Der Katakombenpakt

Hintergründe zum Zweiten Vatikanischen Konzil: 1965 verabschiedeten 40 Bischöfe in Rom unter Papst Paul VI. eine radikale Selbstverpflichtung
 


 

 

Transkription der TV-Sendung durch Helga Ehrhardt (siehe auch Blog-Eintrag #016):

 

DER KATAKOMBENPAKT - Das geheime Vermächtnis des Konzils

 

Information zur Sendung:

Die Szene hat etwas Geheimnisvolles: Am 16. November des Jahres 1965 steigen in Rom rund 40 Bischöfe - Teilnehmer des Zweiten Vatikanischen Konzils - in die Domitilla-Katakomben hinab, feiern einen Gottesdienst und unterzeichnen eine radikale Selbstverpflichtung.

 

Buch und Regie:  Bernd Seidl und Wolfgang Rommel

ARD 26.11.2012   -   23.40 h 43:42 min

 

ARD - Mediathek

http://www.ardmediathek.de/das-erste/reportage-dokumentation/der-katakombenpakt-das-geheime-vermaechtnis-des-konzils?documentId=12577546


Inzwischen (Juni 2013) auch auf YouTube:  http://www.youtube.com/watch?v=4DLgt8p0UIM 

 


 

 

TRANSKRIPTION

 

 

Dom Helder Camara: „Hilf mir, dass ich mich von dem Titel „Exzellenz“ verabschiede.  "Wenn ich zurückkomme will ich nur noch ein kleines Auto vorfinden, das in den Augen der Armen kein Skandal ist. Und wohin mit dem Bischofsthron(?)? Bin ich verrückt geworden?“

 

Nächtliche Notizen aus der Feder eines katholischen Bischofs. Dom Helder ist aus Brasilien nach Rom gereist. In der Ewigen Stadt herrscht Aufbruchsstimmung. Das 2. Vatikanische Konzil - Bischöfe aus allen Erdteilen - ringen um den Weg der Kirche in der modernen Welt. Zuhause nennen sie ihn „Bischof der Armen“.

 

Er wird eine wichtige Rolle hinter den Kulissen des Konzils spielen, und er hat einen Plan. Er will die Kirche befreien von Prunk und autoritären Strukturen. Was Dom Helder vorhat ist gefährlich für die Mächtigen in der Welt und im Vatikan.

 

50 Jahre nach dem Konzil – abgeschottet von Sicherheitsbeamten – wirkt der Papst wie ein Monarch, weit weg von den Problemen der Welt. Die Aufbruchsstimmung der Konzilsjahre ist verflogen. Die Katholische Kirche steckt in einer tiefen Krise. Die Symptome: ein enormer Vertrauensverlust, sexueller Missbrauch von Kindern durch Priester, den die Bischöfe und der Vatikan vertuscht haben, dazu Kirchenaustritte, Priestermangel, Reformstau. Machtspiele im Vatikan sorgen für negative Schlagzeilen. Die Kluft zwischen Kirche und moderner Gesellschaft wird größer.

 

Eine ähnliche Kirchenkrise gibt es bereits in der Zeit vor dem Konzil. Die Bischöfe wollen nicht mit Verboten reagieren, sondern nach neuen Wegen suchen, um den Glauben zu vermitteln.

 

Bischof José Maria Pires: „Wir konnten plötzlich Menschen aus anderen Kulturen kennenlernen, mit anderen sprechen. Wir versuchten, uns zu verständigen und wir wollten besser verstehen, welche Rolle die Kirche in der modernen Welt spielen soll.“

 

Bischof Luigi Bettazzi: Das Konzil fand in einer für die Kirche sehr schwierigen Phase statt. Niemand hatte mehr an die Möglichkeit eines Konzils gedacht. Es hieß: „Der Papst ist unfehlbar - soll  ER  das doch machen!“ Papst Johannes hingegen antwortete: „Nein, ein Konzil muss her.“  Das Konzil hat die Kirche erneuert, die zu jener Zeit wie gelähmt und blockiert durch Papst Pius, den XII war.“

 

Dom Helder Camara will die Blockaden brechen, aber er weiß auch, die Kurie wird alles tun, um die Reformen zu verhindern. Rom will keinen Aufbruch.

 

Dom Helder: „ Ich glaube, nach menschlichem Ermessen kann man nicht viel erwarten, trotzdem werde ich beim Konzil dabei sein, denn der “ Heilige Vater“ hat uns aufgefordert, als Bischöfe zu sprechen, und das werden wir tun, so gut wie wir es können.“

 

Brasilien, die Heimat von Dom Helder, ist das Land mit den weltweit meisten Katholiken. Wachstum, aber auch eine tiefe Kluft zwischen Arm und Reich prägen das aufstrebende Land in Südamerika. In Rio de Janeiro ist Dom Helder Weihbischof, als das Konzil beginnt. Geschickt nutzt er sein Organisationstalent für den Kampf gegen die Ungerechtigkeit in seiner Heimat.

