Der Katakombenpakt
Hintergründe zum Zweiten
Vatikanischen Konzil: 1965 verabschiedeten 40 Bischöfe in Rom unter Papst Paul
VI. eine radikale Selbstverpflichtung
Transkription der TV-Sendung durch Helga Ehrhardt (siehe auch Blog-Eintrag #016):
DER KATAKOMBENPAKT
Buch und Regie: Bernd
Seidl und Wolfgang Rommel
ARD 26.11.2012 - 23.40 h 43:42 min
ARD - Mediathek
http://www.ardmediathek.de/das-erste/reportage-dokumentation/der-katakombenpakt-das-geheime-vermaechtnis-des-konzils?documentId=12577546
Inzwischen (Juni 2013) auch auf YouTube:
http://www.youtube.com/watch?v=4DLgt8p0UIM
TRANSKRIPTION
Dom Helder Camara:
„Hilf mir, dass ich mich von dem Titel „Exzellenz“ verabschiede.
"Wenn ich zurückkomme will ich nur noch ein kleines Auto vorfinden, das in
den Augen der Armen kein Skandal ist. Und wohin mit dem Bischofsthron(?)? Bin
ich verrückt geworden?“
Nächtliche Notizen aus der Feder eines katholischen
Bischofs. Dom Helder ist aus Brasilien nach Rom gereist. In der Ewigen Stadt
herrscht Aufbruchsstimmung. Das 2. Vatikanische Konzil - Bischöfe aus allen
Erdteilen - ringen um den Weg der Kirche in der modernen Welt. Zuhause nennen
sie ihn „Bischof der Armen“.
Er wird eine wichtige Rolle hinter den Kulissen des
Konzils spielen, und er hat einen Plan. Er will die Kirche befreien von Prunk
und autoritären Strukturen. Was Dom Helder vorhat ist gefährlich für die
Mächtigen in der Welt und im Vatikan.
50 Jahre nach dem Konzil – abgeschottet von
Sicherheitsbeamten – wirkt der Papst wie ein Monarch, weit weg von den Problemen
der Welt. Die Aufbruchsstimmung der Konzilsjahre ist verflogen. Die Katholische
Kirche steckt in einer tiefen Krise. Die Symptome: ein enormer Vertrauensverlust,
sexueller Missbrauch von Kindern durch Priester, den die Bischöfe und der
Vatikan vertuscht haben, dazu Kirchenaustritte, Priestermangel, Reformstau.
Machtspiele im Vatikan sorgen für negative Schlagzeilen. Die Kluft zwischen
Kirche und moderner Gesellschaft wird größer.
Eine ähnliche Kirchenkrise gibt es bereits in der Zeit
vor dem Konzil. Die Bischöfe wollen nicht mit Verboten reagieren, sondern nach
neuen Wegen suchen, um den Glauben zu vermitteln.
Bischof José Maria Pires:
„Wir konnten plötzlich Menschen aus anderen Kulturen kennenlernen, mit anderen
sprechen. Wir versuchten, uns zu verständigen und wir wollten besser verstehen,
welche Rolle die Kirche in der modernen Welt spielen soll.“
Bischof Luigi Bettazzi: „
Das Konzil fand in einer für die
Kirche sehr schwierigen Phase statt. Niemand hatte mehr an die Möglichkeit eines
Konzils gedacht. Es hieß: „Der Papst ist unfehlbar - soll
ER das doch machen!“ Papst
Johannes hingegen antwortete: „Nein, ein Konzil muss her.“
Das Konzil hat die Kirche erneuert, die zu jener Zeit wie gelähmt und
blockiert durch Papst Pius, den XII war.“
Dom Helder Camara will die Blockaden brechen, aber er
weiß auch, die Kurie wird alles tun, um die Reformen zu verhindern. Rom will
keinen Aufbruch.
Dom Helder:
„ Ich glaube, nach menschlichem Ermessen kann man nicht viel erwarten, trotzdem
werde ich beim Konzil dabei sein, denn der “ Heilige Vater“ hat uns
aufgefordert, als Bischöfe zu sprechen, und das werden wir tun, so gut wie wir
es können.“
Brasilien, die Heimat von Dom Helder, ist das Land mit
den weltweit meisten Katholiken. Wachstum, aber auch eine tiefe Kluft zwischen
Arm und Reich prägen das aufstrebende Land in Südamerika. In Rio de Janeiro ist
Dom Helder Weihbischof, als das Konzil beginnt. Geschickt nutzt er sein
Organisationstalent für den Kampf gegen die Ungerechtigkeit in seiner Heimat.
