REINKARNATION von Ronald Zürrer |
Internet-Veröffentlichung Juli 2008, |
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KAPITEL 4: PRAKTISCHE FRAGEN ZUR REINKARNATION
Reinkarnation als Tier
Zwei weitere Fragen, die im Zusammenhang mit der Seelenwanderung immer wieder aufgeworfen werden, sind die folgenden: Erstens, ob auch Tiere dem Gesetz von Karma und Reinkarnation unterworfen sind und ob sie sich ebenfalls in menschlichen Körpern inkarnieren können, und zweitens, ob es möglich ist, daß die Seele von einem menschlichen Körper aus wieder in tierische Lebensformen eingehen kann.
Um diese Fragen beantworten zu können, wollen wir uns zunächst noch einmal in Erinnerung rufen, was wir bislang über die Natur der spirituellen Seele erfahren haben: Gemäß vedischer Wissenschaft sind alle lebenden Organismen, die die grundlegenden Symptome des Lebens (wie z.B. Wachstum, Stoffwechsel oder Fortpflanzung) aufweisen, beseelt – also auch Pflanzen und Tiere.
Wie jüngste biologische Experimente eindeutig nachgewiesen haben, besitzen selbst Pflanzen ein Wahrnehmungs-, Empfindungs- und Reaktionsvermögen – ganz zu schweigen also von den Tieren. Der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Tier besteht somit lediglich in der Art des Körpers, den die Seele angenommen hat; im Innern sowohl des Menschen als auch des Tieres aber weilt eine qualitativ und quantitativ gleich beschaffene, jedoch individuell verschiedene Seele.
Wir können dies anhand des folgenden Beispiels veranschaulichen: Angenommen, jemand besitzt die Fähigkeit, sowohl Flugzeuge zu fliegen als auch Autos zu lenken und Fahrräder zu fahren. Nun kann diese Person je nach der Art des Fahrzeugs, das ihm zur Verfügung gestellt wird, seine verschiedenen Fähigkeiten unter Beweis stellen.
Auf einem Fahrrad kann er zum Beispiel nur eine bestimmte Geschwindigkeit erreichen; setzt er sich hingegen in einen schnellen Sportwagen, werden sich seine Fortbewegungsmöglichkeiten in bezug auf Kraft und Geschwindigkeit erheblich steigern, und benützt er ein Flugzeug, ist er sogar imstande zu fliegen. In allen Fällen aber ist es dieselbe Person mit denselben Fähigkeiten; nur die Fahrzeuge unterscheiden sich.
In ähnlicher Weise bedient sich die spirituelle Seele verschiedener materieller Körper, die es ihr ermöglichen, ihre mannigfaltigen Wünsche und Fertigkeiten auf unterschiedliche Weise zu entfalten. Dabei scheint es offensichtlich zu sein, daß dem Menschen gewisse intellektuelle und geistige Fähigkeiten eigen sind, welche die Tiere nicht besitzen oder zumindest nicht für den Menschen erkennbar aufweisen.
Und dennoch wohnt auch in jedem tierischen und pflanzlichen Körper eine lebendige Seele, die unabhängig von dem jeweiligen Körper, in dem sie sich inkarniert hat, stets eine eigene, individuelle Persönlichkeit bleibt.
An dieser Stelle möchte ich zum besseren Verständnis dieser Thematik ein neues Konzept aus der vedischen Wissenschaft einführen: die Lehre der drei „Erscheinungsweisen“ (Gunas).
KAPITEL 4: PRAKTISCHE FRAGEN ZUR REINKARNATION - REINKARNATION ALS TIER
Die drei Gunas (Erscheinungsweisen)
Gemäß der vedischen Wissenschaft beruht die Mannigfaltigkeit aller verschiedenen Lebensformen auf einer Kombination oder Permutation von drei grundlegenden Prinzipien oder „Erscheinungsweisen“ der Materie, die im Sanskrit als Gunas bezeichnet werden. Diese drei Gunas sind:
1.) Tugend (Sattva-guna)
2.) Leidenschaft (Rajo-guna)
3.) Unwissenheit (Tamo-guna)
Die physischen Körper der einzelnen Spezies gleichen vergänglichen Wohnungen oder Häusern von unterschiedlichen Größen, Formen und Farben, in denen die ewige Seele in dieser Welt vorübergehend weilen kann. Diese Körperformen schränken die Bewegungs- und Handlungsfreiheiten sowie auch die Genußmöglichkeiten der Lebewesen individuell ein.
So wird zum Beispiel ein Lebewesen im Körper eines Tiger ganz natürlich den Wunsch haben, laut zu brüllen und andere Tiere zwecks Nahrungsbeschaffung zu töten, während ein anderes Lebewesen im Körper eines Schwans ebenso natürlich den Wunsch haben wird, mit graziösen Schwüngen durch die Lüfte zu fliegen und sich im frischen Wasser klarer Teiche zu tummeln.
So finden wir überall in der Natur individuelle Unterschiede, und diese werden durch den Einfluß der Erscheinungsweisen der Natur bewirkt.