 

Maria Lúcia Moreira: „Der Einsatz für die Armen war ständig sein Thema. In allem, was er schrieb und was er tat, war diese Liebe zu den Armen spürbar. Er sah in allen, die unverschuldet aus der Gesellschaft ausgeschlossen waren, ein Abbild von Christus.“

 

In den Katakomben unter der Via Appia, der alten Römerstraße, folgt Dom Helder in Rom den Spuren der ersten Christen - eine geheimnisvolle Welt in der antiken Begräbnisstätte der römischen Christen.

 

Dom Helder: „Ich liebe die Katakomben – ich habe heute eine Messe hier gehalten – der ganze Morgen war ein Geschenk des Himmels.“ Hier reift sein Plan  -  in den kommenden 4 Jahren will er alles dafür tun, dass die Kirche sich den Problemen der Welt von heute und den Armen zuwendet. Dazu sucht er schon bald Mitstreiter.

 

Maria Lúcia Moreira: „Dom Helder verband mit dem Konzil die große Hoffnung, die Kirche verändern zu können. Er wollte, dass die Kirche arm sei, dienen sollte, anstatt bedient zu werden.“

 

Dom Helder Camara: „ Undenkbar, dass wir nach Hause zurückfahren und sagen, wir haben uns nur mit Liturgie und Theologie beschäftigt. Zu Recht würden sich dann die Menschen darüber aufregen, dass wir keine Antenne hatten für die gravierenden Probleme, die auf ihnen lasten.“

 

Er findet Bischöfe und Mitarbeiter, die ähnlich denken. Die Gruppe nennt sich „Kirche der Armen“ und trifft sich im Hause der belgischen Bischöfe.

 

„Ergreifen wir doch selbst die Initiative und legen unsere Titel wie „Eminenz“,  „Euer Gnaden“,  „Exzellenz“ ab. Hören wir auf, wie Adlige zu leben. Wir sollten einfach leben  auch in der Art, wie wir uns kleiden. Machen wir unsere Autorität nicht von der Fabrikmarke unserer Kleidung abhängig.“

 

Kardinal Roger Etchegaray:  „Es ging um eine dienende und arme Kirche, denn die Kirche darf sich nicht damit zufrieden geben, auf die Armen zuzugehen, sie muss auf die eine oder andere Weise selbst arm sein. Für mich ist das bis heute die große Herausforderung unserer Zeit.“

 

Wie arm soll die Kirche sein? Papst Benedikt, der XVI. forderte bei seinem Deutschlandbesuch 2011, die Kirche solle auf Privilegien verzichten, doch er selbst profitiert davon. Für seine Visite zahlen die Katholiken rd. 36.500.000.- Euro.

 

Die Katholische Kirche ist reich. Die Diözesen besitzen Immobilien, sogar eine große Mediengruppe. Die Kirchensteuer garantiert regelmäßige Einnahmen, etwa 4.9 Milliarden Euro pro Jahr. Mancher Kirchenfürst will auf prunkvolle Statussymbole nicht verzichten. In Limburg lässt sich Bischof T. v. Elz eine Privat-Kapelle bauen, die so viel kostet wie ein Einfamilienhaus, rd. 300.000.- Euro.

 

Ganz anders Papst Johannes, der XXIII. Er kommt aus einfachen Verhältnissen und gilt als Übergangspapst. Doch Ende der 50er Jahre überrascht er die Welt. Er will die Kirche erneuern. Ein Konzil soll ihm dabei helfen. Einen Monat vor der Eröffnung erklärt der Papst im Radio, was er vorhat. Nach innen und nach außen soll sich die Kirche neu orientieren. Sie sei offen für alle Menschen – sagt der Papst – sie verstehe sich aber vor allem als eine Kirche der Armen.

 

Doch als das Konzil in Rom am 11. Oktober 1962 beginnt, ist im Petersdom von Bescheidenheit wenig zu spüren.

 

Dom Helder Camara: Dieses ganze Gehabe der Renaissance – ein Übermaß an Pomp. Was mir das Herz zerriss, war zu sehen, wie die einfachen Gläubigen ausgeschlossen waren.“

 

Die Römische Kurie versucht, das Konzil zu beherrschen. Die wichtigen Kommissionen will sie mit eigenen Leuten besetzen. Schon in der 1. Sitzung sollen die Bischöfe vorbereitete Listen absegnen.