Maria
Lúcia Moreira:
„Der Einsatz für die Armen war
ständig sein Thema. In allem, was er schrieb und was er tat, war diese Liebe zu
den Armen spürbar. Er sah in allen, die unverschuldet aus der Gesellschaft
ausgeschlossen waren, ein Abbild von Christus.“
In den Katakomben unter der Via Appia, der alten
Römerstraße, folgt Dom Helder in Rom den Spuren der ersten Christen - eine
geheimnisvolle Welt in der antiken Begräbnisstätte der römischen Christen.
Dom
Helder: „Ich liebe
die Katakomben – ich habe heute eine Messe hier gehalten – der ganze Morgen war
ein Geschenk des Himmels.“
Maria
Lúcia Moreira: „Dom Helder verband mit dem
Konzil die große Hoffnung, die Kirche verändern zu können. Er wollte, dass die
Kirche arm sei, dienen sollte, anstatt bedient zu werden.“
Dom
Helder Camara: „
Undenkbar, dass wir nach Hause zurückfahren und sagen, wir haben uns nur mit
Liturgie und Theologie beschäftigt. Zu Recht würden sich dann die Menschen
darüber aufregen, dass wir keine Antenne hatten für die gravierenden Probleme,
die auf ihnen lasten.“
Er findet Bischöfe und Mitarbeiter, die ähnlich denken. Die Gruppe nennt sich „Kirche der Armen“ und trifft sich im Hause der belgischen Bischöfe.
„Ergreifen wir doch selbst die Initiative und legen
unsere Titel wie „Eminenz“, „Euer
Gnaden“, „Exzellenz“ ab. Hören wir
auf, wie Adlige zu leben. Wir sollten einfach leben –
Kardinal Roger Etchegaray: „Es ging um eine dienende und arme Kirche, denn die Kirche darf sich nicht damit zufrieden geben, auf die Armen zuzugehen, sie muss auf die eine oder andere Weise selbst arm sein. Für mich ist das bis heute die große Herausforderung unserer Zeit.“
Wie arm soll die Kirche sein? Papst Benedikt, der XVI.
forderte bei seinem Deutschlandbesuch 2011, die Kirche solle auf Privilegien
verzichten, doch er selbst profitiert davon. Für seine Visite zahlen die
Katholiken rd. 36.500.000.- Euro.
Die Katholische Kirche ist reich. Die Diözesen besitzen
Immobilien, sogar eine große Mediengruppe. Die Kirchensteuer garantiert
regelmäßige Einnahmen, etwa 4.9 Milliarden Euro pro Jahr. Mancher Kirchenfürst
will auf prunkvolle Statussymbole nicht verzichten. In Limburg lässt sich
Bischof T. v. Elz eine Privat-Kapelle bauen, die so viel kostet wie ein
Einfamilienhaus, rd. 300.000.- Euro.
Ganz anders Papst Johannes, der XXIII. Er kommt aus
einfachen Verhältnissen und gilt als Übergangspapst. Doch Ende der 50er Jahre
überrascht er die Welt. Er will die Kirche erneuern. Ein Konzil soll ihm dabei
helfen. Einen Monat vor der Eröffnung erklärt der Papst im Radio, was er vorhat.
Nach innen und nach außen soll sich die Kirche neu orientieren. Sie sei offen
für alle Menschen – sagt der Papst – sie verstehe sich aber vor allem als eine
Kirche der Armen.
Doch als das Konzil in Rom am 11. Oktober 1962 beginnt, ist im Petersdom von Bescheidenheit wenig zu spüren.
Dom
Helder Camara: Dieses
ganze Gehabe der Renaissance – ein Übermaß an Pomp. Was mir das Herz zerriss,
war zu sehen, wie die einfachen Gläubigen ausgeschlossen waren.“
Die Römische Kurie versucht, das Konzil zu beherrschen.
Die wichtigen Kommissionen will sie mit eigenen Leuten besetzen. Schon in der 1.
Sitzung sollen die Bischöfe vorbereitete Listen absegnen.