Obwohl alle Tiere hauptsächlich von der Erscheinungsweise der Unwissenheit beherrscht werden, sind sie doch in unterschiedlichem Maße auch von den Erscheinungsweisen der Leidenschaft und der Tugend beeinflußt. Kühe zum Beispiel sind sehr einfache, anspruchslose Tiere von sanftem Wesen, die nur für das Wohl der anderen arbeiten (weshalb sie in der indischen Kultur sehr geschätzt und geschützt werden); sie sind also ein Beispiel für eine Tierart, die bis zu einem gewissen Grade von der Erscheinungsweise der Tugend beeinflußt ist.
Hingegen zeugt die wilde Natur beispielsweise von Löwen und anderen Raubtieren von einer Beeinflussung durch die Erscheinungsweise der Leidenschaft, während Tiere wie Schweine oder Affen sich hauptsächlich unter dem Einfluß der Erscheinungsweise der Unwissenheit befinden.
Selbst innerhalb einer Gattung finden wir solche Unterschiede. Unter den Vögeln zum Beispiel zeigen die Schwäne mit ihrem noblen, anmutigen Wesen Symptome der Tugend; Falken oder Adler dagegen befinden sich eher in Leidenschaft, während Aasgeier oder Krähen vornehmlich in Unwissenheit handeln.
Obwohl also die biologische Beschaffenheit innerhalb einer Art bei allen Spezies ähnlich ist, zeigen sich in Bewußtsein und Handlungen der einzelnen Tiere doch die unterschiedlichsten Ausprägungen, die durch die jeweilige Beeinflussung durch die Erscheinungsweisen der Natur bewirkt werden.
Die gleichen Unterteilungen lassen sich nun auch innerhalb der menschlichen Lebensform anstellen, das heißt, wir finden Menschen, die hauptsächlich von der Erscheinungsweise der Tugend beeinflußt sind (Reinheit, Streben nach Wissen, Sanftmut, Wohltätigkeit usw.); solche, die unter dem Einfluß der Leidenschaft stehen (unbegrenzte Wünsche und Verlangen, Gier nach Geld, Sex, Macht usw.), und solche, die sich in Unwissenheit befinden (Trägheit, Stumpfheit, Berauschung, Illusion usw.).
Die kennzeichnenden Merkmale von Menschen unter dem Einfluß der einzelnen Erscheinungsweisen werden in der Bhagavad-gita wie folgt angegeben:
Als sattvisch (tugendhaft)
gilt, wer ohne falsches Ego, mit Entschlossenheit und mit Enthusiasmus handelt
und von Erfolg und Mißerfolg unberührt bleibt.
Als rajasisch
(leidenschaftlich) gilt, wer vom Wunsch nach den Früchten des Handelns
getrieben wird, wer gierig und von verletzendem Wesen ist und Freude und
Kummer unterliegt.
Und als tamasisch (unwissend) gilt, wer undiszipliniert, primitiv, verstockt, heimtückisch, boshaft, verzweifelt und träge ist. (Bg. 18.26–28)
Die materielle Welt bietet buchstäblich Millionen von unterschiedlichen Körperformen, in denen die spirituelle Seele Platz nehmen kann, um entsprechend den drei Erscheinungsweisen der Natur, die ihr Bewußtsein beeinflussen, ihre jeweilige Inkarnationsrolle zu spielen.
Während die Seele auf diese Weise unter dem Gesetz des Karma und gemäß ihren Wünschen, Gedanken und Tätigkeiten von einem grobstofflichen Körper zum anderen und von einer Lebensform zur anderen wandert, gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Möglichkeiten dieser Wanderung, nämlich 1.) Evolution (Erhebung) und 2.) Devolution (Erniedrigung) des Bewußtseins.
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Evolution des Bewusstseins
Die Evolutionstheorie nach Charles Darwin (1809–1882) – oder in der modernen Zeit die Lehre der chemischen Evolution – geht davon aus, daß es ausschließlich die äußere Form eines Organismus ist, die evolviert (Morphologie); diese Lehre liefert uns hingegen keinerlei Informationen über eine Evolution des Bewußtseins.
Was den Ursprung und die Klassifizierung der einzelnen Arten betrifft, so vertritt die vedische Wissenschaft insofern eine ähnliche Auffassung wie die darwinistische Evolutionstheorie, als auch nach vedischer Version sämtliche Lebensformen von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen und daß neue Spezies durch geschlechtliche Fortpflanzung entstanden sind.
Andererseits unterscheidet sich die vedische Auffassung von Evolution insofern von der darwinistischen, als dieser gemeinsame Vorfahre nicht als primitiver einzelliger Organismus, sondern als superintelligentes höheres Wesen (im Sanskrit Prajapati genannt, eine Art Schöpfergott) beschrieben wird. Außerdem entstehen nach vedischer Definition weniger komplexe Formen aus komplexeren, und nicht umgekehrt.
Wir könnten hier also von „inverser Evolution“ sprechen, wobei die ersten Schritte sogar außerhalb des Erdplaneten stattfanden. (Hierauf kann ich allerdings in diesem Rahmen nicht weiter eingehen und verweise auf die entsprechenden Stellen innerhalb der vedischen Literatur oder auf die Bücher meines Freundes und Wegbegleiters Armin Risi (*1962), insbesondere „Gott und die Götter“.)
