Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 656)

Dieser Rückgriff auf früher beschriebene Tatsachen führt uns auf eine schon einmal gebrauchte Formulierung zurück: Der Tod ist eine anhaltende Exkursion von mindestens beträchtlicher Dauer, die Exkursion ein vorübergehender Tod, beide äußern sich in der Möglichkeit des Auftretens eines Phantoms von unbestimmtem Grade der objektiven Wirksamkeit im Raume.

Daß die Exkursion und die ihr entsprechende Telephanie sich in der Tat häufig dem Tode so weit nähern, als sie es dürfen, um eben bloße Exkursion zu bleiben, d.h. ihr Subjekt wieder 'zu sich' kommen zu lassen, beweisen viele der angeführten Beispiele, die uns das Subjekt in Koma, Ohnmacht oder tiefster Hypnose zeigen. [1]

Daß dagegen umgekehrt auch der Tod eine Exkursion sei und als solche die Möglichkeit von Phantomentwicklung berge, kann uns offenbar auf zweierlei Weise verbürgt werden: durch Aussagen derer, die ihn von innen erlebt, und derer, die ihn von außen beobachtet haben.

Aussagen der ersteren Art nun sind äußerst selten, nicht nur weil sie einen Zeitpunkt und Vorgang betreffen, der für die Mehrzahl der Menschen überhaupt allen Aussagen ein Ende setzt, sondern auch weil seltsamerweise 'Geister' von auch nur leidlichen spiritistischen Ansprüchen fast nie nach ihrem Erleben des Todes gefragt worden sind.

Immerhin besitzen wir 'Geisteraussagen' über den erlebten Vorgang des Sterbens, die so eigenartig mit dem übereinstimmen, was man nach früheren Ausführungen erwarten möchte, daß sie, wenn ich so sagen soll, wohl verdienten echt zu sein.

So z.B. wenn der seiner Schwester erscheinende L. v. Güldenstubbe sagt: er habe sich zuerst in einem Zustande doppelten Bewußtseins gefühlt, er wußte, daß sein Körper im Bett liege und doch ihm nicht mehr ganz angehöre, zugleich, daß sich um seinen Geist eine ätherische Hülle lege, . . . und er fühlte, wie er mit der Ausbildung jener Hülle sich einem anderen Geiste nähern könne usw. [2]

Ein Bericht eines Abgeschiedenen, dessen Äußerungen Prof. Barrett 'unter (spiritistischer) Voraussetzung am einfachsten glaubt erklären zu können', beginnt mit den Worten: 'Ich hatte zuerst das dunkle Bewußtsein von Gestalten,

[1] Vgl. Plutarch: xxxxxxxxx  
[2] Perty, Spir. 86f. Vgl. hierzu W. T. Stead, After death, 6. Aufl. (Lond. 1905) 2; 'G. P.' in Pr XIII 303, u. die noch fragwürdigeren Aussagen Jules Michels in Rev. Spirite 1861 123f.


Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 657)

die sich im Zimmer und um das Bett bewegten. Dann wurde die Tür geschlossen und alles war still. Ich nahm dann zunächst wahr, daß ich nicht auf dem Bette lag, sondern ein wenig über diesem in der Luft schwebte.

Ich sah in dem trüben Lichte den Körper gerade ausgestreckt und mit zugedecktem Gesicht. Mein erster Gedanke war, wieder in ihn einzugehen, aber der Wunsch danach verging mir bald völlig. . .'

Es werden dann Ortsbewegungen im Zimmer, im Hause, ins Freie beschrieben, die dabei gesehenen Personen richtig bezeichnet, die Verwunderung ausgedrückt, daß niemand den Berichtenden gehört oder gesehen habe usw. [1]

Beachtenswert sind auch die Angaben des verstorbenen Sohnes der Frau Guthrie, deren Mitteilung wir Prof. Hyslop verdanken: 'Er lag auf dem Bett und fühlte, daß er aus seinem Körper herausgehoben würde, und in dem Augenblick verließ ihn der Schmerz völlig.

Sein erster Antrieb war, in seinen Körper zurückzugelangen, aber er wurde davongezogen, in eine Wolke aufgenommen und schien ein Teil von ihr zu sein. Er hatte das Gefühl, als würde er von unsichtbaren Händen in verdünnte Luft gebracht. . .' Der Sterbende hatte 5 Minuten vor dem Tode gesagt:

'Mir scheint, sie nehmen mich nun fort. . .' [2] Dies erinnert daran, daß auch nach ärztlicher Beobachtung die letzte geäußerte Empfindung Sterbender überaus häufig die der Aufwärtsbewegung ist. [3]

Einen teilweisen Ersatz für Aussagen Abgeschiedener könnten nun freilich die Aussagen soz. Zweimal-Gestorbener bieten, wenn wir so diejenigen bezeichnen wollen, die kurz vor ihrem endgültigen Sterben schon einmal in einen Zustand gerieten, in welchem sie für tot gehalten wurden (den wir also wohl als einen ersten, aber noch rückgängig gemachten Anlauf zum Sterben betrachten können), und die dann vor ihrem endgültigen Tode berichten konnten, wie jener erste Anlauf ihnen erschienen sei.

Eine Selbstbeobachtung nun von Exkursion seitens eines solchen scheintot Gewesenen und dann, nach seiner Berichterstattung, endgültig Gestorbenen ist mir im Augenblick nicht gegenwärtig, aber selbst wenn keine aufzufinden wäre, müßte man das als Zufall anerkennen.

Denn einige subjektive Berichte von Exkursionen, die wir besitzen, stammen von Personen, deren Erhaltung am Leben nach ihrer Erfahrung nur einem Zufall zuzuschreiben war. Einen solchen Bericht, von dem Rev. Bertrand, werden wir sogleich in anderem Zusammenhange kennenlernen; aus einem zweiten, von Dr. med. Wiltse verfaßten will ich hier dasjenige anführen, was im augenblicklichen Zusammenhang Bedeutung hat.

Dr. Wiltse, schwer an Typhus erkrankt, war schließlich vier Stunden lang ohne Puls und wahrnehmbaren Herzschlag und wurde von mehreren Anwesenden für tot gehalten.

Er glaubte, eine Zeitlang bewußtlos gewesen, dann aber wieder zu sich gekommen zu sein, und zwar als sein 'wahres Ich', aber noch im Leibe, dessen anatomische Wunder er mit der Anteilnahme des Arztes beobachtete. [4] 'Ich

[1] Barrett 68.
[2] Lifted out of drawn away... J. Hyslop; Psychical Research and the Resurrection 87.
[3] Gewöhnlich natürlich durch Anästhesie der Körpertragfläche gedeutet. S. H. Piéron in RPh Dez. 1902 546f. (Contrib. à la psychol. des mourants).
[4] Vgl. o. S. 403ff.


Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 658)

überlegte in Ruhe folgendermaßen: Ich bin gestorben... und doch bin ich ein Mensch wie nur je. Ich bin im Begriff, den Körper zu verlassen. Ich beobachtete den merkwürdigen Vorgang der Trennung von Seele und Leib.

Durch eine Kraft, die anscheinend nicht mir zugehörte, wurde das Ich (die mit allen Geweben des Körpers verwachsene 'lebende Seele') seitwärts hin und her geschaukelt, . . . wodurch ihre Verbindung mit den Geweben des Körpers sich löste. Nach einer kleinen Weile hörte diese seitliche Bewegung auf, und (von den Füßen aufwärts schreitend) fühlte und hörte ich gewissermaßen das Zerreißen zahlloser winziger Fesseln...

Ich erinnere mich deutlich, wie (schließlich) mein ganzes Ich im Kopfe zusammengefaßt war. . . Als ich (aus dem Schädel) hervortrat, sah ich zwei Damen mir zu Häupten sitzen. Ich schätzte den Abstand vom Kopfende meines Bettes bis zu den Knien der einen Dame und schloß, daß ich genügend Raum haben würde, dort zu stehen . 

(Indessen) schwebte ich auf und nieder und seitwärts, wie eine Seifenblase, die am Pfeifenkopf haftet, bis ich endlich mich vom Körper losriß und sanft zu Boden sank, von wo ich mich langsam erhob und bis zum vollen Wuchs eines Menschen ausdehnte.

Ich schien transparent, von bläulicher Farbe und vollkommen nackt zu sein. Hiervon peinlich berührt und auf Flucht bedacht, fand ich mich bekleidet, als ich die Tür erreichte, und beruhigt wandte ich mich wieder den Anwesenden zu.

Dabei berührte mein linker Ellenbogen den Arm eines von zweien Herren, die in der Tür standen. Zu meiner Überraschung ging sein Arm durch den meinen anscheinend ohne Widerstand hindurch (und der Betreffende bemerkte nichts von der Berührung. Seinem Blicke folgend,) sah ich meinen eigenen toten Körper. ..

Ich war überrascht von dem bleichen Aussehen des Gesichtes. Ich hatte tagelang in keinen Spiegel geblickt und geglaubt, ich sei nicht so blaß, wie die meisten Schwerkranken... Ich sah eine Anzahl Personen um den Körper herumsitzen und -stehen und bemerkte insonderheit zwei Frauen, die anscheinend zu seiner Linken knieten. . . 

Ich habe seitdem erfahren, daß dies meine Frau und meine Schwester waren.' W. suchte sich des weiteren den Anwesenden bemerklich zu machen, aber ohne Erfolg, und begab sich dann zur Tür hinaus. [1]

Übrigens finde ich auch eine mediumistische Mitteilung seitens eines Zweimal-Gestorbenen verzeichnet, deren spiritistische Deutbarkeit zwar nicht bewiesen ist, deren Inhalt aber so natürlich dem hier Gesagten sich einfügt, daß die Versuchung, sie für echt zu halten, in der Tat sehr stark ist:

denn der Scheintote und bald danach wirklich Gestorbene behauptet, während seines Scheintodes die Erfahrung des Gestorbenseins gemacht zu haben - ein nach unserer Anschauung eigentlich notwendiger Irrtum.

'Mrs. Artemisia Coffinberry erhielt 1857 von ihrem Schwager A. E. die Angabe, er habe die irdische Sphäre verlassen und sei in die himmlische eingetreten. Bald darauf belehrte sie ein Brief, derselbe sei erst einige Tage nach jener Mitteilung gestorben, habe sich aber zur Zeit derselben in kataleptischem Zustande befunden.

Nach seinem (endgültigen) Tode erschien er und sagte: Er habe uns damals besucht und uns jene Nachricht erteilt; sei dann aber ins Leben zurückgekehrt und habe einige Tage bis zu seinem Ende zwischen diesseitigem und jenseitigem Dasein hin und her geschwankt.' [2]

[1] Pr VIII 180ff.
[2] Bei Daumer I 170. Vgl. Gurney II 305; Wieland, bei du Prel. Mon. Seel. 241.


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Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 659)

Diesen Beobachtungen 'von innen' entsprechen, wie angedeutet, andere, an Sterbebetten 'von außen' gemachte, welche die Aussendung eines Phantoms im Augenblick des Todes zum Gegenstand haben, die also dem Hellsehenden die einleitende Phase jenes Vorgangs vor Augen führen, dessen räumliche Fortentwicklung das Phantom des Gestorbenen in größerer Entfernung vom Leichnam zur Beobachtung kommen läßt.

Ich schicke eine Beobachtung voraus, die anscheinend im Unbestimmten stecken geblieben ist, aber offenbar mit den nachfolgenden in eine Gruppe gehört.

'Der verstorbene Dr. Edward Clarke ('einer der scharfsichtigsten Beobachter und fähigsten Naturforscher unserer Zeit') erzählte dem bekannten Schriftsteller O.W. Holmes, daß er einmal, neben einer sterbenden Frau sitzend, ein Etwas von dem Körper aufsteigen sah, das wie ein sich entfernendes Wesen erschien.

Die Überzeugung, sagte er, die sich seinem Geiste aufdrängte, daß etwas in diesem Augenblick sich von dem Körper entfernte, war stärker, als Worte auszudrücken vermöchten. Dr. Holmes fügt hinzu, daß er eine Dame, deren Zeugnis von großer Zuverlässigkeit war, dieselbe Erfahrung fast in denselben Worten habe berichten hören.' [1]

Die folgende Beobachtung eines Herrn T. A. bringt der Zensusbericht der Londoner Ges. f. psych. Forschung als Beispiel für das Hervorgehen volI ausgebildeter Halluzinationen aus unbestimmten schattenhaften Formen. -

'Ich sah’, sagt der Perzipient, 'einen schwärzlichen Dampf meines Vaters Haupt verlassen, als er - vor etwa 12 Jahren - starb, und dieser Dampf formte sich zu einer Gestalt in voller Lebensgröße, und die sieben folgenden Nächte (hindurch) sah ich sie in meinem eigenen Zimmer, ... jede Nacht lichter werdend, bis sie in der siebenten völlig strahlend, ja blendend erschien.

Sie hielt etwa 1½ Min. an. Es war dunkel, sooft das Phantom erschien, ich völlig wach, beim Zubettegehen, mein Alter 32 Jahre.' [2] - Daß der Dampf, aus dem das Phantom sich zu bilden scheint, aus dem Kopfe des Verstorbenen hervorgeht, befindet sich in beachtenswerter, weil vermutlich unbewußter Übereinstimmung mit andern ähnlichen Beobachtungen Hellsehender, wie sie sich nicht selten in spiritistischen Zeitschriften finden.