Dom Helder bekommt einen Hinweis auf die geheime Taktik
der Kurie. Sofort knüpft er ein Netzwerk. Der Coup muss verhindert werden. Die
Bischöfe wollen nicht nur Statisten sein, aber alleine schaffen sie es nicht
gegen die Konzilsordnung vorzugehen. „Wir müssen dafür ein Dutzend Kardinäle gewinnen. Sie sollen einer nach dem
anderen in der Konzilsaula aufstehen und dem Generalsekretär entgegnen: „Nein,
wir bitten um einige Tage Aufschub, damit wir uns kennenlernen können.“
Die Bischöfe setzen sich durch und lehnen die
vorbereiteten Listen ab und stellen eigene Kandidaten auf. Ihr Einfluss wächst.
„Das hat alles auf den Kopf gestellt und erlaubte es dem Konzil, unabhängig zu werden und seine ganz eigene Gestalt zu entwickeln.“Die Brasilianischen Bischöfe wohnen im Domus Mariä in der Via Aurelia. Dom Helder macht dieses Haus zu einem inoffiziellen Treffpunkt hinter den Kulissen des Konzils.
Kardinal Roger Etchegaray: „Wir beschlossen, uns dort zu
treffen, nicht um gegen das Konzil zu agieren, sondern um uns besser
kennenzulernen. Wir wollten gemeinsam über alles, was im Konzil passierte,
nachdenken. Diese Gruppe war zwar nicht öffentlich, aber es gab andererseits
auch keine Geheimnisse.“
Solche Treffen sind verboten. Trotzdem kommen jeden
Freitag Vertreter der Bischöfe aus allen Erdteilen. Sie bereiten wichtige
Entscheidungen vor. Dom Helder gewinnt den belgischen Kardinal Synens als Paten
und als Freund – endlich gibt auch der Papst dem inoffiziellen Treffen seinen
Segen. Die Bischöfe bestimmen jetzt die Tagesordnung des Konzils.
Bischof José Maria Pires:
„Zu Beginn sollten wir über die Hierarchien in der Kirche diskutieren und wir
sagten: „Nein, wir beginnen mit der Kirche des Volk Gottes und erst danach wird
die Hierarchie behandelt, nämlich als Dienst am Volk Gottes.“
In den Nächten notiert Dom Helder, was er in Rom erlebt.
Nachts um 2.00 h konnte man den Wecker läuten hören. Er hatte Gott versprochen,
jede Nacht eine Stunde lang zu beten.
Bischof Luigi Bettazzi: „Zu mir sagte er einmal: „Ich kann das niemandem empfehlen, obgleich ich Gott danke, weil er mich anschließend bisher immer hat einschlafen lassen.“ Er stand auf, um zu beten und im Angesicht Gottes dachte er über die Ereignisse des Tages nach.“ In diesen Nächten schreibt er fast 300 Briefe an seine Mitarbeiter in Brasilien.
Dom
Helder Camara:
„Verzeiht mir meine Träume – ich
träume so sehr davon, die Kirche als Speerspitze im Einsatz für die Schwachen
und Armen zu sehen.“
Damals gab es ja noch keine Emails, und dennoch schickte er seinen Freunden jeden Abend oder Morgen nach einer Sitzung einen Brief nach Brasilien. Das waren keine nüchternen Berichte, sondern Zeugnisse des Seelsorgers, dessen Herz für das Konzil schlug. Die Spur der nächtlichen Briefe führt in den Nordosten Brasiliens. 1964 wird Dom Helder zum Erzbischof der Diözesen Olinda und Recife ernannt.
Der Nordosten Brasiliens ist zu dieser Zeit ein besonders
armer Landstrich. Dom Helder hat mitten im Armenviertel gelebt. Neben der Kirche
in Recife befindet sich heute das Institut „Dom Helder Camara“.
In einem kleinen Archiv werden seine
gesamten Schriften aufbewahrt, darunter eindrucksvolle Zeugnisse der
Konzilszeit, auch die Originale der nächtlichen Briefe.
E.
Borbosa:
„Es sind Tagebücher des Konzils.
Wenn man die Briefe liest, bekommt man einen genauen Einblick in das, was dort
diskutiert wurde, was er erlebt hat. Er erzählt sogar, welche Filme er sah. Es
ist also ein Tagebuch, und da er alles so genau ordnete und nummerierte, meinen
wir, dass er diese Briefe schrieb, damit sie eines Tages veröffentlicht würden.
Es ist ein Stück Kirchengeschichte.“
In Rom bringt Dom Helder Experten, Soziologen und
Theologen mit den Bischöfen zusammen. Er hat erkannt, wie wichtig deren
wissenschaftliche Arbeit für das Verständnis der Kirche und der modernen Welt
ist.