Abgesehen davon, beschreibt die vedische Wissenschaft jedoch noch eine zweite Form der Evolution, die für unsere Betrachtungen der Reinkarnation wesentlich interessanter ist – die Evolution des Bewußtseins. Mit anderen Worten, es sind nicht nur die einzelnen Körperformen, die sich entwickeln, sondern auch jede einzelne individuelle Seele, die durch verschiedene Lebensformen aufwärts wandert und so ihr Bewußtsein allmählich erhebt.
Die einzelnen Stufen dieser Bewußtseinsevolution stimmen im großen und ganzen mit den Entwicklungsstadien der darwinistischen Evolutionstheorie überein, also: Mikroben, Pflanzen, Insekten, Reptilien, Vögel, Säugetiere und schließlich Menschen. Die Angaben zu diesen Entwicklungsstufen finden wir in der Schrift Vishnu Purana.
Dort heißt es, daß es innerhalb des Universums insgesamt 8.400.000 verschiedene Lebensformen gibt, die sich gemäß dem Evolutionsstand ihres Bewußtseins grob in folgende Kategorien aufgliedern lassen: 900.000 Wasserlebewesen, 2.000.000 unbewegliche Körperformen, wie Pflanzen, 1.100.000 Insekten und Reptilien, 1.000.000 Vogelarten, 3.000.000 Säugetiere sowie 400.000 verschiedene menschenähnliche Körperformen.
(Von diesen 400.000 menschenähnlichen Lebensformen sind diejenigen, die wir auf dem Erdplaneten kennen, nach vedischen Angaben übrigens nicht die am höchsten entwickelten; im nächsten Unterkapitel über die Reinkarnation in anderen Dimensionen werde ich noch darauf zu sprechen kommen.)
Die eingangs gestellte erste Frage, ob auch die Tiere unter dem Gesetz des Karma stehen und sich durch ihre Wünsche und Tätigkeiten verschiedene Körperformen schaffen können, läßt sich nunmehr leicht beantworten. Die vedische Wissenschaft besagt, daß sämtliche Lebewesen, die sich „unterhalb“ der menschlichen Lebensform befinden (also Tiere, Pflanzen und Mineralien), in bezug auf ihr Verhalten noch vollständig der Herrschaft durch die höheren Naturgesetze – den „Instinkt“, d.h. durch die Überseele – unterstehen und keine andere Wahl besitzen, als sich an diese Gesetze zu halten.
Da sie nicht die Möglichkeit haben, sich bewußt gegen die Naturgesetze zu stellen oder diese abzulehnen, schaffen sich die Tiere auch keine belastenden karmischen Reaktionen und schreiten daher in ihrer Bewußtseinsevolution allmählich aufwärts – von weniger bewußten Lebensformen zu immer bewußteren. Dieser Vorgang findet ganz natürlich statt, genauso wie sich ein Kind natürlicherweise und ohne eigenes Zutun im Laufe der Zeit zu einem erwachsenen Menschen entwickelt. So evolviert die spirituelle Seele durch die Körper von Mikroben, Pflanzen, Insekten, Reptilien, Vögeln und Säugetieren, bis sie allmählich wieder die menschliche Lebensform erreicht.
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Der menschliche Körper
Ist die Seele so auf ihrer Wanderschaft durch alle möglichen Lebensformen und Erfahrungen schließlich in einem menschlichen Körper angelangt, hat sie ihr Bewußtsein so weit entwickelt, daß sie das göttliche Potential des freien Willens voll entfalten kann.
Der menschliche Körper nimmt unter allen Lebensformen also insbesondere deshalb eine einzigartige Stellung ein, weil er der Seele erstmalig eine bewußte Handlungs- und Entscheidungsfreiheit läßt, durch die sie ihr Verhalten selbst bestimmen kann; in tierischen oder pflanzlichen Körpern besitzt die Seele diese Freiheit nicht (statt dessen wird sie, wie oben erwähnt, von der Überseele, dem sogenannten „Instinkt“, geleitet).
Dem Menschen ist es freigestellt, weiterhin im Einklang mit den für ihn geltenden Naturgesetzen zu leben oder aber diese durch Mißbrauch seines freien Willens bewußt abzulehnen. Tut er dies, muß er sich allerdings vor dem Gesetz des Karma für seine Entscheidungen verantworten. Daher heißt es, daß die menschliche Körperform den eigentlichen Knoten- oder Wendepunkt in der Evolution des Bewußtseins darstellt.
Diese Lebensform hat den einzigartigen Vorteil, daß wir uns durch die richtige Verwendung unserer höheren Intelligenz und unseres freien Willens, die uns Menschen von Natur aus gegeben sind, mit geistigen und spirituellen Themen beschäftigen und auf diese Weise weiter erheben und letztlich sogar aus dem Kreislauf der Wiedergeburten ausbrechen können.