Im Banner 01 Light berichtet eine gewisse Mary Carpenter, daß sie selbst im Trans am Sterbebette ihrer Mutter das allmähliche Absterben der Glieder und die Bildung 'eines lichten Balles über dem Kopfe' [3] beobachtet habe, welcher anwuchs und zu einer menschlichen Form wurde, 'die schließlich nur durch einen silbernen Faden mit dem Körper in Verbindung stand'.

Sie sah dann angeblich die Verstorbene, von Geistern begrüßt, aufwärts steigen und entschweben. [4]

Einen in Einzelheiten verwandten Bericht lieferte der berühmte A. J. Davis, der aus einer den Kopf der Sterbenden umgebenden 'leuchtenden Atmosphäre' sich einen zweiten, halbleuchtenden Kopf bilden sah, danach in ähnlicher Weise die übrigen Teile eines 'geistigen Leibes', der sich dann erhob und nur durch den Faden eines 'vitalelektrischen Stromes' zeitweilig mit dem Leichnam verbunden

[1] Zit. bei j. F. Clarke, Ten Great Religions (1883) 321. VI(l. die ähnl. 'Beobachtung' PS XXV 204.
[2] Pr X 117.
[3] Hagiologische Parallelen hierzu sind häufig, aber an sich natürlich wertlos.
[4] Ich finde diesen und ähnl. Fälle in einem abstrusen Broschürchen von Dr. G. v. Langsdorff, Der geistige Körper der Seele.


Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 660)

blieb: solange dieser bestehe, meint Davis, sei eine 'Rückkehr' noch möglich. [1] Doch verzichte ich auf ausführliche Wiedergabe von Einzelheiten, die bei der dilettantischen Großspurigkeit des echt amerikanischen Berichtes den Leser mehr abstoßen als fesseln würde. Die Übereinstimmung in absonderlichen Einzelheiten springt immerhin in die Augen.

Die Wichtigkeit, die der Begriff der Exkursion somit für die Auffassung des Sterbens besitzt, muß aber den fragenden Blick auch auf andere Zustände des nicht-wachen Lebens lenken, sofern wir eben den Tod als äußersten Gegensatz des Wachlebens auffassen.

Was am Ende einer Reihe vollendet ist, dürfte sich auf ihren Zwischenstufen wenigstens anbahnen: ein mindestens verändertes Verhältnis dessen, was den Tod überdauert, zum Leibe möchte also wohl das eigentliche Wesen auch von Schlaf, Hypnose, Ekstase und ähnlichen Zuständen bezeichnen.

Daß eine durchaus befriedigende rein -physiologische Theorie dieser Zustände nicht gegeben sei, dürfte der Vorurteilslose heute ohnehin zugestehen. Eine wahre Theorie derselben würde vor allem die nach mannigfaltigen Gesichtspunkten geschichtlich entstandenen Rubriken ersetzen durch eine nach inneren, wesentlichen Merkmalen sondernde Einteilung,

und es erscheint nach allem Vorhergegangenen nicht ausgeschlossen, daß eine Grundlage dieser Einteilung eben im Begriff einer zunehmenden Lockerung des Zusammenhangs zwischen exkursionsfähigem Ich und Nervensystem zu suchen sein werde.

Die erfahrungsmäßigen Hinweise auf eine solche Theorie sind freilich einstweilen äußerst dürftige, und ihre übereilte Verarbeitung wäre der Gefahr des gröbsten Dilettantismus ausgesetzt. [2] Ich will daher nur zwei Belege geben, die sich auf gewisse nicht näher zu rubrizierende hypnotische Zustände beziehen.

Eine Kranke Charpignons gab ihm folgende Beschreibung ihrer nächtlichen Ekstasen, in denen sie, nach Art so vieler Somnambulen, Aufschlüsse über den Gang ihrer Krankheit erhielt:

'Ich gerate, sagte sie, in einen Zustand ähnlich dem, in den mich die magnetische Behandlung versetzt; dann dehnt sich mein Körper allmählich aus und ich sehe ihn (d.h. offenbar den normalen Körper, nicht das, was sich ausgedehnt hat) sehr deutlich in einiger Entfernung, unbeweglich, bleich und kalt, wie einen Toten; was mich anlangt, so erscheine ich mir als leuchtende Dampfwolke und bin mir bewußt, getrennt von meinem Körper zu denken...

Nach einigen Minuten, höchstens einer Viertelstunde, nähert sich dieser Dampf mehr und mehr meinem Körper, ich verliere das Bewußtsein, und die Ekstase ist vorüber.' [3]

[1] A. J. Davis, The Great Harmonia... (Boston u. N. Y. 1851) 163ff. Vgl. PS X 365 (Mrs. de Morgan) und die eigentümliche, ihrer Länge wegen leider nicht wiederzugebende und zu erörternde Beobachtung JSPR XIII 308ff. Die theosophische 'Empirie' behauptet, daß bald nach dem Tode nur der 'ätherische' Leib über dem Leichnam schwebe, 'alles übrige' aber sich bereits fortbegeben habe. (Marques 55.)
[2] S. z.B. A. Besant. Ancient Wisdom 70. 98ff. 150. 399: vgl. A. Kniepf in PS XXIV 43.
[3] J. Charpignon, Physiolqgie, Médecine et Métaphysique du Magnétisme (Par. 1848) 105; vgl. 104f.; Mayo 138 (üb. zwei Hellseher Williamsons); PS XXXIV 669f.; Delanne 38. 


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Oberst Rochas, dessen Versuche allerdings nicht annähernd so vertrauenerweckend, als sie, nach den meist kurzen Berichten zu schließen, verblüffend erfolgreich sind, will die Exteriorisation des Doppelgängers während des 'magnetischen Schlafes' - sagen wir also:

in tiefer Hypnose - sogar photographisch erwiesen haben. Seine Somnambule, beim Photographen Nadar magnetisch eingeschläfert, gab an, ihr Phantom etwa 1 m von sich entfernt stehen zu sehen, was Rochas durch 'Berühren' der angegebenen Stelle bestätigte, indem diese Berührung von der Somnambulen gefühlt wurde.

Eine entsprechende viertelstündige Einstellung des Apparats - während welcher die Somnambule ihren Doppelgänger 'bläulich leuchtend, kaum unterscheidbar am Körper, aber mit Ausströmungen aus den Füßen und sehr deutlich im Profil, . ..

umgeben von beweglichen Flammen' zu sehen vorgab, lieferte auf der Platte 'ein Profil, aber unter der Nase und am rechten Auge zwei Flecken, deren mikroskopische Untersuchung die Überzeugung hervorrief, daß kein Plattenfehler vorlag'.