Sie beschäftigen sich zunächst mit der Reform des
Gottesdienstes. Auch der Tübinger Theologe Prof. Hans Küng (damaliger theologischer Berater beim Konzil hält dazu
einen Vortrag im Domus Mariä.
Prof.
Hans Küng: „Das hat den Bischöfen tatsächlich die
Augen geöffnet, und sie sahen jetzt plötzlich, dass das ja nicht alles steif
sein muss, dass die Liturgie, die wir damals feierten, noch vor Konzilia, dass
das die mittelalterliche Liturgie war – und so haben wir uns freigemacht, wieder
auf die Ursprünge zurückzugehen, damit das Abendmahl als solches wieder in
Erscheinung tritt und es zugleich an die heutige Zeit anzupassen,
indem man einige Dinge vereinfachte, Verdopplungen vermied, und vor allem
natürlich die Volkssprache einführte.“
Dom
Helder: „Wir müssen
den Papst befreien vom Pomp des Vatikans, der so vielen Ärgernis ist und den Weg
zur Einheit der Christen erschwert.“
Dom Helder knüpft Kontakte zu den Beobachtern, die der
Vatikan zugelassen hat. Oft trifft er sich mit den protestantischen Brüdern aus
Taizé zum Gebet und zum Gedankenaustausch. Von Oktober bis Dezember arbeiten die
Konzilsväter in Rom. Sie wollen, dass sich die Kirche wieder mehr als
Gemeinschaft versteht. Hinter den Kulissen wird auch über verheiratete Priester
und die Weihe von Frauen gesprochen.
Bei einem Abendessen trifft DH Mitglieder einer
Gemeinschaft aus Nazareth, die dort unter Arbeitern leben. Darunter ist auch
Marie-Therese Lescase. Sie erzählte, ein Bischof habe sie dort zur Diakonin
geweiht – ein Tabu, denn das Kirchenrecht verbietet das.
An diesem Abend entsteht die Idee, auch Monique, die
ebenfalls in Nazareth arbeitet, zu weihen. DH will es sich überlegen. Aber was,
wenn der Papst davon erfährt? Wird er es gutheißen? Wie viel Freiheit hat er
überhaupt?
Dom Helder: „Der Papst erscheint mir wie ein Vogel im goldenen Käfig, aber es wird die Stunde kommen, in der Gott den Stellvertreter Christi vom Luxus und Pomp des Vatikans befreien wird.“
In seinen nächtlichen Notizen entwirft er Pläne für eine
einfache Kirche, in der Bischöfe mehr Mitsprache bekommen, ohne moderne
Inquisition, ohne päpstliche Diplomaten, ohne Prunk.
Die Kurie sieht die Gefahr, dass ihre Macht schwindet.
Sie will die Mitsprache der Bischöfe beschränken. Die Reformgegner wittern ihre Chance, als Johannes, der
XXIII., am 3. Juni 1963 stirbt.
Paul, der VI., der neue Papst, zögert – er meidet
Konflikte. Wird er die Reformpläne stoppen? Aber bald ist klar, das Konzil geht
weiter.
Bischof J.M. Pires:
„Da kam auf einmal dieser kleine Mann zu Fuß in die Kirche. Er hatte einen
Bischofsstab wie wir, er hatte die goldene Krone, die Tiara, abgelegt, die nur
der Papst trägt. Er setzte eine Mitra auf, wie wir sie trugen. Die Papstkrone
hat er nie wieder aufgesetzt. Auch trug er nie wieder die weißen Handschuhe, nie
wieder die besonderen Schuhe. Er trug nur noch normale Schuhe.
Diese Geste ohne Worte, das war ein Bekenntnis zur Armut,
das alle beeindruckte.
Als Dom Helder davon hört, dass eine kleine konservative
Gruppe beim Papst interveniert und die Mitsprache der Bischöfe beschränken will,
informiert er Reporter von Le Monde und Time-Magazin. Diese Indiskretionen helfen
dem Konzil eine Bresche zu schlagen, wo nichts weitergeht – manchmal genügt
schon eine Schlagzeile in der Zeitung.
In den Gärten über den Katakomben löst DH sein
Versprechen ein, das er der Gemeinschaft aus Nazareth beim Abendessen gegeben
hat. Er ruft die Heiligen an, legt Monique die Hände auf und weiht sie für ihren
Dienst an den Armen.