In der Tat ist diese höhere Intelligenz und die Möglichkeit der Entfaltung und Spiritualisierung des Bewußtseins sogar das einzige, was der menschliche Körper dem tierischen wirklich voraus hat. In den meisten anderen Belangen finden sich im Tierreich Körperformen, die der des Menschen überlegen sind:
Es gibt Tiere, die beträchtlich besser sehen als der Mensch (wie z.B. Mäusebussarde oder Bienen, die selbst im UV-Spektrum sehen); solche, die besser hören können (z.B. Fledermäuse, die sogar Ultraschallwellen wahrnehmen), und solche, die besser riechen (z.B. Hunde) oder tasten (z.B. Schlangen) können.
Es gibt Tiere, die öfters Geschlechtsverkehr genießen als der Mensch (z.B. Tauben), solche, die mehr schlafen oder mehr essen können (z.B. Bären oder Elefanten), und solche, die eine längere Lebensspanne besitzen (z.B. Schildkröten). Die meisten Tiere besitzen die besseren natürlichen Waffen, um sich zu verteidigen, oder sie können sich schneller fortbewegen oder besser verstecken als der Mensch, und manche Arten können sogar fliegen.
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Devolution des Bewußtseins
Nimmt der Mensch die ihm gebotene seltene Möglichkeit zur spirituellen Erhebung jedoch nicht wahr und richtet seine Wünsche und Lebensziele ausschließlich auf diejenigen Tätigkeiten, die er mit den Tieren gemein hat – wie Essen, Schlafen, Verteidigung und Fortpflanzung zur Erhaltung der Art –, so kann es sein, daß er aufgrund dieser Wünsche und seines dementsprechenden Handelns (Karma) auch wieder nichtmenschliche Lebensformen annehmen wird.
Mit anderen Worten: Prinzipiell kann die spirituelle Seele von der menschlichen Lebensform aus in jede beliebige Richtung weiterwandern, das heißt, sie kann in jede beliebige der 8.400.000 Spezies innerhalb des Universums eingehen, ganz nach ihren Wünschen und ihren daraus resultierenden Tätigkeiten gemäß den drei Erscheinungsweisen (Gunas) der Natur – also auch in Tierformen. Dies bezeichnen wir dann als Devolution (Erniedrigung) des Bewußtseins.
In der Bhagavad-gita (14.14–18) wird beschrieben, daß Menschen, die von der Erscheinungsweise der Tugend beeinflußt sind und sich mit der Entwicklung spirituellen Wissens beschäftigen, sich nach dem Tode allmählich in höhere Daseinsformen in höherdimensionalen Sphären erheben können, während Menschen, die vornehmlich in der Erscheinungsweise der Leidenschaft leben und vorwiegend materialistischen Tätigkeiten zur Verbesserung ihres körperlichen Wohlbefindens nachgehen, erneut als Menschen auf der Erde wiedergeboren werden.
Menschen hingegen, die ausschließlich unter dem Einfluß der Erscheinungsweise der Unwissenheit handeln, können, wenn sie es wollen, nach dem Tode auch wieder in niedere Lebensformen sinken.
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Argumente und Gegenargumente
Die vedische Aussage, wonach der Mensch bei bestimmtem Verhalten und bei Mißbrauch seiner höheren geistigen Fähigkeiten ausschließlich zum Zwecke animalischer Befriedigung auch wieder zu tierischen Lebensformen degenerieren kann, ist im Abendland eigentlich erst seit der Aufklärung und dem Aufkommen des bedingungslosen „Fortschritts“-Denkens umstritten.
Gerade auch unter den zeitgenössischen Vertretern des Reinkarnationsdenkens gehört diese Frage („Kann der Mensch auch als Tier wiedergeboren werden?“) zu den am meisten diskutierten.
Ich werde im folgenden einige der Argumente für beide Standpunkte anführen, und obwohl mir die vedische Version sinnvoller erscheint, kann und will ich im Rahmen dieses Buches nicht den Anspruch erheben, diese Frage erschöpfend zu behandeln oder gar meine Ansicht zu beweisen.
Während die großen Philosophen der Antike (beispielsweise Pythagoras, Sokrates, Platon, Ovid oder Origenes, die in Kapitel 5 und 6 noch ausführlich zu Worte kommen werden) noch von der Möglichkeit der erneuten Erniedrigung überzeugt waren, sind sich die Denker der Neuzeit nicht mehr vollends einig. So berichtet beispielsweise Karl Lessing über seinen Bruder, den bereits angeführten großen Verfechter des Reinkarnationsgedankens G.E. Lessing:
In den letzten Jahren seines Lebens war auch eine seiner Lieblingsideen die Seelenwanderung. Vermutlich sollte das Bruchstück von der „Möglichkeit mehrerer Sinne“ (1778) gleichsam Vorbereitung und Einleitung zu seiner Abhandlung von der Seelenpräexistenz und Metempsychose sein.
Aus seinen mündlichen Unterredungen erinnere ich mich nur so viel: Die menschliche Seele, glaubte er, wäre schon in viele Körper gewandert und immer aus dem letztern vollkommener gekommen, als aus dem vorhergehenden; es könnte sein, daß sie auch anfangs gar in tierischen Körpern gewesen und durch Veranlassung endlich in menschliche übergegangen, aus denen sie noch in weit edlere Wesen wandern würde, wenn sie nicht vorsätzlich dieser Veredlung entgegen arbeitete.