 

Dom Helder bekommt einen Hinweis auf die geheime Taktik der Kurie. Sofort knüpft er ein Netzwerk. Der Coup muss verhindert werden. Die Bischöfe wollen nicht nur Statisten sein, aber alleine schaffen sie es nicht gegen die Konzilsordnung vorzugehen. „Wir müssen dafür ein Dutzend Kardinäle gewinnen. Sie sollen einer nach dem anderen in der Konzilsaula aufstehen und dem Generalsekretär entgegnen: „Nein, wir bitten um einige Tage Aufschub, damit wir uns kennenlernen können.“

 

Die Bischöfe setzen sich durch und lehnen die vorbereiteten Listen ab und stellen eigene Kandidaten auf. Ihr Einfluss wächst.

 

„Das hat alles auf den Kopf gestellt und erlaubte es dem Konzil, unabhängig zu werden und seine ganz eigene Gestalt zu entwickeln.“Die Brasilianischen Bischöfe wohnen im Domus Mariä in der Via Aurelia. Dom Helder macht dieses Haus zu einem inoffiziellen Treffpunkt hinter den Kulissen des Konzils.

 

Kardinal Roger Etchegaray: „Wir beschlossen, uns dort zu treffen, nicht um gegen das Konzil zu agieren, sondern um uns besser kennenzulernen. Wir wollten gemeinsam über alles, was im Konzil passierte, nachdenken. Diese Gruppe war zwar nicht öffentlich, aber es gab andererseits auch keine Geheimnisse.“

 

Solche Treffen sind verboten. Trotzdem kommen jeden Freitag Vertreter der Bischöfe aus allen Erdteilen. Sie bereiten wichtige Entscheidungen vor. Dom Helder gewinnt den belgischen Kardinal Synens als Paten und als Freund – endlich gibt auch der Papst dem inoffiziellen Treffen seinen Segen. Die Bischöfe bestimmen jetzt die Tagesordnung des Konzils.

 

Bischof José Maria Pires: „Zu Beginn sollten wir über die Hierarchien in der Kirche diskutieren und wir sagten: „Nein, wir beginnen mit der Kirche des Volk Gottes und erst danach wird die Hierarchie behandelt, nämlich als Dienst am Volk Gottes.“

 

In den Nächten notiert Dom Helder, was er in Rom erlebt. Nachts um 2.00 h konnte man den Wecker läuten hören. Er hatte Gott versprochen, jede Nacht eine Stunde lang zu beten.

 

Bischof Luigi Bettazzi: „Zu mir sagte er einmal: „Ich kann das niemandem empfehlen, obgleich ich Gott danke, weil er mich anschließend bisher immer hat einschlafen lassen.“ Er stand auf, um zu beten und im Angesicht Gottes dachte er über die Ereignisse des Tages nach.“ In diesen Nächten schreibt er fast 300 Briefe an seine Mitarbeiter in Brasilien.

 

Dom Helder Camara:  „Verzeiht mir meine Träume – ich träume so sehr davon, die Kirche als Speerspitze im Einsatz für die Schwachen und Armen zu sehen.“

 

Damals gab es ja noch keine Emails, und dennoch schickte er seinen Freunden jeden Abend oder Morgen nach einer Sitzung einen Brief nach Brasilien. Das waren keine nüchternen Berichte, sondern Zeugnisse des Seelsorgers, dessen Herz für das Konzil schlug. Die Spur der nächtlichen Briefe führt in den Nordosten Brasiliens. 1964 wird Dom Helder zum Erzbischof der Diözesen Olinda und Recife ernannt.

 

Der Nordosten Brasiliens ist zu dieser Zeit ein besonders armer Landstrich. Dom Helder hat mitten im Armenviertel gelebt. Neben der Kirche in Recife befindet sich heute das Institut „Dom Helder Camara“.  In einem kleinen Archiv werden seine gesamten Schriften aufbewahrt, darunter eindrucksvolle Zeugnisse der Konzilszeit, auch die Originale der nächtlichen Briefe.

 

E. Borbosa:  „Es sind Tagebücher des Konzils. Wenn man die Briefe liest, bekommt man einen genauen Einblick in das, was dort diskutiert wurde, was er erlebt hat. Er erzählt sogar, welche Filme er sah. Es ist also ein Tagebuch, und da er alles so genau ordnete und nummerierte, meinen wir, dass er diese Briefe schrieb, damit sie eines Tages veröffentlicht würden. Es ist ein Stück Kirchengeschichte.“

 

 

In Rom bringt Dom Helder Experten, Soziologen und Theologen mit den Bischöfen zusammen. Er hat erkannt, wie wichtig deren wissenschaftliche Arbeit für das Verständnis der Kirche und der modernen Welt ist.