Dom
Helder: „Ich habe
heute das getan, was schon verschiedene Bischöfe vor mir gemacht haben. Ich habe
gehandelt als Nachfolger der Apostel. Und mit diesem Vertrauen habe ich meine
Hände auf Monique gelegt, ohne mich groß zu fragen, was mit ihr geschieht.“
Bischof
Luigi Bettazzi: „Er
sagte, Gott wird schon wissen, ob das eine geweihte Diakonin ist oder nicht.
Wenn so etwas ohne Polemik geschieht, eher als Vorschlag, so dass sich niemand
davor verschließen kann, dann werden sich die Dinge langsam aber sicher ändern.“
Inzwischen sammelt das Staatssekretariat des Vatikans
Material über DH. Dieser hat zwar einen guten Draht zu Papst Paul, dem VI., aber
er hat auch Gegner in Rom und in den USA. Es ist die Zeit des kalten Krieges.
Der brasilianische Bischof gilt als der „rote Bischof“ – als Kommunist. Je
länger das Konzil dauert, desto mehr mischt sich der Papst ein. Paul, der VI.
verbietet, über verheiratete Priester oder über Verhütungsmittel zu diskutieren.
Dom
Helder: „Wird das
Klima noch rauer? Es gibt eine kleine Gruppe, die so in ihrer extrem
konservativen Meinung festgefahren ist, dass nur ein Wunder einen Fehlschlag
verhindern kann.“
In den freien Stunden entwirft DH ein Programm für die
Schlussfeier des Konzils. Der Papst soll die Arbeiter und die Armen von Rom
einladen – dann ein historisches Treffen mit Vertretern aller Religionen und mit
Atheisten.
Es wäre eine eindrucksvolle Demonstration des Friedens
und einer Kirche, die den Dialog mit der modernen Welt nicht scheut. Alle 2500
Konzilsväter könnten Holzkreuze tragen, anstelle der prunkvollen Bischofskreuze.
„Wir dürfen das Konzil nicht zu Ende gehen lassen, ohne
eine einmütige Demonstration unserer Entschlossenheit, die Türen und die Herzen
zu öffnen für alle getrennten Brüder und für die gesamte Menschheit.“
Aber der Papst lehnte ab.
Eine Absage an Macht und Prunk.
„Wir verzichten für immer auf Reichtum, auf wertvolle
Materialien, besonders in der Kleidung und bei den Insignien . Wir werden so viel
wie nötig von unserer Zeit und unseren Mitteln dem Dienst an den Arbeitern und
den Armen widmen. Wir wollen nicht mit Namen oder Titeln angeredet werden, die
Größe und Macht ausdrücken wie „Eminenz“, „ Exzellenz“, „Monsignore“. Wir
werden alles tun, dass unsere Regierungen Strukturen schaffen, die für die
vollkommene Entwicklung jedes Menschen notwendig sind.“
Diesen Pakt wollen sie nach einem Gottesdienst in den
Domitilla Katakomben unterschreiben. Dort gibt es eine unterirdische Kathedrale.
Bischof Luigi Bettozzi:
„Diese Idee war auch deshalb schön, weil die Katakomben an die Anfänge der
Kirche erinnern. Es ging aber auch um Vertraulichkeit. In einer normalen Kirche
wäre die Sache sicherlich schnell herausgekommen. Die Katakomben boten die
gewünschte Diskretion.“
16.
November 1965- 3 Wochen vor Ende des Konzils –
Bischof Benzotti:
„Wir spürten deutlich, dass es ein bedeutender Moment war. Das Konzil hatte so
etwas bis dahin nicht geschafft.“
40
Konzilsväter und ihre Mitarbeiter sind gekommen - Latein-Amerikaner, Afrikaner,
Asiaten und Europäer. Was sie hier tun, wird ihr Leben und ihre Diözese
verändern – einige von ihnen werden ihr Leben lang einander verbunden bleiben.
„Jeder von uns hat dann eine der Kopien mitgenommen, um
sie von anderen Bischöfen unterschreiben zu lassen. Am Ende waren es etwa 500
Unterschriften, die Kardinal Lercaro von Bologna dem Papst überreichen sollte.
Sicherlich befinden sie sich heute im Geheim-Archiv des Vatikans. Da kommt man
aber erst nach 70 Jahren heran.“
Doch es gibt noch eine andere Spur zu dem verschwundenen
Dokument. In Bologna, im Archiv der Stiftung für religiöse Wissenschaften,
lagern die persönlichen Notizen der Konzilsväter.