Nach der Lage dieser Punkte im Bilde will dann Rochas zwei entsprechend gelegene 'hypnogene' Punkte an der Somnambulen entdeckt haben, von denen er vorher nichts gewußt habe. [1]

Die für unsern Gedankenzusammenhang wichtigste Anwendung aber findet der Exkursionsbegriff des Sterbens offenbar auf die herkömmlich sogenannten ekstatischen Zustände, die ja schon frühzeitig Erfahrung und Nachdenken in engste Beziehung zu den Vorgängen des Sterbens gesetzt haben, insofern der Ekstatische - d.h. wörtlich: der seelisch dem Leibe Entrückte - im Leben vorübergehend erfahren sollte, was er im Tode endgültig erfahren würde. [2]

Von religiösen Mystikern sind gewisse Arten des Ekstase-Erlebnisses bekanntlich oft als ein 'Entrissenwerden der Seele aus dem Körper' beschrieben worden, eine 'gewaltsame Erhebung, gleich als ob die Seele in einem Augenblick tausend Millionen Meilen durcheilte'; [3] 'man sollte meinen, sagt S. Teresa, der Geist trete aus dem Leibe heraus - parece que sale del cuerpo -, und doch ist man sicherlich nicht tot,

. . . man kann nur einige Augenblicke lang nicht sagen, ob man im Körper sei oder nicht. Man glaubt, in einer völlig anderen Region gewesen zu sein und ein völlig anderes Licht geschaut zu haben.' [4]

Die gleiche begriffliche Befruchtung muß sich dann aber natürlich auch auf die ekstatisch vermittelten Erkenntnisse erstrecken, und dies veranlaßt mich nun endlich, in der 'Abwicklung unseres Fadens' [5] den letzten jener theoretischen Schritte rückwärts zu tun, die uns in die Erörterung des Phantoms hineinführten, d.h. die Frage zu stellen, ob etwa die Tatsachen der Exkursion im metaphysiologischen Sinne ein neues Licht auch auf die Vorgänge des Hellsehens zu werfen vermöchten.

Wir tun damit also den Schritt von den spontanen und Spuk-Phantomen

[1] Bei du Prel, Mag. I 71 f. Vgl. o. S. 577f.
[2] S. Reitzenstein 193 üb. die spätgriechische Gleichsetzung des xxxx in der Vision und des bvbvbvbv im Tode. Vgl. Rohde II 33 (Dionys.).
[3] S. Alph. Liguori in Homo apostol., app. I Nr. 17 (bei Poulain 262).
[4] S. Teresa, Mor. VI c. 5 üb. vuelo deI espiritu. Angebl. Beob. von 'feurigen Kugeln' u. dgl. über ekstat. Heiligen sind häufig; s. z.B. Görres II 308 ff.
[5] Vgl. o. S. 591.


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Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 662)

zu den Phantomen der selbstbewußten Telephanie und der Exkursion, gelangen also zur Frage, von der wir ursprünglich ausgingen: ob Fernsehen überhaupt, ob es jemals dadurch zustande komme, daß sich der Fernseher als Phantom nach dem Orte des Geschauten hinbegebe. [1] -

Ich wüßte nicht, wie diese Frage anders der Lösung nähergebracht werden könnte als durch Beobachtungen, die uns einen Akt des Fernsehens eingeleitet und vollzogen zeigten durch etwas, was den Leib des Hellsehers verließe, wie Phantome den Leib verlassen.

Nach einigen der Berichte nun, die uns mit der Tatsache der Exkursion zuerst bekannt machten, nahm der Exkurrierende nicht bloß einen Teil seiner Umgebung, einschließlich des eigenen fleischlichen Körpers wahr, sondern glaubte auch selbst in einem Leibe zu sein, der sich ihm als Doppelgänger des verlassenen Leibes darstellte. [2]

Aber weder vermochten jene Berichte recht davon zu überzeugen, daß es sich dabei um Hellsehen des Unbekannten handle, noch erwies sich jene Leiblichkeit des Exkurrierenden unzweideutig als etwas Objektives.

Immerhin näherten sich Varleys und Dr. Wiltses Beobachtungen [3] der ersteren Anforderung beträchtlich, und des letzteren Erfahrung erinnerte überdies an gewisse vorgetragene Theorien des 'feineren' Leibes durch die Angabe:

der Sterbende habe gefühlt, wie, 'beginnend bei den Zehen, unzählige kleine Bande gerissen seien', während der Leib, in welchem W. dann exkurierte, sich allmählich nach dem Kopfe hin  zusammengezogen habe, aus welchem er 'austrat', und daß er mit dem verlassenen Leibe durch 'eine Art dehnbaren Bandes verknüpft' gewesen sei.

An jene Reihe von Beobachtungen nun wieder anknüpfend, will ich einen Bericht anführen, der sowohl das Element des Fernsehens noch deutlicher enthält, als auch in den Einzelheiten der Exkursion noch bestimmter an Beobachtungen von Phantomen erinnert.

Dieser Bericht eines hugenottischen Geistlichen, L. J. Bertrand, an Dr. Hodgson und Prof. James gerichtet, ist zwar ungefähr 30 Jahre nach dem Erlebnis aufgesetzt; die maßgebenden Einzelheiten sind aber zu typisch, als daß man sie nachträglicher Mythenbildung zuschreiben möchte. -

M. Bertrand, ein leidenschaftlicher Bergfahrer, erzählt, daß er bei einer Besteigung des Titlis nach Überwindung der gefährlichsten Strecke zurückgeblieben sei, während seine Gefährten mit dem Führer dem Gipfel zustrebten, wobei er ihnen das Versprechen abnahm, mit Rücksicht auf Wetter und Gelände den 'linken' Anstieg und 'rechten' Abstieg zu benutzen.

Er hatte sich dann am Rande eines Abhanges niedergesetzt - den Rücken gegen den Fels gelehnt, die Beine überhängen lassend - und eine Zigarre in Brand gesteckt, als er sich plötzlich von einer Lähmung ergriffen fühlte, die ihn sogar verhinderte, das Streichholz fortzuwerfen, das ihm schon den Finger verbrannte.

'Dies, dachte ich, ist der Schneeschlaf. Rühre ich mich, so rolle ich in den Abgrund, rühre ich mich nicht, so bin ich in einer halben Stunde ein toter Mann.' Er beobachtete dann,

[1] Vgl. o. S. 500. 
[2] o. S. 506f. 5l3ff.
[3] S. o. S. 504f. 657f. Dr. Wiltse sah nämlich auch die Straße als er 'zur Tür hinausging': Pr VIII 182.


Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 663)

nicht unähnlich Dr. Wiltse, das allmähliche Absterben der Füße und Hände, sodann der Knie und Ellenbogen, endlich des Rumpfes, das Erkalten des Kopfes, und schließlich, mit einer äußerst schmerzhaften Empfindung am Herzen, das ihm wie von Zangen gequetscht und gezerrt erschien, das 'Ausgehen' des Lebens.

'Gut, dachte ich, endlich bin ich, was man einen Toten nennt, und hier bin ich nun, ein Luftball in der Luft, [1] ein Fesselballon, an die Erde gebunden durch eine Art dehnbaren Fadens, immer weiter aufwärts steigend. (Aber) wie seltsam! Ich sehe besser als je zuvor.'