 

Sie beschäftigen sich zunächst mit der Reform des Gottesdienstes. Auch der Tübinger Theologe Prof. Hans Küng (damaliger theologischer Berater beim Konzil hält dazu einen Vortrag im Domus Mariä.

 

Prof. Hans Küng: „Das hat den Bischöfen tatsächlich die Augen geöffnet, und sie sahen jetzt plötzlich, dass das ja nicht alles steif sein muss, dass die Liturgie, die wir damals feierten, noch vor Konzilia, dass das die mittelalterliche Liturgie war – und so haben wir uns freigemacht, wieder auf die Ursprünge zurückzugehen, damit das Abendmahl als solches wieder in Erscheinung tritt und es zugleich an die heutige Zeit anzupassen,  indem man einige Dinge vereinfachte, Verdopplungen vermied, und vor allem natürlich die Volkssprache einführte.“

 

Dom Helder: „Wir müssen den Papst befreien vom Pomp des Vatikans, der so vielen Ärgernis ist und den Weg zur Einheit der Christen erschwert.“

 

Dom Helder knüpft Kontakte zu den Beobachtern, die der Vatikan zugelassen hat. Oft trifft er sich mit den protestantischen Brüdern aus Taizé zum Gebet und zum Gedankenaustausch. Von Oktober bis Dezember arbeiten die Konzilsväter in Rom. Sie wollen, dass sich die Kirche wieder mehr als Gemeinschaft versteht. Hinter den Kulissen wird auch über verheiratete Priester und die Weihe von Frauen gesprochen.

 

Bei einem Abendessen trifft DH Mitglieder einer Gemeinschaft aus Nazareth, die dort unter Arbeitern leben. Darunter ist auch Marie-Therese Lescase. Sie erzählte, ein Bischof habe sie dort zur Diakonin geweiht – ein Tabu, denn das Kirchenrecht verbietet das.

 

An diesem Abend entsteht die Idee, auch Monique, die ebenfalls in Nazareth arbeitet, zu weihen. DH will es sich überlegen. Aber was, wenn der Papst davon erfährt? Wird er es gutheißen? Wie viel Freiheit hat er überhaupt?

 

Dom Helder: „Der Papst erscheint mir wie ein Vogel im goldenen Käfig, aber es wird die Stunde kommen, in der Gott den Stellvertreter Christi vom Luxus und Pomp des Vatikans befreien wird.“

 

In seinen nächtlichen Notizen entwirft er Pläne für eine einfache Kirche, in der Bischöfe mehr Mitsprache bekommen, ohne moderne Inquisition, ohne päpstliche Diplomaten, ohne Prunk.

 

Die Kurie sieht die Gefahr, dass ihre Macht schwindet. Sie will die Mitsprache der Bischöfe beschränken. Die Reformgegner wittern ihre Chance, als Johannes, der XXIII., am 3. Juni 1963 stirbt.  

 

Paul, der VI., der neue Papst, zögert – er meidet Konflikte. Wird er die Reformpläne stoppen? Aber bald ist klar, das Konzil geht weiter.

 

Bischof J.M. Pires: „Da kam auf einmal dieser kleine Mann zu Fuß in die Kirche. Er hatte einen Bischofsstab wie wir, er hatte die goldene Krone, die Tiara, abgelegt, die nur der Papst trägt. Er setzte eine Mitra auf, wie wir sie trugen. Die Papstkrone hat er nie wieder aufgesetzt. Auch trug er nie wieder die weißen Handschuhe, nie wieder die besonderen Schuhe. Er trug nur noch normale Schuhe.

 

Diese Geste ohne Worte, das war ein Bekenntnis zur Armut, das alle beeindruckte. Die Konzilsväter setzen durch, dass es einen eigenen Text zur Kirche in der Welt von heute geben wird. Aber die Reform der Kirchenleitung gerät ins Stocken.

 

Als Dom Helder davon hört, dass eine kleine konservative Gruppe beim Papst interveniert und die Mitsprache der Bischöfe beschränken will, informiert er Reporter von Le Monde und Time-Magazin. Diese Indiskretionen helfen dem Konzil eine Bresche zu schlagen, wo nichts weitergeht – manchmal genügt schon eine Schlagzeile in der Zeitung.

 

In den Gärten über den Katakomben löst DH sein Versprechen ein, das er der Gemeinschaft aus Nazareth beim Abendessen gegeben hat. Er ruft die Heiligen an, legt Monique die Hände auf und weiht sie für ihren Dienst an den Armen.