„Hier sind auch Originale des Katakombenpakts. Hier die
Unterlagen von Kardinal Lercaro und von Bischof Himmer – auch er eine wichtige
Persönlichkeit.“
Der Katakombenpakt gehört zu den großen Dokumenten in der
Geschichte des 2. Vatikanischen Konzils. Erst
nach dem Konzil bei der Versammlung der Lateinamerikanischen Bischöfe in Medelin
und Andepola wird sich die Kirche in diese Richtung bewegen -
die Option für die Armen. Das wird einer der Leitsätze in Medelin werden.
Allerdings rückt das Thema „Armut“ nie ins Zentrum der Verkündigung der
gesamten Kirche.
In Europa wird der Katakombenpakt bald nach dem Konzil in
Vergessenheit geraten. Die Akten bleiben in den Archiven. Den Machthabern in der
Kurie kann das nur recht sein.
Norbert Arntz (kath. Theologe):
„Ich glaube, die Kurie hat sehr genau die Bedeutung des Katakombenpaktes erfasst
nämlich, dass, wenn man dem Katakombenpakt folgen will, der Papst kein
Staatsoberhaupt mehr sein kann und der Vatikan kein Staat mehr sein darf,
sondern, dass eine nicht herrschaftliche Kirche auf solche Formen, die von
staatlichen, gesellschaftlichen Bedingungen vor allem bestimmt sind, verzichten
muss und andere Formen eines Netzwerkes entwickeln muss, in dem sehr viele
verschiedene Kräfte das Zeugnis für das Evangelien vom Leben für alle ablegen
kann.“
Das Konzil ist zu Ende. Einiges ist auf den Weg gebracht
worden: die Reform des Gottesdienstes, ein „ja“ zur Religionsfreiheit, ein neues
Kapitel im Verhältnis zum Judentum, ein vorsichtiger Brückenschlag zur Modernen.
Viele Probleme aber bleiben ungelöst.
Recife, Brasilien
Die Bischöfe kehren zurück nach Hause. Dom Helder will in
Recife so leben, wie er es im Katakombenpakt versprochen hat. Er zieht aus dem
Bischofspalast aus. Sein neues Zuhause ist die Sakristei der Armenkirche in x in
einem Armenviertel. Er hat kein Auto. Er führt ein einfaches Leben. Seine Tür
steht jedem offen.
Bischof José Maria Pires:
„Dom Helder hat es gleich übertrieben. Er hatte keinen Sekretär. Wenn es an der
Tür klopfte, öffnete er selbst. Wir sagten zu ihm: „Dom Helder, aber das ist
doch gefährlich, wenn sie nachts die Tür aufmachen.“ Da sagte er nur: „Meinen
sie das wirklich, dass mir etwas passieren könnte?“ So war er.“
Drei Jahre nach dem Konzil trafen sich in Medelin in
Kolumbien alle Lateinamerikanischen Bischöfe. Sie wollen ungerechte Strukturen
verändern, ermuntern die Katholiken zu politischem Engagement. Im Mittelpunkt
steht die Option für die Armen und die Theologie der Befreiung. Es ist ein
großer Erfolg für Dom Helder und die Ideen des Katakombenpaktes.
Bischof Luigi Bettazzi:
„Es hieß, wir müssen uns für die Armen entscheiden. Man wollte die Dinge mit den
Augen der Armen betrachten. Es ist ja so, unsere Zeitungen und
Kommunikationsmittel - das sind die Augen der Reichen - und die Kriege, wenn man
ehrlich ist, da geht es um Gewinne, um Waffenproduktion -
dafür bezahlten stets die Armen, sie erfahren das Leid, sie tragen die
Last.“
In Rom setzen sich nach und nach wieder die konservativen
Kräfte durch, denen das Konzil zu weit ging. Sie haben auch die
Lateinamerikanischen Bischöfe und ihre Option für die Armen im Visier.
Bischof Luigi Bettazzi:
„Wir hier in Europa meinten, das wäre Marxismus. Wir schickten damals unsere
Theologen dorthin, um sie zu warnen. „Gebt Acht, das ist Marxismus!“ – doch sie
lasen nur das Evangelium! Dann haben sie die Situation der Menschen analysiert
und haben nicht naiv gesagt: „Gott will es ja so“. Nein, Gott will das nicht, er
ist der Vater, er will, dass wir uns organisieren und Sklaverei überwinden. Das
alles stützt sich also auf die Bibel.“
Dom Helder öffnet deshalb sogar die Tore der
Bischofsresidenz und verteilt dort Lebensmittel. Er kämpfte unaufhörlich für die
Armen, obwohl man ihm vorwarf, Kommunist zu sein. Und er sprach den berühmten
Satz: „Wenn ich den Armen zu essen gebe, nennt man mich einen Heiligen. Wenn ich
frage, warum die Leute arm sind, nennt man mich einen Kommunisten.“
Seit 1964 herrscht eine Militärdiktatur in Brasilien. Dom
Helder wird gedroht, seine Mitarbeiter werden verhaftet und gefoltert. Einer
seiner Diözesan-Priester wird brutal ermordet.