Lessing ging also davon aus, daß es zwar natürlich sei, wenn sich der Mensch kraft seines höherstrebenden Geistes stetig in noch „weit edlere“ Körperformen erhöbe, daß es aber bei „vorsätzlicher Arbeit entgegen dieser natürlichen Veredlung“ durchaus auch möglich sei, daß das Gegenteil eintreffe, nämlich seine Erniedrigung.
Bei Rudolf Steiner hingegen, der eine Synthese zwischen der christlichen Heilslehre und gewissen Erkenntnissen der indischen Philosophie anstrebte, wird diese Möglichkeit abgelehnt. Da ich ihm und seiner anthroposophischen Lehre in Kapitel 5 einen ausführlichen Abschnitt widmen werde, sei hier nur so viel gesagt: Steiner spricht – in Anlehnung an Goethe – von „Metamorphose und Steigerung“ und vertritt, wie andere Gegner der Devolution auch, die Ansicht, daß die Seele niemals degenerieren könne, daß sie also, nachdem sie einmal die menschliche Ebene erreicht habe, nicht wieder in tierische Formen zurücksinke.
Dies jedoch stünde, so argumentieren seine Gegner, im Widerspruch zum Gesetz des freien Willens, wonach die eigenen Wünsche sowie der Bewußtseinszustand im Augenblick des Todes über die nächste Körperform entscheiden.
Warum sollte es jemandem, für den der Zweck des menschlichen Lebens ausschließlich darin besteht, seine tierischen Bedürfnisse zu befriedigen, nicht vergönnt sein, diese seine Wünsche in einem passenderen Körper auszuleben? Warum sollte die Natur einen Menschen zwingen, spirituellen Fortschritt zu machen und sich geistig zu erheben, der sich doch dagegen wehrt und der die Freuden des Essens, des Schlafens und der Sexualität jeglicher geistigen Betätigung vorzieht?
Außerdem fällt es schwer, die Behauptung der „stetigen Steigerung“ des menschlichen Bewußtseins auch in der Praxis nachzuweisen. Hierzu bemerkte schon der deutsche Philosoph und Dichter Johann Gottfried Herder (1744–1803) vor zwei Jahrhunderten, daß die Erde wohl anders aussehen und vortrefflichere Menschen aufweisen müsse, wenn sich der Mensch mit jeder Inkarnation erheben würde und wenn Persönlichkeiten wie Homer, Pythagoras oder Sokrates immer wieder erschienen und „von Jahr- zu Jahrhunderten gewachsen wären“.
Ein weiterer Einwand, den man in diesem Zusammenhang zuweilen hört, lautet, daß durch die Auffassung der Devolution die Tierwelt verachtend als „Strafanstalt für zurückversetzte Menschen“ betrachtet werde.
Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß es sich bei dieser „Zurückversetzung“ ja nicht im eigentlichen Sinne um eine Strafe handelt, sondern daß die Naturgesetze der betreffenden Seele einfach denjenigen Körper zur Verfügung stellen, den sie sich wünscht und in dem sie ihre mannigfaltigen Begierden am besten und am ungehindertsten erfüllen kann. So gesehen ist dies nicht eine Bestrafung, sondern in gewissem Sinne sogar eine Gnade.
Durch die Möglichkeit der Devolution werden auch die Tiere in den gesamten Werdegang des Lebens miteinbezogen und bleiben so nicht einfach nur unbeseelter Gegenstand und Objekt, mit dem wir Menschen machen können, was wir wollen.
Die vedische Ansicht erzieht somit den Menschen zum Respekt auch vor den Seelen in Tierkörpern, die als Mitgeschöpfe und Mitbewohner dieser Erde betrachtet werden, und damit auch zu einem erweiterten Verständnis des Prinzips der Nächstenliebe und der Gewaltlosigkeit.
Wie sonst könnten wir einen wirklich echten Zugang zu den Tieren, eine Anteilnahme und ein Einfühlungsvermögen finden, wenn wir sie nicht als beseelte Lebewesen mit individuellen Gefühlen und Wünschen ansähen, die sich von uns Menschen lediglich durch die Art ihres Körpers unterscheiden? Hierzu finden wir eine illustrative Tagebuchnotiz des amerikanischen Dichters und Philosophen Henry David Thoreau (1817–1862), der schreibt:
Heute nachmittag besuchte ich eine Tierschau. ... Worin besteht der Unterschied zwischen einem wilden Tier und einem gezähmten? Um wieviel mehr gleicht doch das eine dem Menschen als das andere! Mit welcher Schönheit und Grazie er knurrt, scharrt und brüllt und sich doch nicht zähmen läßt, der bengalische Königstiger oder der Leopard.
Sie besitzen Persönlichkeit und Würde gleich einer anderen Gattung von Mensch. ... Man kann nicht umhin, an Seelenwanderung zu denken; nicht eine Grille der Poeten, doch eine Urahnung der Wesen. (26.6.1851)
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Vegetarismus als praktische Konsequenz
In das Umfeld dieser Fragestellung gehört als praktische Konsequenz auch die Thematik der vegetarischen Ernährung, auf die ich hier jedoch nicht allzu detailliert eingehen will. (Ich habe zu diesem Thema eine gesonderte kleine Schrift mit dem Titel „Vegetarisch leben – Die Notwendigkeit fleischloser Ernährung“ verfaßt, aus deren Kapitel über Karma ich in der Folge die wichtigsten Gedanken übernehmen werde.)