Er 'sah' den eigenen blassen Körper (angeblich mit der Zigarre im Munde und dem Streichholz in der Hand), fühlte sich sehr lebendig und voll Verlangen, den Faden zu durchschneiden, der ihn an seinen Leichnam band.

Dann nahm er wahr, daß seine Gesellschaft den 'rechten', anstatt, wie versprochen, den linken Anstieg nahm, daß W., welcher der letzte und angeseilt hatte sein sollen, weder das eine noch das andere war, und daß der Führer, hinter die jungen Leute versteckt, sich Huhn und Madeira aus den Speisevorräten der Gesellschaft zu Gemüte führte.

'Hallo, sagte ich, dort geht meine Frau nach Luzern, und doch sagte sie mir, sie würde nicht vor morgen... abreisen. Sie sind ihrer fünf vor dem Hotel in Lungern [sic] . .. Ich muß gestehen, . .. ich fühlte weder Trauer noch Freude darüber, daß ich sie verließ.

Ich bedauerte bloß, daß ich den Faden nicht durchschneiden konnte. Plötzlich hielt ein Schlag oder Stoß (ein shock) meinen Aufstieg an und ich fühlte, daß jemand den Ballon abwärts zog. Mein Schmerz kannte keine Grenzen.'

Bertrand war von den zurückgekehrten Genossen aufgefunden worden und der Führer war dabei, seinen steifen und kalten Körper mit Schnee zu reiben. 'Ich konnte nunmehr weder sehen noch hören, aber ich konnte meinen Herabstieg verfolgen, und als ich meinen Körper wieder erreichte, fühlte ich eine letzte Hoffnung:

der Ballon schien viel zu groß für den Mund zu sein.' Indessen wurde der Ballon vom Leichnam verschlungen. M. Bertrand bekennt hier eine gewisse Erinnerungslücke. 'Alles schien mir Verwirrung und Chaos zu sein.'

Dann bemächtigte sich seiner Wut und Erbitterung, dazu Verachtung gegen den Führer, der in Erwartung eines guten Trinkgelds ihm vorrechnete, er habe ihn vom Tode errettet. Bertrand schrie ihn an: Ob er ihn für einen Narren halte?

Er sei mehr lebendig gewesen, wie sie alle. Warum sie nicht den verabredeten Weg gegangen? Der Führer suchte sich durch Gründe zu entschuldigen. Aber als ihm Huhn und Madeira vorgehalten wurden, glaubte er gewiß zu sein, daß er den Leibhaftigen vor sich habe.

Es ist im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Geschichte wertvoll zu erfahren, daß der Mann Reißaus nahm und sich freiwillig seines Lohnes begab. 'Ich habe ihn bis heute nicht bezahlt.' Auch was M. Bertrand von seiner Frau gesehen, erwies sich als richtig.

Er behauptet, später genaue Kenntnis von Orten gehabt zu haben, die er in seinem todähnlichen Zustand zum ersten Male gesehen. [2]

Bertrands Erwähnung eines 'Ballons' (am 'Faden') an Stelle eines Phantoms möchte zunächst nicht als das erscheinen, was wir in diesem Zusammenhang erwartet (oder gar gewünscht) hätten. Ich bemerke indes, daß gerade diese Einzelheit dem Belesenen als typisch erscheinen muß, wie auch wir ihr bereits begegnet sind. [3]

Dieser ihr typischer Charakter

[1] ball of air in the air.
[2] Pr VlII 194ff. Ich gebe einen alles Wesentliche enthaltenden Auszug.
[3] Vgl. o. S. 660. Charpignons Fall.


Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 664)

mag hier durch noch ein Beispiel unterstrichen werden, welches eine ähnliche Beobachtung, aber 'von außen' gemacht, berichtet.

Sie stammt von Mr. Ch. Jupp, einem guten Zeugen, Vorsteher des Waisenhauses in Craigellachie. 'Eines Nachts’, berichtet er, 'erwachte ich plötzlich ohne ersichtlichen Grund und fühlte den Antrieb, mich herumzuwenden, indem mein Gesicht der Wand, mein Rücken den Kindern (im Schlafsaal) zugewendet war.

Ehe ich mich umwandte, blickte ich auf und sah ein mattes Licht im Zimmer', (das er der herabgeschraubten Gasflamme im Vorraum zuschrieb.) 'Doch wurde mir bald klar, daß dem nicht so sei. Ich wandte mich herum und hatte einen wunderbaren Anblick.

Über dem zweiten Bett nächst meinem und auf der gleichen Seite des Zimmers schwebte eine kleine Lichtwolke, (etwa fünf Fuß hoch) . . . von der Helligkeit des Mondes in einer gewöhnlichen Mondnacht.

Ich saß im Bette auf, blickte nach der seltsamen Erscheinung hin, griff nach meiner Uhr und stellte fest, daß die Zeiger auf 5 Min. vor 1 wiesen... Ich war völlig wach... Um 6 Uhr... nahm ich den kleinen Knaben (über welchem die Erscheinung gesehen worden war) aus dem Bette, setzte ihn auf meine Knie und zog ihm einige Kleidungsstücke an . ..

Indem er mir mit einem außergewöhnlichen Ausdruck fest ins Gesicht sah, sagte er: 'O, Mr. Jupp, meine Mutter kam diese Nacht zu mir. Haben Sie sie gesehen? ...' (Die Mutter war etwa ein halbes Jahr zuvor gestorben.) [1]

Beobachtungen dieser Art, die nicht ganz selten sind, mögen M. Bertrands Ballon als etwas leidlich Typisches erscheinen lassen.

Was seine Deutung anlangt, so erinnere ich zunächst an gewisse alte Lehren (die in heute gangbaren 'Geheimlehren' fortleben), wonach der Mensch außer fleischlichem, ätherischem und astralem Körper noch mehrere nicht nach Menschenbild geformte Leiblichkeiten (Vehikel) haben soll, deren Beschreibung an Bertrands Angaben erinnert.

Diese Lehren - auf deren Einzelheiten ich nicht eingehen will - über innerste Träger des Bewußtseins treten mit dem Anspruch auf, Ergebnisse sorgfältiger und weit zurückreichender hellseherischer Beobachtungen zu sein. [2]

Nun haben wir ja reichlichen Grund zu glauben, daß gewisse Personen mehr sehen als andere und daß ein beträchtlicher Teil des Mikro- wie des Makrokosmos der Mehrzahl von uns verhüllt ist.

Ernsthaft erörtern wird man jene Lehren freilich erst können, wenn die Seher aus ihrer Namenlosigkeit heraustreten, wenn wir über ihre 'persönlichen Gleichungen', auch ihre etwaige seelische Pathologie, über die innere Geschichte und Verlaufsart der Versuche sowie die Einzelheiten der Aussagen Genügendes erfahren, um ihre Glaubwürdigkeit einem wägenden Urteil zu unterwerfen.

