joh 5,14)

Diese Auffassung entspricht der vedischen Lehre, daß der Mensch dadurch, daß er bewußt aufhört, sich dem göttlichen Schöpfungsplan zu widersetzen und dadurch „sündhaft“ zu handeln, durch die Gnade Gottes von den Gesetzen des Karma befreit werden oder, wie es die Bibel ausdrückt, „die Welt [und ihre Gesetze] überwinden“ kann.

Rudolf Steiner hingegen ist der Ansicht, daß Christus zwar das „Weltenkarma“, die Schuld der Welt, auf sich genommen und aufgehoben habe, nicht aber das individuelle Karma des einzelnen Menschen. Dieses könne einzig durch die Kette der wiederholten Erdenleben, durch allmähliche „Steigerung“ abgetragen werden.

In seiner Lehre fehlt also das Konzept der Gnade Gottes, der außergewöhnlichen Barmherzigkeit, die Gott einer Seele zuteil werden läßt, die sich Ihm vollständig hingibt. Gerade dies jedoch bildet einen der zentralsten Glaubensinhalte sowohl des Christentums als auch der vedischen Bhakti-Philosophie.

Es ist sicherlich richtig, daß kein Mensch aus eigener Kraft fähig ist, die unüberwindlichen Naturgesetze des Karma und der Reinkarnation aufzulösen und sich ihrer gerechten Wirkung zu entziehen. Andererseits versteht es sich jedoch von der Definition her von selbst, daß Gott als der Schöpfer und Herr dieser Welt und ihrer Gesetze mit Sicherheit imstande ist, einem Lebewesen seine spezielle Gnade zu erweisen und es aus dem Diktat der Karmagesetze zu befreien.

Diese spezielle Gnade Gottes kann der Mensch erlangen, indem er sich Ihm vorbehaltlos ergibt und diese Hingabe durch seine Gedanken, seine Worte und seine Taten stets zum Ausdruck bringt. Der diesbezüglich eindeutige Vers aus der Bhagavad-gita lautet: 

Gott sprach: Diese Meine göttliche Energie [die materielle Welt und ihre Gesetze] ist sehr schwer zu überwinden. Aber diejenigen, die sich Mir ergeben, können sie sehr leicht hinter sich lassen. (Bg. 7.14)

d) Die wiederholten „Erdenleben“.
Rudolf Steiner hat in seiner eigenen Begriffssprache der Anthroposophie auch einen neuen Ausdruck für die Reinkarnation geschaffen, den er und seine Anhänger wohl am häufigsten verwenden (neben „Reinkarnation“): die „wiederholten Erdenleben“.

Dieser Begriff ist jedoch im Lichte der vedischen Wissenschaft der Seelenwanderung unvollständig und irreführend, da er impliziert, daß diese Wanderung der Seele einzig auf dem Erdplaneten stattfinde.

Mit anderen Worten, das anthroposophische Denken beschränkt sich ausschließlich auf die Geschehnisse auf und knapp über diesem einen Planeten unseres Universums; selbst die beschriebene „jenseitige Welt“ oder „Geistwelt“ wird als sowohl kosmographisch als auch geistig an das Geschehen auf der Erde gebunden definiert.

Angesichts der immensen Größe unseres Universums erscheint es allerdings wenig sinnvoll anzunehmen, daß es nicht möglich sein sollte, auch anderswo, in ganz anderer Form und in einem ganz anderen Körper wiederzukehren.

Es gibt unzählig viele Planeten (Sterne) und mehrere Dimensionsebenen innerhalb des Kosmos, und prinzipiell ist es der Seele gestattet, auf ihrer Wanderschaft durch die polare Welt jede beliebige Sphäre zu bereisen und zu bewohnen, sofern sie die jeweils erforderlichen Qualifikationen aufweist. Und wie wir uns leicht vorstellen können, dürfte es einem Lebewesen, das beispielsweise auf einem Stern lebt, der Millionen von Lichtjahren von der Erde entfernt liegt, ziemlich einerlei sein, was „hier unten“ passiert.

Was noch hinzu kommt, ist, daß die Steinersche Lehre keine wirkliche Alternative zur materiellen Welt aufzeigen kann, die gemäß vedischer Auffassung ja nicht die eigentliche Heimat der spirituellen Seele ist.

Was in der Anthroposophie als „Geistwelt“ beschrieben wird, stimmt im groben mit dem überein, was die vedischen Schriften als sogenannte „Parallelwelt der feinstofflichen Sphären“ (im Sanskrit Antariksha) bezeichnen, die in einer höheren, feinstofflichen oder eben „geistigen“ Dimension direkt über der Erde befindlich sind.

In diesen Antariksha-Sphären, die sich so weit erstrecken, „wie die Wolken am Himmel treiben“ (Shrimad-Bhagavatam 5.24.5), und oberhalb deren „es keine Luft mehr gibt“, leben die Geister der Verstorbenen, die auf ihre nächste Inkarnation warten, sowie auch andere feinstoffliche Lebewesen.

Viele von ihnen besitzen höhere feinstoffliche Kräfte als wir Menschen, und wir können, sofern wir dies wollen und bemächtigt dazu sind, mit ihnen auch in Kontakt treten und Informationen aus den höheren Bereichen ihres Bewußtseins erhalten (dies wird von Steiner als „Lesen in der Akasha-Chronik“ bezeichnet).

Über eine vollkommen transzendentale (spirituelle) Welt, die jenseits sowohl der grob- als auch feinstofflichen Bereiche der Materie liegt, vermag uns die anthroposophische Lehre keine Auskunft zu geben. Diese wird hingegen in den vedischen Schriften ausführlich als die eigentliche Heimat und als das höchste göttliche Ziel aller spirituellen Seelen beschrieben.

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