 

Dom Helder: „Ich habe heute das getan, was schon verschiedene Bischöfe vor mir gemacht haben. Ich habe gehandelt als Nachfolger der Apostel. Und mit diesem Vertrauen habe ich meine Hände auf Monique gelegt, ohne mich groß zu fragen, was mit ihr geschieht.“

 

Bischof Luigi Bettazzi: „Er sagte, Gott wird schon wissen, ob das eine geweihte Diakonin ist oder nicht. Wenn so etwas ohne Polemik geschieht, eher als Vorschlag, so dass sich niemand davor verschließen kann, dann werden sich die Dinge langsam aber sicher ändern.“

 

Inzwischen sammelt das Staatssekretariat des Vatikans Material über DH. Dieser hat zwar einen guten Draht zu Papst Paul, dem VI., aber er hat auch Gegner in Rom und in den USA. Es ist die Zeit des kalten Krieges. Der brasilianische Bischof gilt als der „rote Bischof“ – als Kommunist. Je länger das Konzil dauert, desto mehr mischt sich der Papst ein. Paul, der VI. verbietet, über verheiratete Priester oder über Verhütungsmittel zu diskutieren.

 

Dom Helder: „Wird das Klima noch rauer? Es gibt eine kleine Gruppe, die so in ihrer extrem konservativen Meinung festgefahren ist, dass nur ein Wunder einen Fehlschlag verhindern kann.“

 

In den freien Stunden entwirft DH ein Programm für die Schlussfeier des Konzils. Der Papst soll die Arbeiter und die Armen von Rom einladen – dann ein historisches Treffen mit Vertretern aller Religionen und mit Atheisten.

  

Es wäre eine eindrucksvolle Demonstration des Friedens und einer Kirche, die den Dialog mit der modernen Welt nicht scheut. Alle 2500 Konzilsväter könnten Holzkreuze tragen, anstelle der prunkvollen Bischofskreuze.

 

„Wir dürfen das Konzil nicht zu Ende gehen lassen, ohne eine einmütige Demonstration unserer Entschlossenheit, die Türen und die Herzen zu öffnen für alle getrennten Brüder und für die gesamte Menschheit.“

 

Aber der Papst lehnte ab. Dom Helder und seine Mitstreiter bereiten daher ein geheimes Treffen in den Katakomben vor. Sie entwerfen ein 13 Punkte-Programm für die Zeit nach dem Konzil.

 

Eine Absage an Macht und Prunk.

 

„Wir verzichten für immer auf Reichtum, auf wertvolle Materialien, besonders in der Kleidung und bei den Insignien . Wir werden so viel wie nötig von unserer Zeit und unseren Mitteln dem Dienst an den Arbeitern und den Armen widmen. Wir wollen nicht mit Namen oder Titeln angeredet werden, die Größe und Macht ausdrücken wie „Eminenz“, „ Exzellenz“, „Monsignore“. Wir werden alles tun, dass unsere Regierungen Strukturen schaffen, die für die vollkommene Entwicklung jedes Menschen notwendig sind.“

 

Diesen Pakt wollen sie nach einem Gottesdienst in den Domitilla Katakomben unterschreiben. Dort gibt es eine unterirdische Kathedrale.

 

Bischof Luigi Bettozzi: „Diese Idee war auch deshalb schön, weil die Katakomben an die Anfänge der Kirche erinnern. Es ging aber auch um Vertraulichkeit. In einer normalen Kirche wäre die Sache sicherlich schnell herausgekommen. Die Katakomben boten die gewünschte Diskretion.“

 

16. November 1965- 3 Wochen vor Ende des Konzils Die Zeremonie beginnt mit einem Gottesdienst.

 

Bischof Benzotti: „Wir spürten deutlich, dass es ein bedeutender Moment war. Das Konzil hatte so etwas bis dahin nicht geschafft.“

 

40 Konzilsväter und ihre Mitarbeiter sind gekommen - Latein-Amerikaner, Afrikaner, Asiaten und Europäer. Was sie hier tun, wird ihr Leben und ihre Diözese verändern – einige von ihnen werden ihr Leben lang einander verbunden bleiben. Mit ihrer Unterschrift besiegeln sie ihre Selbstverpflichtung. Sie haben Kopien vorbereitet. Der Katakombenpakt soll nicht geheim bleiben.

