Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap LXXX. Schlußwort.          (S. 801)

Mit den letzten Andeutungen - unstreitig den fragwürdigsten des ganzen Buches - schließt sich der Kreis der Anwendungen, die von den vorläufigen Ergebnissen unserer neuen Anthropologie auf die Erfahrungen der mystischen Religiosität zu machen waren.

Dabei brauche ich schließlich nicht zu betonen, daß die Probleme, die an diesen Begriff sich knüpfen, mit dem Vorstehenden bei weitem nicht erschöpft, oder auch nur alle berührt sind; vielmehr ist es klar, daß die praktisch erregendsten recht eigentlich erst jetzt beginnen.

Wie ein seltsames Fragezeichen ragt dieser Jenseitige, den wir nicht länger bloß als sonderbar Kranken beiseite schieben können, in eine Welt, deren gewohnteste Neigungen er verneint. Zwar scheint er auch - wie vieles deutete nicht daraufhin! - in manchem Betracht ein Unterwertiger zu sein.

Was aber ist dann sein genaues Verhältnis zu jenen Jenseitigen aus bloßer Unterwertigkeit? [4] Und was der letzte Sinn seiner so häufigen 'Krankhaftigkeit', die doch - nach aller Völker Erfahrung und Glauben - so oft sich mit der Gabe zu 'heilen' verbindet?

Worin liegt die Bedeutung seines Auftretens in der Sinnenwelt, die ihm fremd ist? Oder ist ihm Bedeutung bloß in Hinsicht der

    [4] o. S. 2 ff.


Kap LXXX. Schlußwort.          (S. 802)

Überwelt beizulegen? Beweist, daß er durch Regungen des Über-Ich, des 'Geistes' in Ihm zum Erweckten wird, daß jene Überwelt des Geistes und der Geister durchaus eine Welt des erweckten Wesens sei?

Oder läßt sich eine Mannigfaltigkeit des Wesens, ein Gut und Böse, und somit eine Fortsetzung des 'mystischen Weges' auch in ihr noch unterscheiden? Oder gar bewegt sich solche Fortsetzung stets über Haltepunkte einer 'Wiederverkörperung' in der Sinnenwelt hinweg?

Und welches wäre der letzte Sinn eines solchen mystischen Weges im Rahmen irdischer und kosmischer Entwicklungen überhaupt? Falls dem umfassenden psychischen Hintergrunde die Rollen des Erweckers der Seele und des Schöpfers von Leben gleichermaßen zugeschrieben werden sollen, wie verträgt sich die 'Heiligkeit' seines Wesens mit der 'Unheiligkeit' so vieler Äußerungen des Lebens?

Wie soll sich (mit anderen Worten) die 'mystische Weltanschauung' mit den Fragen der herkömmlichen Theodizee auseinandersetzen ? Und wie wäre schließlich - im Rahmen aller dieser Begriffsbeziehungen - der Jenseitige selbst zu werten? Nach welchen Gesichtspunkten könnte sich solche Wertung vollziehen? Oder darf von letzten Wertungen überhaupt nicht geredet werden? -

Dies sind einige der Fragen, die von dem hier erarbeiteten Kernbegriff nach allen Seiten hin ausstrahlen, deren Besprechung ich aber dem Leser dieses Bandes nicht mehr zumuten darf.

Es muß mir einstweilen genügen, jenen Kernbegriff selbst in groben Umrissen glaubhaft gemacht zu haben: den Begriff eines jenseitigen Menschen, dessen Wesen nicht bloß auf Unterwertigkeit in der Anpassung an die Welt der Diesseitigen beruht.

Dieser Begriff in allgemeinster Fassung besagt, daß es lebendige Hintergründe des Einzelbewußtseins gebe, die weit über das hinausreichen, was die herkömmliche Psychologie an 'unterbewußten' Vorgängen und physiologischer Erbschaft zugesteht, und daß die seelische Überwältigung durch diese Hintergründe die letzte Ursache der mystischen Erfahrung sei.

Sollte es mir gelungen sein, durch 'Zusammenschau' mehrerer Tatsachengebiete diesen uralten Gedanken in einer neuen, dem Denken unserer Tage mehr entsprechenden Form darzubieten und damit dem Nachdenken künftiger Forscher zu empfehlen, so habe ich in meinen Augen nicht umsonst mich gemüht.

Dann werden mir sicherlich auch die Fehler im Einzelnen willig verziehen werden, die dann am wenigsten zu vermeiden sind, wenn ein; Einzelner vielerlei Forschung in eins zu verarbeiten strebt, die er nicht durchweg im gleichen Maß zu beherrschen vermag.

Die nach mir kommen, werden es besser machen, und falls sie meine Arbeit nur da- durch veralten lassen, daß sie auf meinem Wege weiterschreiten, anstatt ihn als Sackgasse aufzugeben, so bin ich von Herzen bereit, mein Werk bald wieder vergessen zu sehen.

Gleicht doch die Wahrheit oft genug einer Festung, die erst betreten werden kann, nachdem sich ihre Gräben mit Leichen Stürmender gefüllt.

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