Die aus dem Reinkarnationsgedanken abgeleitete Forderung nach Mitgefühl und Anteilnahme am Leben anderer Geschöpfe führt wohl jeden nachdenklichen Menschen zu dem Schluß, daß wir kein Recht besitzen, anderen Lebewesen unnötig Gewalt anzutun.
Und dies schließt in letzter Konsequenz auch das Tieretöten und das Fleischessen mit ein. So bemerkt Magnus Schwantje (1877–1959), einer der ersten großen Vorkämpfer für Vegetarismus und Tierschutz, der im Jahre 1902 den Begriff „Ehrfurcht vor dem Leben“ prägte:
Auch wenn wir gar nicht hoffen könnten, daß jemals alle Menschen zur vegetarischen Lebensweise übergehen werden, hätte niemand deswegen das Recht, Fleisch zu essen. Ein Unrecht bleibt auch dann ein Unrecht, wenn alle es verüben. ... Ich sage ja nicht, daß jeder Mensch, der vegetarisch lebt, gerecht sei, sondern, daß jeder, der nicht vegetarisch lebt, dadurch ungerecht handelt.
Aus diesem Grunde waren auch die meisten Philosophen der Antike überzeugte Vegetarier, ja Pythagoras forderte dies sogar von jedem, der als „wahrer Philosoph“ anerkannt werden wolle. Er sagte: „Alles, was der Mensch den Tieren antut, kommt auf den Menschen wieder zurück.“ (Mit der gleichen Argumentation ließe sich übrigens auch viel zum aktuellen Thema der grausamen Praktiken in der Vivisektion sagen.)
Die Begründungen, die uns die vedische Kultur für die vegetarische Lebensweise liefert, gehen jedoch selbst über die vorbildhaften ethischen und moralischen Motive eines Pythagoras hinaus und beleuchten zudem auch die esoterischen Hintergründe und Konsequenzen des Fleischessens.
Denn während sich viele moderne Philosophien und Religionen nicht einmal im klaren darüber sind, ob Tiere nun eine Seele und damit ein Recht auf Leben haben oder ob sie einfach folgenlos getötet werden können, finden wir in den vedischen Schriften hierzu eindeutige Aussagen.
Die vedische Wissenschaft und das darin enthaltene Verständnis des Karma-Gesetzes deckt die direkten zerstörerischen Folgen des Tieretötens, sowohl im individuellen als auch im kollektiven Bereich, auf. Sie beschreibt, daß die Seele eines vorzeitig getöteten Tieres noch einmal in derselben tierischen Form Geburt nehmen muß und so auf ihrem Pfad der fortschreitenden Evolution aufgehalten wird.
Die Naturgesetze sehen vor, daß jedes Lebewesen für eine bestimmte Zeit in einem bestimmten Körper bleiben und die diesem Körper zugeteilte Zeitspanne durchlaufen muß, bevor es zu einer höheren Lebensform erhoben werden kann. Wer nun unnötigerweise ein Tier tötet, hindert es daran, die festgelegte Dauer, die es in seinem Körper verbringen muß, zu vollenden.
Auch wer das Tier nicht selbst tötet, sondern diese Arbeit dem professionellen Schlächter überläßt, schneidet sich ins eigene Fleisch; denn gemäß dem Karma-Gesetz bekommen alle Beteiligten – derjenige, der das Tier züchtet, der es tötet, der das Fleisch verkauft, der es kocht, der es serviert und der es ißt – entsprechende Karma-Reaktionen.
Wie bereits angeführt, gilt aber das Gesetz des Karma nicht nur individuell, sondern auch kollektiv, das heißt, es gilt auch in bezug auf die guten und schlechten Handlungen, die eine ganze Gruppe von Menschen (Familie, Gemeinde, Nation, ja die Bevölkerung eines gesamten Planeten) gemeinsam ausführt oder toleriert.
Wenn die Menschen kollektiv sicherstellen, daß die Schöpfungsgesetze eingehalten werden, profitiert die gesamte Gesellschaft. Wenn jedoch eine Gesellschaft ungöttliche, ungerechte und gewalttätige Handlungen fördert oder zuläßt, wird sie unter den entsprechenden kollektiven Karma-Reaktionen zu leiden haben, was sich beispielsweise durch Kriege, Naturkatastrophen, Seuchen oder Epidemien äußern kann.
Mit anderen Worten: Die Würstchenbude oder der Schlachthof um die Ecke haben weit mehr mit der Bedrohung der Menschheit zu tun als alle Raketen und Atomwaffen der Welt, die ja nicht Ursache der Zerstörung sind, sondern höchstens das Medium, durch das sich die Zerstörung manifestiert.
Die Ursache hingegen liegt in den Verstößen des Menschen gegen die für ihn geltenden Naturgesetze. Der russische Schriftsteller, Sozialkritiker und überzeugte Vegetarier Leo Tolstoi (1828–1910) hielt diesen traurigen Sachverhalt einst mit der folgenden treffenden Bemerkung fest:
Solange es Schlachthäuser gibt,
wird es auch Schlachtfelder geben.