Die Berichterstatter selber räumen gelegentlich die Möglichkeit von Irrtümern ein, und daß gerade die bestimmteren Angaben zunächst nur versuchsweise seien. [3] Um so mehr fragt man sich vor allem, mit welchem Grade von Sicherheit denn die angeblich oft nur als 'aura'-artige Umhüllungen des fleischlichen

[1] Pr III 87ff. Vgl. Gurney II 215; den Fall in Kerners Magikon III 223ff.; PS XXI 413ff.
[2] S. z.B. die beiden Vorreden bei Marques. Vgl. (außer theo- und anthroposophischen Werken) d. 2. Abt. der Taittiriya-Upan. (bei Deussen 228ff.).
[3] Marques, Vorr.


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Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 665)

Körpers wahrnehmbaren 'höheren Vehikel' von jenen banaleren Ausströmungen zu unterscheiden seien, von denen seit Reichenbach auch in besonnenen Kreisen so viel verlautet hat und die sich, gerade wie jene verborgensten Leiblichkeiten, [1] vor allem an die Farbenwahrnehmung der Sensitiven zu wenden scheinen. [2]

Nun hören wir freilich auch von Beobachtungen, die jene verborgenen 'eiförmigen' Körperlichkeiten der inneren Bewußtseinslagen anscheinend eindeutiger verbürgen, als es Erlebnisse wie das Bertrand’sche könnten.

Ein denkbares Schema solcher Eindeutigkeit wäre annähernd verwirklicht, wenn dem exteriorisierten Bewußtsein gleichzeitig die äußere Anschauung des eigenen Leibes sowohl als auch Phantoms gegeben würde.

M. Lecomte berichtet nun in der Tat, daß die von ihm eingeschläferte Mme. Z. ihren irdischen Leib und außerdem, einen Meter von diesem entfernt, ihren Astralleib als leuchtende bläuliche Wolke sich bilden gesehen (also sich selbst wohl außerhalb beider befunden?) habe.

Diese Angabe wurde scheinbar objektiv bestätigt und die Beobachtung zu einer kollektiven gemacht: denn die gleichzeitig eingeschläferte Mireille sah angeblich diesen Astralleib der Mme. Z. und eine leichte bandartige Verbindung zwischen Erden- und Astralleib, in deren Mitte aber eine weit heller leuchtende Stelle, nach Mireilles Meinung zum Geiste der Mme. Z. gehörig, der dem Astralkörper nicht völlig gefolgt wäre, weshalb denn diese auch Astral- und Erdenkörper gesehen habe.

Aber die Befürchtung wird nicht widerlegt, daß die Aussagen der Subjekte und ihre Übereinstimmung auf gegenseitiger Beeinflussung oder auf Beeinflussung beider durch die Anschauungen des Versuchsleiters beruht habe;

wie ich überhaupt gestehen muß, daß ich kein anderes Gebiet metapsychischer Forschung so widerwillig und mit dem gleichen Gefühl der Unsicherheit gegenüber allen Behauptungen betrete, wie die triebsandüberwogten Einöden des neueren französischen 'Okkultismus'.

Diese Bemerkung gilt aber auch den Belehrungen, die uns die Pariser Dilettanten der Geheimforschung auf eine letzte Frage zuteil werden lassen, die uns die soeben angedeuteten Tatsachen unwiderstehlich aufdrängen.

Selbst die Wirklichkeit jener göttlichen Seifenblasen zugestanden, kann man doch den Wunsch nicht unterdrücken, in die Geheimnisse ihres organisierten Innenlebens einen genaueren Blick zu tun.

Die Vorstellung, daß die 'höchsten' und 'feinsten' der Bewußtseinsträger des Menschen bloße homogene Nebeleier, wenn auch aus 'Materie von unvorstellbarer Feinheit' darstellen sollen, ist zu abgeschmackt, um auch nur einen Augenblick erwogen zu werden.

Irgendwelche Organisiertheit, ja mit Vorliebe eine von 'unvorstellbarer' Differenziertheit, fordert das denkende Gemüt für sie. Von einer solchen aber schweigt der Mund der

[1] Das. 54.
[2] Vgl. hierzu Dr. J. St. Hooker, Human rays and their spectra, in Lancet 12. Nov. 1904; C. W. Leadbeater, Man visible and invisible... (Lond. 1902) 80ff.; Prof. Fleischer, Üb. d . farbigen Lichterscheinungen der Sufis in ZDMG XVI 235ff. Probst-Biraben in RPh 1906 II 495.


Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 666)

Adepten, wie auch - a fortiori - von den funktionellen Beziehungen, die zwischen diesen Lichtkugeln und den banaleren Gebilden des geformten Leibes anzunehmen seien.

Der fantasievolle Dr. Baraduc freilich versichert uns, er habe die 'Kugeln' von sechs Personen gesehen, photographiert und Experimenten unterworfen.

In der boule d'azur der Damen T. und Sy. habe er etwas wie innere Strömungen in leuchtenden Farben erblickt, die sich in symmetrischer Harmonie durcheinander schoben, ohne sich je zu begegnen, in Wirbel oder Strudel von regelmäßiger Gestalt in den Tinten des Regenbogens [1] übergehend.

Mme. Sy. befand sich dem Tode nahe, während er diese 'unvergeßlichen Eindrücke' sammelte, die ihn an die Legende der drei leuchtenden Kugeln erinnern, in denen S. Franz von Assisi sich während der Messe exteriorisiert haben soll. [2]

Baraduc gewährt uns Einblick in seine Schaffungen durch eine Zeichnung von allerdings staunenswerter Symmetrie, in der sich mannigfache Schleifen um einen knopfartigen Mittelpunkt anordnen, mit deren Wiedergabe ich indes meinen Verleger nicht glaube bemühen zu müssen.

Baraduc’s Art zu beobachten, zu denken und zu beschreiben macht auf den unbefangenen Leser durchweg einen Eindruck, der ihn zu äußerster Zurückhaltung des Urteils bewegen muß.

Es mag indessen erwähnt werden, daß etwa an derselben Stelle des Buches uns die Photographie eines der Baraduc’schen Subjekte, Mlle. Suzanne de L., dargeboten wird, in einem Zustande, den der Verfasser - mit der unausrottbaren Vorliebe seiner Landsleute für klangvolle Kunstausdrücke - als auto-hypnose médiuminique bezeichnet:

Körper eiskalt - glacé. Man bemerkt hier einige Fuß über dem Kopfe der Schlafenden eine Art Ballon - la boule irisée de spiritualité -, zu welchem ein 'Faden' sich hinaufzieht, dessen Ansatzstelle am Körper sich nach dem Bilde nicht leicht bestimmen läßt.

Es würde mir schwer fallen, diese Dinge .zu besprechen, ohne im mindesten von der Ernsthaftigkeit wissenschaftlicher Rede abzuweichen. Gleichwohl habe ich sie nicht vorgebracht, lediglich um sie dem Schmunzeln oder Gelächter des Lesers preiszugeben.