 

„Jeder von uns hat dann eine der Kopien mitgenommen, um sie von anderen Bischöfen unterschreiben zu lassen. Am Ende waren es etwa 500 Unterschriften, die Kardinal Lercaro von Bologna dem Papst überreichen sollte. Sicherlich befinden sie sich heute im Geheim-Archiv des Vatikans. Da kommt man aber erst nach 70 Jahren heran.“

 

Doch es gibt noch eine andere Spur zu dem verschwundenen Dokument. In Bologna, im Archiv der Stiftung für religiöse Wissenschaften, lagern die persönlichen Notizen der Konzilsväter.

 

„Hier sind auch Originale des Katakombenpakts. Hier die Unterlagen von Kardinal Lercaro und von Bischof Himmer – auch er eine wichtige Persönlichkeit.“

 

Der Katakombenpakt gehört zu den großen Dokumenten in der Geschichte des 2. Vatikanischen Konzils.  Erst nach dem Konzil bei der Versammlung der Lateinamerikanischen Bischöfe in Medelin und Andepola wird sich die Kirche in diese Richtung bewegen -   die Option für die Armen. Das wird einer der Leitsätze in Medelin werden. Allerdings rückt das Thema „Armut“ nie ins Zentrum der Verkündigung der gesamten Kirche.

 

In Europa wird der Katakombenpakt bald nach dem Konzil in Vergessenheit geraten. Die Akten bleiben in den Archiven. Den Machthabern in der Kurie kann das nur recht sein.

 

Norbert Arntz (kath. Theologe): „Ich glaube, die Kurie hat sehr genau die Bedeutung des Katakombenpaktes erfasst nämlich, dass, wenn man dem Katakombenpakt folgen will, der Papst kein Staatsoberhaupt mehr sein kann und der Vatikan kein Staat mehr sein darf, sondern, dass eine nicht herrschaftliche Kirche auf solche Formen, die von staatlichen, gesellschaftlichen Bedingungen vor allem bestimmt sind, verzichten muss und andere Formen eines Netzwerkes entwickeln muss, in dem sehr viele verschiedene Kräfte das Zeugnis für das Evangelien vom Leben für alle ablegen kann.“

 

Das Konzil ist zu Ende. Einiges ist auf den Weg gebracht worden: die Reform des Gottesdienstes, ein „ja“ zur Religionsfreiheit, ein neues Kapitel im Verhältnis zum Judentum, ein vorsichtiger Brückenschlag zur Modernen. Viele Probleme aber bleiben ungelöst.

 

Recife, Brasilien

Die Bischöfe kehren zurück nach Hause. Dom Helder will in Recife so leben, wie er es im Katakombenpakt versprochen hat. Er zieht aus dem Bischofspalast aus. Sein neues Zuhause ist die Sakristei der Armenkirche in x in einem Armenviertel. Er hat kein Auto. Er führt ein einfaches Leben. Seine Tür steht jedem offen.

 

Bischof José Maria Pires: „Dom Helder hat es gleich übertrieben. Er hatte keinen Sekretär. Wenn es an der Tür klopfte, öffnete er selbst. Wir sagten zu ihm: „Dom Helder, aber das ist doch gefährlich, wenn sie nachts die Tür aufmachen.“ Da sagte er nur: „Meinen sie das wirklich, dass mir etwas passieren könnte?“ So war er.“

 

Drei Jahre nach dem Konzil trafen sich in Medelin in Kolumbien alle Lateinamerikanischen Bischöfe. Sie wollen ungerechte Strukturen verändern, ermuntern die Katholiken zu politischem Engagement. Im Mittelpunkt steht die Option für die Armen und die Theologie der Befreiung. Es ist ein großer Erfolg für Dom Helder und die Ideen des Katakombenpaktes.

 

Bischof Luigi Bettazzi: „Es hieß, wir müssen uns für die Armen entscheiden. Man wollte die Dinge mit den Augen der Armen betrachten. Es ist ja so, unsere Zeitungen und Kommunikationsmittel - das sind die Augen der Reichen - und die Kriege, wenn man ehrlich ist, da geht es um Gewinne, um Waffenproduktion -  dafür bezahlten stets die Armen, sie erfahren das Leid, sie tragen die Last.“

 

In Rom setzen sich nach und nach wieder die konservativen Kräfte durch, denen das Konzil zu weit ging. Sie haben auch die Lateinamerikanischen Bischöfe und ihre Option für die Armen im Visier.