Dom
Helder: „Es gibt kein
Gegenmittel gegen Kapitalismus und Neo-Kapitalismus. Das Gewinnstreben treibt
den Kapitalismus und das Wirtschaftswachstum an.“
Maria
Lucia Moreira: „Die
schlimmste Strafe für Dom Helder war nicht die Militärdiktatur nach dem Putsch
1964, sondern die Abmahnung durch die Römisch-Katholische Kirche, durch die
römische Kurie – das hat ihm am meisten zugesetzt.“
Mit
der Ernennung konservativer Bischöfe entmachtet der Vatikan die Kirche der
Armen.
1985 beendet der Nachfolger von Dom Helder die sozialen
Projekte seines Vorgängers. Treibende Kräfte sind deutsche Bischöfe, vor allem
Kardinal Josef Ratzinger. In den 80er Jahren der oberste Glaubenshüter der
Kirche. Lateinamerikanischen Theologen erteilt er Lehrverbot.
Norbert Arntz
-
kath. Theologe - Katakombenforscher:
„Die
entscheidenden Auseinandersetzungen drehten sich um die Vorstellungen von der
Kirche, weil durch die neue Art des Theologietreibens zu Gunsten des Lebens
derer, die Opfer der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse sind und sich
natürlich auch die Frage nach den Strukturen der Kirche stellte. Und wenn auf
diese Weise die Machtstrukturen der Kirche infrage gestellt werden, dann müssen
sich alle, die von diesen Machtstrukturen leben oder sich in diesen eingerichtet
haben, höchst beunruhigt fühlen.“
Die Abkehr von der Kirche der Armen hat gravierende
Folgen. In Brasilien waren zur Zeit des Konzils fast alle Einwohner katholisch.
Heute sind es nur noch drei Viertel. Die Armen wenden sich ab und schließen sich
evangelikalen Sekten an.
Aber nicht überall ist die Kirche der Armen auf dem
Rückzug. Mitten in den Favelas von Bela Horizonte – eine Flugstunde von Rio de
Janeiro entfernt – feiert Padre
José Geraldo Gottesdienste in kleinen Häusern, die er zusammen mit seinen
Gemeindemitgliedern gebaut hat.
Padre
José Geraldo: „Nicht
ich baue diese Gemeinde auf, das seid ihr. Ihr alle seid für diese Kirche, für
diese Gemeinde verantwortlich.“
70.000 Menschen leben in den Favelas am Rande der
Großstadt. Natürlich kann Padre Geraldo am Sonntag nicht überall die Messe
lesen. Er setzt auf kleine Basis-Gemeinschaften, die für sich selbst sorgen. 20
kleine Kirchen hat er in den vergangenen 8 Jahren gebaut und immer kommen noch
neue hinzu.
Padre
José Geraldo: „Hier halte ich am
Samstagabend um 18.00 h die Messe und da drüben hat die Gemeinde begonnen, ein
kleines Haus zu bauen. In diesen kleinen Kirchen können die Laien sehr viel mehr
eingebunden werden, das ist persönlicher und die Leute fühlen sich wohler. Mir
sind viele kleine Gemeinden lieber als große Kathedralen.“
Gewalt
und Drogenkriminalität waren hier weit verbreitet. Inzwischen geht die Gewalt
zurück, auch dank der vielen sozialen Projekte, die Padre Geraldo gegründet hat.
Der Priester ist dabei oft nur Koordinator, vieles übernehmen Ehrenamtliche. Es
gibt Computer-Kurse für Jugendliche, eine Schule für Mütter, eine Näherei, eine
Kinderkrippe.