In einem Buche, das so viel alte Lehre und Aberglauben der Beachtung der Wissenschaft empfiehlt, wäre die Festsetzung von Grenzen, wo Glaublichkeit aufhöre, übel am Platze.

Die gangbare Anschauung vom Menschen haben wir schon jetzt zu gründlich hinter uns gelassen, um nicht die Möglichkeit zuzugestehen, daß (sagen wir) etliche Kontinente unentdeckter Wahrheiten auch hier noch vor uns liegen.

Daß dem Mikrokosmos Mensch die Möglichkeit der Anpassung für mehr 'Niveaus' offenstehe, als die Physiologie schon heute einräumt, ist uns bereits geläufig, und daß zwischen dem Chemismus dieser Physiologie und den Wurzeln des Individuums im größeren Bewußtsein sich noch andere mögliche Träger seines Einzellebens einschieben mögen, als etwa das gestaltete Phantom (oder das, was uns als Phantom erscheint), ist ein Gedanke, der eigentlich für uns keine Schrecken mehr haben sollte.

Was ich dagegen glaube betonen zu müssen, ist, daß wir für Annahmen

[1] tourbillons irisés et reglés.
[2] H. Baraduc, Les vibrations de la vitalité... (Par. 1904) 272ff.


Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 667)

dieser weitergehenden Art nicht entfernt so sichere Grundlagen der Erörterung haben wie jene, die zur Erörterung des Phantombegriffes zwangen.

In der Tat scheinen verschiedene Einzelheiten in Berichten von der Art des Bertrand’schen den Weg anzudeuten, auf welchem wir von diesen gestaltlosen Körpern zu unsern Phantomen zurückfinden können.

Die Angaben von Charpignons Subjekt z.B. über eine Ausdehnung seines Körpers vor Bildung der 'leuchtenden Dampfwolke' erinnern deutlich an die der Durville’schen Versuchspersonen über den Zusammenhang der Bildung des Phantoms mit dem vorherigen Auftreten bloßer leuchtender 'Massen'; [1]

dieser aus 'Schichten' entstandene Doppelgänger aber scheint in seinen Vorstufen etwa in der Mitte zwischen menschengleichem Phantom und  Kugelleib zu stehen, er wird bald zu diesem, bald zu jenem, und legt so die Vermutung nahe, daß die Kugel selbst nur eine Erscheinungsform jener Vorstufen, soz. die Matrix einer Phantombildung sei. [2]

Laurent, der die leuchtenden couches des Subjekts Mireille sich plötzlich zu einem double verdichten sah, gab weiter an, daß dieser double in Gestalt einer leuchtenden Säule aufsteige, mehr kugelförmig werde, aber fortgesetzt durch eine Art Schweif (offenbar den 'Faden', wie andere es nennen) mit dem materiellen Körper zusammenhänge. [3] -

Ähnliche Angaben hat Rochas von demselben Laurent über Beobachtungen an sich selbst erhalten, indem dieser in tiefer Hypnose auf die Frage, wie er sich befinde, die Antwort gab: 'Sein exteriorisierter Doppelgänger suche die Form einer Lichtkugel anzunehmen. [4]

Entsinnen wir uns auch, daß selbst während mediumistischer Experimentalsitzungen häufig ein Beobachter nur 'leuchtende Wolken', der andere am gleichen Orte geformte Glieder oder Gestalten sieht, etwa gar in der Ausführung objektiver Leistungen begriffene.

Wie denn auch für den Blick Hellsichtiger sogar die lebende Menschengestalt zuweilen wie in die Wolken ihrer 'Emanationen' gehüllt, von ihnen geradezu verhüllt erscheint. Entsinnen wir uns endlich, daß die seltsame Einzelheit des verbindenden 'Fadens' uns bereits in Beschreibungen entgegentrat, die ein gestaltetes Phantom in Verbindung mit einem physischen Körper zeigten.

Nach alledem liegt es eigentlich nahe, auch Herrn Bertrand’s 'Fesselballon' nicht für das gestaltlose Etwas zu halten, das er auf den ersten Blick zu sein scheint, sondern für die Verhüllung eines sehr viel mehr, und zwar menschlich Gestalteten.

Tatsächlich finden sich auch Berichte, denen zufolge das Bewußtsein der Entleiblichung als bloße Nebelmasse alsbald in das eines gestalteten und sogar handelnsfähigen Körpers übergeht. Das Beispiel, das ich anführe, gleicht dem Falle Bertrand überdies darin, daß es beträchtlichen hellsehenden Wissenserwerb behauptet, sich unserem augenblicklichen Zusammenhang also besonders passend einordnet.

[1] o. S. 578.
[2] Vgl. o. S. 561f. 578ff. 585. 594ff. und den erwähnten Fall PS XXI 413ff.
[3] ÜW IV 204.
[4] Aus ASP V 271 in ÜW IX 250.


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Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 668)

Herr W. A. Laufmann, ein käufmännischer Reisender, der bei einer Gelegenheit in Omaha fast zwei Tage lang 'für tot' gelegen hatte, beschreibt zunächst den Vorgang seines 'Sterbens' nicht unähnlich den Angaben Dr. Wiltses.

'An jenem verhängnisvollen Morgen wurde ich mir plötzlich einer unbeschreiblichen Empfindung bewußt, die an den Füßen einsetzte und durch meinen ganzen Körper und oben zum Kopf hinaus schlug.

Ich hatte das Bewußtsein von etwas gleich einem Watteball, der sich loslöste und ausbreitete, der Form nach in der Größe [1] eines Mannes, wenigstens drei Fuß größer als ich. Ich stand mitten im Zimmer und sah deutlich meinen toten Körper auf dem 'Bette liegen.

Ich machte mich daran, das Zimmer zu verlassen, und begegnete einem der Ärzte. Ich wunderte mich, daß er nichts zu mir sagte, aber da er sich nicht bemühte, mich anzuhalten, begab ich mich auf die Straße hinaus.' Hier traf er einen Bekannten, Herrn Milt Blose. 'Ich versuchte, ihm zur Begrüßung auf den Rücken zu klopfen, aber mein Arm ging geradewegs durch ihn hindurch...

Es war mir ganz unmöglich, seine Aufmerksamkeit zu erregen... Ich sah ihn deutlich die Straße überqueren und ein Miniatur-Ferris-Rad in einem Fenster anschauen.' Laufmann begab sich dann wieder ins Hospital zurück, durch die Tür in sein Sterbezimmer, sah wiederum seinen Leichnam und hörte die Ärzte den Fall erörtern.

Als einer von ihnen experimentweise seinen Füßen einen elektrischen Apparat anlegte, 'hatte ich deutlich die Empfindung (davon), während ich draußen mitten im Zimmer stand' - man erinnert sich der angeblichen Empfindungsgemeinschaft zwischen Medium und Phantom [2] -, 'und unter heftigstem Schmerzgefühl wußte ich, daß ich wieder im Leibe sei'.