Und der griechische Philosoph und Historiker Plutarch (um 45– 125) führt aus:
Könnt ihr wirklich die Frage stellen, aus welchem Grunde sich Pythagoras des Fleischessens enthielt? Ich für meinen Teil frage mich, unter welchen Umständen und in welchem Geisteszustand es ein Mensch das erstemal über sich brachte, mit seinem Mund Blut zu berühren, seine Lippen zum Fleisch eines Kadavers zu führen und seinen Tisch mit toten, verwesenden Körpern zu zieren, und es sich dann erlaubt hat, die Teile, die kurz zuvor noch gebrüllt und geschrien, sich bewegt und gelebt haben, Nahrung zu nennen. ... Um des Fleisches willen rauben wir ihnen die Sonne, das Licht und die Lebensdauer, die ihnen von Geburt an zustehen. (aus der Abhandlung „Über das Fleischessen“)
Viele Menschen fürchten sich heute vor einem Krieg, aber gleichzeitig lassen sie es zu, daß Tag für Tag in Schlachthöfen, Mastfabriken und Tierversuchslaboratorien auf der ganzen Welt mindestens ebenso grauenvolle Massaker durchgeführt werden – und erkennen nicht, wie eng diese Gewaltaktionen miteinander verbunden sind.
Wer diese Zusammenhänge versteht, wird angesichts der heutigen Weltsituation sehr nachdenklich werden. Denn obwohl der Fleischverzehr im deutschsprachigen Raum seit Ende der achtziger Jahre etwas zurückgegangen ist, steigt trotz aller Warnrufe der weltweite Fleischkonsum immer mehr an.
Die Statistiken besagen, daß sich in den Industrienationen der jährliche Pro-Kopf-Fleischverzehr seit dem Zweiten Weltkrieg dast verdoppelt hat, und in den vergangenen Jahren sind die westlichen Fleischkonzerne auch in den geöffneten Ostblock eingedrungen, um vom neuen, hungrigen Markt zu profitieren.
Mit irreführenden und falschen Werbesprüchen wie „Fleisch ist gesund“ werden die Konsumenten zum Fleischverzehr animiert, neue Mastbetriebe und Schlachthöfe werden mit staatlicher Hilfe aus dem Boden gestampft, und immer neue Länder werden von den Fleisch- und Hamburger-Multis heimgesucht. (Das Milliardenvolk der Chinesen ist das neueste Zielpublikum.) Auf diese Weise vergrößert sich die globale Last des kollektiven Karma von Jahr zu Jahr.
Was aber können wir als Einzelpersonen angesichts dieser vermeintlichen Übermacht tun? – Nun, wir können bei uns selbst beginnen!
Das Gesetz des Karma läßt uns nicht nur die drohenden globalen Reaktionen des Fleischessens erahnen, sondern es zeigt uns zugleich auch den praktischen Ausweg. Denn selbst wenn unser persönliches Umsteigen auf die vegetarische Lebensweise weltweit nicht viel zu ändern scheint, ändert dieser Schritt doch sofort unser individuelles Karma!
Und das kollektive Karma ist nichts anderes als die Summe der gesamten individuellen Karma-Reaktionen aller Menschen. So reduziert jede einzelne zusätzliche Person, die die selbstmörderische Entwicklung der heutigen Zeit nicht mehr unterstützt, auch das kollektive schlechte Karma, das über der heutigen Menschheit schwebt.
Dies ist der große Beitrag, den jeder einzelne von uns für sich und für die Welt leisten kann: diesen wichtigen Schritt – vegetarisch leben – zu vollziehen.
Abgesehen von den karmischen Aspekten, hat uns das Fleischessen auch in einen ökologischen Teufelskreis geführt, denn zur Futterbeschaffung des Schlachtviehs in Europa und den USA werden systematisch riesige Waldflächen in der dritten Welt abgerodet, was sich auf den Sauerstoffhaushalt unseres Planeten katastrophal auswirkt.
Die Tatsache, daß bei einem derartig überhöhten Futtermittelanbau die Eigenproduktion von Nahrungsmitteln für Menschen in diesen Ländern zu kurz kommt, verschärft das dort ohnehin schon vorhandene Hungerproblem beträchtlich. Dazu kommt eine regelrechte Gülleverseuchung der Meere durch nitrathaltige Abwässer der Viehhöfe (Algenschwemme), ganz zu schweigen von der maßlosen Verschwendung der Trinkwasserreserven unseres Planeten auf den Viehhöfen.
Mit anderen Worten: Das Essen von Fleisch ist nicht bloß eine Privatsache! Zu groß sind die Schäden, die dadurch angerichtet werden – für die eigene Gesundheit, für die Tiere, für die Umwelt, ja für den gesamten Planeten.
Um also den anstehenden Problemen unserer krisengeplagten Welt (Gewalt, Kriegsgefahr, Umweltzerstörung, Nahrungsmittelvergeudung usw.) zu begegnen, brauchen wir Menschen, die verstehen, wie das Gesetz des Karma wirkt und wie wir mit einem solch geläuterten Bewußtsein handeln können, daß unsere Tätigkeiten keine destruktiven Reaktionen mehr nach sich ziehen. Niemand darf sich Hoffnungen machen, daß die wachsenden Weltprobleme gelöst werden können, solange wir nicht als einzelne bereit sind, unseren eigenen Lebensstil zu ändern – und der Vegetarismus ist ein erster konstruktiver Schritt in diese Richtung.