 

Bischof Luigi Bettazzi: „Wir hier in Europa meinten, das wäre Marxismus. Wir schickten damals unsere Theologen dorthin, um sie zu warnen. „Gebt Acht, das ist Marxismus!“ – doch sie lasen nur das Evangelium! Dann haben sie die Situation der Menschen analysiert und haben nicht naiv gesagt: „Gott will es ja so“. Nein, Gott will das nicht, er ist der Vater, er will, dass wir uns organisieren und Sklaverei überwinden. Das alles stützt sich also auf die Bibel.“

 

Dom Helder öffnet deshalb sogar die Tore der Bischofsresidenz und verteilt dort Lebensmittel. Er kämpfte unaufhörlich für die Armen, obwohl man ihm vorwarf, Kommunist zu sein. Und er sprach den berühmten Satz: „Wenn ich den Armen zu essen gebe, nennt man mich einen Heiligen. Wenn ich frage, warum die Leute arm sind, nennt man mich einen Kommunisten.“

 

Seit 1964 herrscht eine Militärdiktatur in Brasilien. Dom Helder wird gedroht, seine Mitarbeiter werden verhaftet und gefoltert. Einer seiner Diözesan-Priester wird brutal ermordet. Während Dom Helder in Brasilien vor kein Mikrofon mehr treten darf, häufen sich die Einladungen aus dem Ausland – auch aus Deutschland.

 

Dom Helder: „Es gibt kein Gegenmittel gegen Kapitalismus und Neo-Kapitalismus. Das Gewinnstreben treibt den Kapitalismus und das Wirtschaftswachstum an.“

 

Maria Lucia Moreira: „Die schlimmste Strafe für Dom Helder war nicht die Militärdiktatur nach dem Putsch 1964, sondern die Abmahnung durch die Römisch-Katholische Kirche, durch die römische Kurie – das hat ihm am meisten zugesetzt.“

 

Mit der Ernennung konservativer Bischöfe entmachtet der Vatikan die Kirche der Armen.

 

1985 beendet der Nachfolger von Dom Helder die sozialen Projekte seines Vorgängers. Treibende Kräfte sind deutsche Bischöfe, vor allem Kardinal Josef Ratzinger. In den 80er Jahren der oberste Glaubenshüter der Kirche. Lateinamerikanischen Theologen erteilt er Lehrverbot.

 

Norbert Arntz  -  kath. Theologe - Katakombenforscher:  „Die entscheidenden Auseinandersetzungen drehten sich um die Vorstellungen von der Kirche, weil durch die neue Art des Theologietreibens zu Gunsten des Lebens derer, die Opfer der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse sind und sich natürlich auch die Frage nach den Strukturen der Kirche stellte. Und wenn auf diese Weise die Machtstrukturen der Kirche infrage gestellt werden, dann müssen sich alle, die von diesen Machtstrukturen leben oder sich in diesen eingerichtet haben, höchst beunruhigt fühlen.“

 

Die Abkehr von der Kirche der Armen hat gravierende Folgen. In Brasilien waren zur Zeit des Konzils fast alle Einwohner katholisch. Heute sind es nur noch drei Viertel. Die Armen wenden sich ab und schließen sich evangelikalen Sekten an.

 

Aber nicht überall ist die Kirche der Armen auf dem Rückzug. Mitten in den Favelas von Bela Horizonte – eine Flugstunde von Rio de Janeiro  entfernt – feiert Padre José Geraldo Gottesdienste in kleinen Häusern, die er zusammen mit seinen Gemeindemitgliedern gebaut hat.

 

Padre José Geraldo: „Nicht ich baue diese Gemeinde auf, das seid ihr. Ihr alle seid für diese Kirche, für diese Gemeinde verantwortlich.“

 

70.000 Menschen leben in den Favelas am Rande der Großstadt. Natürlich kann Padre Geraldo am Sonntag nicht überall die Messe lesen. Er setzt auf kleine Basis-Gemeinschaften, die für sich selbst sorgen. 20 kleine Kirchen hat er in den vergangenen 8 Jahren gebaut und immer kommen noch neue hinzu.

 

Padre José Geraldo: „Hier halte ich am Samstagabend um 18.00 h die Messe und da drüben hat die Gemeinde begonnen, ein kleines Haus zu bauen. In diesen kleinen Kirchen können die Laien sehr viel mehr eingebunden werden, das ist persönlicher und die Leute fühlen sich wohler. Mir sind viele kleine Gemeinden lieber als große Kathedralen.“

 

Gewalt und Drogenkriminalität waren hier weit verbreitet. Inzwischen geht die Gewalt zurück, auch dank der vielen sozialen Projekte, die Padre Geraldo gegründet hat. Der Priester ist dabei oft nur Koordinator, vieles übernehmen Ehrenamtliche. Es gibt Computer-Kurse für Jugendliche, eine Schule für Mütter, eine Näherei, eine Kinderkrippe.