Padre José Geraldo: „Je institutioneller eine Kirche ist, desto mehr entfernt sie sich von den Armen. Sie muss auf Beziehungen, auf kleine Gemeinschaften setzen, in denen die Laien tatsächlich geschätzt werden. Die Kirche muss sich verändern, sie muss von ihrem Podest herunterkommen und sich für das Volk einsetzen. Die Kirche ist hierarchisch aufgebaut, aber der Priester sollte auf die Leute zugehen und so einfach wie Jesus leben.“
Diese einfache Kirche wollten die Unterzeichner des
Katakombenpaktes verwirklichen, aber was ist aus dieser Vision einer armen und
dienenden Kirche geworden rund 2000 Jahre nach Christus und 50 Jahre nach dem
Konzil?
Hans
Küng: „Wenn sie heute
eine Zeremonie auf dem Petersplatz ansehen, dann ist das so, wie beim alten
Kaiser, nicht wahr -
und da ist nur einer wichtig, alle anderen sind Statisten und haben
nichts zu sagen – sie haben nur zu applaudieren. Das ist nicht das, was Jesus
mit der Jüngerngemeinschaft gemeint hat. Jesus selber hat ja nun die alle um
sich versammelt und deutlich gesagt: „Nur einer ist euer Meister, ihr alle seid
Brüder.“ Von dem merkt man gar nichts!“
Die ungelösten Fragen stehen immer noch auf der
Tagesordnung. In Deutschland wehren sich Laien und neuerdings auch
Priester-Initiativen gegen Rückschritte und einsame Entscheidungen der Bischöfe.
Sie wollen keine anonymen Großgemeinden, sondern verheiratete Priester und die
Weihe von Frauen.
Norbert Arntz (lebte als Priester jahrelang in Peru):
„Ich glaube, dass wir nicht von
der Kirchenspitze aus die notwendige Veränderung erwarten können, ich glaube,
dass je mehr die Christinnen und Christen an der Basis der Kirche sich als
Netzwerk begreifen und entsprechend selbstbewusst ihr Christsein zu leben
versuchen im Evangelium, in der Nachfolge des Evangeliums mit der Absicht dessen
Option für das Leben aller, auch durch praktische Handlungen zu bezeugen, umso
mehr wird sich innerhalb der Kirche auch die Wandlung durchsetzen.“
Die Geschichte der Kirche zeigt, dass sie sich immer
wieder erneuert und verändert hat. Manche Reformen aber brauchen ihre Zeit.
Bischof J.M. Pires (unterzeichnete den Katakombenpakt):
„Viele Aspekte des 2. Vatikanischen Konzils sind noch gar nicht umgesetzt
worden. Dafür könnte ich viele Beispiele geben. Aber hier möchte ich nur zwei
anführen: die Frage der Priesterweihe für verheiratete Männer. Das 2.
Vatikanische Konzil hat dafür einen
kleinen Freiraum eröffnet. Und das
Problem der Frauen in der Kirche -
auch hierfür hat das Konzil einen Freiraum geschaffen. Aber das sind
Inspirationen, die wir nicht aufgegriffen haben, die offizielle Haltung und die
Dokumente der Folgezeit haben aber diese offenen Wege eher wieder versperrt.“
Der Bischof der Armen hat sich davon nicht beirren
lassen. Dom Helder Camara blieb seinem Glauben und seiner Kirche treu. Bis zu
seinem Tod 1999 im Alter von 90 Jahren hielt er an seinen Visionen für eine
hörende, dienende und arme Kirche fest.
Bischof Benzetta: „Ich finde es wichtig, dass diese Ideen wieder hervorkommen – ein Bedürfnis, das bereits während des Konzils bestand, das Dom Helder Camara in jeglicher Hinsicht zu fördern versuchte. Gegenwärtig ist sehr deutlich zu sehen, wie sich eine kleine Gruppe von Reichen von einer großen Anzahl von Menschen, die ärmer werden, abhebt. Die Kirche müsste ganz klar zeigen, dass sie nicht auf der Seite der Reichen steht, sondern auf der Seite der großen Mehrheit der Armen.
Maria
Lucia Moreira: „Dom
Helder war auf jeden Fall seiner Zeit weit voraus – wie das alle Propheten sind.
Das spürt man beim Lesen seiner Manuskripte. Die sind so aktuell, man könnte
meinen, dass er sie erst gestern geschrieben hat, damit wir sie heute lesen
können. Seine Texte sind nach wie vor sehr aktuell.“
Die Bischöfe des Katakombenpaktes haben ihrer Kirche ein
wichtiges Vermächtnis hinterlassen. Es ist das Programm einer einfachen und
bescheidenen Kirche, die nicht auf Prunk und Macht baut, sondern den Menschen
dient und sich nicht länger der modernen Welt verschließt.
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