KAPITEL 4: PRAKTISCHE FRAGEN ZUR REINKARNATION - REINKARNATION ALS TIER
Pflanzenessen und Karma
Bringt jedoch nicht auch die vegetarische Lebensweise karmische Reaktionen mit sich? Sind denn nicht auch Pflanzen beseelt und müssen getötet werden, um vom Menschen verzehrt zu werden? Gewalt läßt sich also auch für den Vegetarier nicht vollständig vermeiden.
Dieser Einwand, den man immer wieder hört, ist durchaus berechtigt. Es ist richtig, daß selbst ein Vegetarier manchmal töten muß, um sich seine Nahrungsmittel zu beschaffen, auch wenn es sich dabei nur um eine Gemüsepflanze handelt.
Auch ein Vegetarier könnte also beschuldigt werden, daß er von der Natur stiehlt, denn im Grunde kann der Mensch auf nichts in Gottes Schöpfung Besitzanspruch erheben. Diese Argumente sind wie gesagt berechtigt; aber ein Fleischesser ist wohl der letzte, der sie vorbringen darf!
Zunächst muß klar festgehalten werden, daß für die Beschaffung von reifen Früchten, Nüssen, Getreide, Milch und vielen Gemüsearten keine Lebewesen getötet werden. Die Kuh und die Pflanze leben nach dem Melken bzw. Pflücken weiter, und das Getreide wie auch die meisten Gemüsesorten sind zum Zeitpunkt der Ernte bereits tot.
Dennoch kommt es zuweilen vor, daß Vegetarier einer Pflanze das Leben nehmen, was dann tatsächlich gewisse geringe karmische Reaktionen nach sich zieht. Diese sind jedoch in keiner Weise mit den schweren Reaktionen zu vergleichen, die man für das Töten eines Tieres oder eines Menschen bekommt.
Die eigentliche Frage lautet also nicht, wie wir Gewalt gänzlich vermeiden können – was unmöglich ist –, sondern wie wir das Leid, das wir anderen Lebewesen zufügen, auf ein Mindestmaß beschränken und gleichzeitig die Nahrungsbedürfnisse unseres Körpers stillen können.
KAPITEL 4: PRAKTISCHE FRAGEN ZUR REINKARNATION - REINKARNATION ALS TIER
Eine kleine Geschichte
Zum Abschluß unserer Diskussion über die Frage nach der Reinkarnation als Tier sei hier eine kleine Geschichte über den neupythagoräischen Philosophen Apollonius von Tyana (1. Jh.) angefügt, die wir dem Buch „Niemand stirbt für ewig“ des Theologen Kurt Allgeier entliehen haben:
Apollonius von Tyana in Kappadokien, vielleicht der letzte große griechische Philosoph, versuchte im ersten nachchristlichen Jahrhundert vor allem die Lehren des Pythagoras für die Nachwelt zu retten. Der Arzt, Astrologe, Mystiker und Wissenschaftler führte ein so bemerkenswertes, vorbildliches Leben, daß man ihn durch Jahrhunderte wie einen Heiligen verehrte, obwohl er kein Christ war.
In älteren Jahren reiste er nach Indien, um dort sein Wissen über die Seelenwanderung zu vertiefen. Wie sein großes Vorbild Pythagoras war auch er von der Wiedergeburt überzeugt.
In Alexandrien erlebte er eines Tages, wie ein Bettler mit einem zahmen Löwen an der Leine in den Tempel kam. Als das Tier zu Apollonius kam, legte es sich vor ihm nieder und leckte seine Füße. Die Leute, die das sahen, verwunderten sich und fragten den Philosophen: „Was hat das zu bedeuten? Es sieht ja aus, als würde der Löwe Sie kennen?“
Apollonius gab zur Antwort: „Dieser Löwe bittet mich, euch den Namen der menschlichen Seele zu verraten, die sich in ihm verkörpert hat. Es handelt sich um Amasis. Er war König von Ägypten.“ Kaum hatte er das gesagt, begann der Löwe laut zu seufzen. Tränen rannen aus seinen Augen.
Der Philosoph strich ihm durch die Mähne und sagte zu den Umstehenden: „Ich meine, dieser Löwe sollte nach Leontopolis gebracht werden, damit er dort im Tempel leben kann. Es schickt sich nicht, daß ein König, dessen Seele in dieses königliche Tier übergegangen ist, wie ein Bettler umherirrt.“
Niemand wagte es, Apollonius zu widersprechen, nicht einmal der Bettler, der seinen Broterwerb verlor, und auch nicht der Priester. So kam der Löwe in den Tempel.
Es scheint, als wäre in früheren Jahrhunderten die Seelenwanderung durch sämtliche Bereiche des Lebens, also auch durch das Tier- und selbst das Pflanzenreich selbstverständlicher erschienen, als dies heute der Fall ist. (S. 124f.)
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