 

Padre José Geraldo: „Je institutioneller eine Kirche ist, desto mehr entfernt sie sich von den Armen. Sie muss auf Beziehungen, auf kleine Gemeinschaften setzen, in denen die Laien tatsächlich geschätzt werden. Die Kirche muss sich verändern, sie muss von ihrem Podest herunterkommen und sich für das Volk einsetzen. Die Kirche ist hierarchisch aufgebaut, aber der Priester sollte auf die Leute zugehen und so einfach wie Jesus leben.“

 

 

Diese einfache Kirche wollten die Unterzeichner des Katakombenpaktes verwirklichen, aber was ist aus dieser Vision einer armen und dienenden Kirche geworden rund 2000 Jahre nach Christus und 50 Jahre nach dem Konzil?

 

Hans Küng: „Wenn sie heute eine Zeremonie auf dem Petersplatz ansehen, dann ist das so, wie beim alten Kaiser, nicht wahr  -  und da ist nur einer wichtig, alle anderen sind Statisten und haben nichts zu sagen – sie haben nur zu applaudieren. Das ist nicht das, was Jesus mit der Jüngerngemeinschaft gemeint hat. Jesus selber hat ja nun die alle um sich versammelt und deutlich gesagt: „Nur einer ist euer Meister, ihr alle seid Brüder.“ Von dem merkt man gar nichts!“

 

Die ungelösten Fragen stehen immer noch auf der Tagesordnung. In Deutschland wehren sich Laien und neuerdings auch Priester-Initiativen gegen Rückschritte und einsame Entscheidungen der Bischöfe. Sie wollen keine anonymen Großgemeinden, sondern verheiratete Priester und die Weihe von Frauen.

 

Norbert Arntz (lebte als Priester jahrelang in Peru): „Ich glaube, dass wir nicht von der Kirchenspitze aus die notwendige Veränderung erwarten können, ich glaube, dass je mehr die Christinnen und Christen an der Basis der Kirche sich als Netzwerk begreifen und entsprechend selbstbewusst ihr Christsein zu leben versuchen im Evangelium, in der Nachfolge des Evangeliums mit der Absicht dessen Option für das Leben aller, auch durch praktische Handlungen zu bezeugen, umso mehr wird sich innerhalb der Kirche auch die Wandlung durchsetzen.“

 

Die Geschichte der Kirche zeigt, dass sie sich immer wieder erneuert und verändert hat. Manche Reformen aber brauchen ihre Zeit.

 

Bischof J.M. Pires (unterzeichnete den Katakombenpakt): „Viele Aspekte des 2. Vatikanischen Konzils sind noch gar nicht umgesetzt worden. Dafür könnte ich viele Beispiele geben. Aber hier möchte ich nur zwei anführen: die Frage der Priesterweihe für verheiratete Männer. Das 2. Vatikanische  Konzil hat dafür einen kleinen Freiraum eröffnet.  Und das Problem der Frauen in der Kirche  -  auch hierfür hat das Konzil einen Freiraum geschaffen. Aber das sind Inspirationen, die wir nicht aufgegriffen haben, die offizielle Haltung und die Dokumente der Folgezeit haben aber diese offenen Wege eher wieder versperrt.“

 

Der Bischof der Armen hat sich davon nicht beirren lassen. Dom Helder Camara blieb seinem Glauben und seiner Kirche treu. Bis zu seinem Tod 1999 im Alter von 90 Jahren hielt er an seinen Visionen für eine hörende, dienende und arme Kirche fest.

 

Bischof Benzetta: „Ich finde es wichtig, dass diese Ideen wieder hervorkommen – ein Bedürfnis, das bereits während des Konzils bestand, das Dom Helder Camara in jeglicher Hinsicht zu fördern versuchte. Gegenwärtig ist sehr deutlich zu sehen, wie sich eine kleine Gruppe von Reichen von einer großen Anzahl von Menschen, die ärmer werden, abhebt. Die Kirche müsste ganz klar zeigen, dass sie nicht auf der Seite der Reichen steht, sondern auf der Seite der großen Mehrheit der Armen.

 

Maria Lucia Moreira: „Dom Helder war auf jeden Fall seiner Zeit weit voraus – wie das alle Propheten sind. Das spürt man beim Lesen seiner Manuskripte. Die sind so aktuell, man könnte meinen, dass er sie erst gestern geschrieben hat, damit wir sie heute lesen können. Seine Texte sind nach wie vor sehr aktuell.“

 

Die Bischöfe des Katakombenpaktes haben ihrer Kirche ein wichtiges Vermächtnis hinterlassen. Es ist das Programm einer einfachen und bescheidenen Kirche, die nicht auf Prunk und Macht baut, sondern den Menschen dient und sich nicht länger der modernen Welt verschließt.

 


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