Herr Laufmann besitzt Briefe und Telegramme, aus denen hervorgeht, daß Herr Milt Blose an dem betreffenden Tage wirklich in Omaha war und, wie von L. gesehen, die Straße hinabschritt und das Ferris-Rad anschaute. [3]

Versuchen wir es also, angeregt durch solche Berichte, mit der äußersten Annahme: daß auch Bertrands 'Fesselballon' nur die umhüllende 'Aura' oder 'Atmosphäre' eines menschlich-gestalteten Doppelgängers gewesen sei, der sich durch den Raum hinausbegeben habe, um an Ort und Stelle gleichsam normal wahrzunehmen, was dem zum Leibe heimgekehrten Bewußtsein dann als ein Ferngesicht erscheinen mußte.

Dies wäre dann die konkreteste Form jenes Aufspürens des Entfernten, wovon die Tatsache der Psychometrie eine Andeutung zu enthalten schien. [4] Die Frage, wie denn der 'feine' Körper des Phantoms die grob materiellen Dinge wahrnehmen könne, würde wahrscheinlich nicht größere Schwierigkeiten darbieten, als die Frage nach der Möglichkeit seiner objektiven Betätigung.

An einem reizevermittelnden 'Medium' würde es jedenfalls bei solcher Wahrnehmung seitens des Phantoms nicht fehlen: wären selbst die normalen Reize zu 'grober' Natur, um auf einen solchen Leib zu wirken, so würde man etwa eben auf 'feinere', als gewissermaßen ihre 'Duplikate' zurückgreifen, die von den ätherischen Duplikaten des Wahrgenommenen

[1] So! (in form the size...)
[2] S. o. S. 577.
[3] Borderland IV 438f.
[4] Vgl. o. S. 496ff. Natürlich könnten dann in diesen Zusammenhang auch einige jener Fälle gehören, welche ein Wahrgenommenwerden des Fernsehenden am hellsichtig wahrgenommenen Schauplatz zeigten (o. S. 511ff.).


Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 669)

ausgehend zu denken wären. (Daß aber eine solche Anschauung, falls möglich befunden, auch das Problem des Nahhellsehens auf neue Grundlagen stellen würde, liegt auf der Hand: denn dieses fiele dann geradezu mit dem Fernsehen zusammen, es wäre ein Sehen des 'feineren' Leibes ohne Exkursion, gleichsam daheim.) [1]

Die Anwesenheit eines wirklichen Leibes am ferngesehenen Orte könnte u. a. in der schon früher erwähnten Tatsache zum Ausdruck kommen, daß die Wahrnehmung des Fernen von einem örtlich-nahen Blickpunkt aus stattfindet, wie ihn ein sehendes Auge inmitten der wahrgenommenen Szene einnehmen müßte, und daß dieser Blickpunkt sich häufig in jedem Stadium der anscheinenden Exkursion genau so verändert, wie es einem normalen Auge entsprechen würde.

Von einem 'Traume' (der ja eine Exkursion decken könnte) sagt die Perzipientin, sie habe ihren Vater nicht wirklich fallen gesehen (der Vater war plötzlich erkrankt), 'sondern ich war am Platze, gerade als die Kutsche abfuhr (in welcher der Erkrankte tatsächlich fortgeschafft worden war), und sah deutlich, daß zwei Personen auf dem Kutschensitz saßen, aber der Rücken des einen Mannes, der meinen Vater hielt, verhinderte mich, ihn zu erkennen; den Mann auf dem Kutschbock sah ich deutlich und erkannte in ihm einen Droschkenbesitzer aus Hastings, und er war wirklich der Mann, der meinen Vater an jenem verhängnisvollen Morgen fuhr.' [2]

Auch die Tatsache einer bewußten optisch-konkreten Fortbewegung im Raume haben die früher gegebenen Beispiele von Exkursion und von Fernsehen bereits erkennen lassen. Die ersteren zeigten gewissermaßen die ersten Schritte der fraglichen Wahrnehmungsreise: der Exkurrierende sieht seinen Körper, das Zimmer, begibt sich dann ins Nebenzimmer, aus dem Hause hinaus, über die Dächer der Stadt usw. [3]

Dann reißt der Faden ab: phantastische Gesichte hüllen ihn sehr häufig ein. Aber das Experiment der hellsehenden 'Reisen' scheint ihn oft am Endpunkt seiner Fahrt wieder auftauchen zu lassen:

er 'ist' nun in den fremden Räumlichkeiten, geht auf Wunsch des Versuchsleiters von Zimmer zu Zimmer, durchsucht die verborgensten Schlupfwinkel usw., [4] und dies örtliche Spiel des Suchens hat, wie wir wissen, oft einen außerordentlich realistischen Anstrich.

Die uns bekannte Jane fragt einmal, als sie einen gewissen Herrn aufsuchen soll: Jetzt sind wir in einer großen Stadt. Sollen wir die Straße zu diesem kleinen Dorfe einschlagen? 'Da ich’, sagt Dr. F., 'aus ihrer Beschreibung entnahm, daß sie an dem gesuchten Hause schon vorüber war, antwortete ich:

Nein, du mußt dieselbe Straße wieder zurückgehen, du bist ein wenig zu weit. - 'Können wir dann in dies Haus mit dem kleinen Pförtnerhäuschen und einem Garten hineingehen?’ –

[1] Tatsächlich behauptet Durville Übertragung aller Wahrnehmungen auf das exteriorisierte Phantom: Ann. occ. et psych. 1908.
[2] Gurney II 441; vgl. 506.
[3] S. o. S. 505ff.
[4] S. o. S. 392ff. 501.


Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 670)

Ich sagte ihr wieder, daß sie zu weit gegangen sei, 'denn das Haus, das ich nach ihrer Beschreibung erkannte, liegt einige hundert Meter über dasjenige hinaus, zu dem sie gehen sollte.' - Dann kommt sie zu dem richtigen Hause, erblickt den gesuchten Herrn, beschreibt seine Quäker-Kleidung und Quäker-Redensweise, usw.! [1]

Was aber besonders ins Gewicht fällt: die Erfahrung auch solcher hellsehend-blickender Ortsbewegung in der Ferne beginnt zuweilen deutlich mit jenem Gefühl des Ausdem-Leibe-Hinausgehens, welches gerade im Zusammenhang mit den Vorgängen der Phantombildung für uns Bedeutung erlangt hat.

Eine Somnambule, von der Dupotet berichtet, gab an, beim Fernsehen sei es ihr, 'als ob etwas in mir, das ich selbst bin, fortginge, sich hinschwinge und sich dann an dem betreffenden Ort befinde. Ich höre dann, was an dem Ort gesprochen wird, wohin ich mich versetzt habe, ich rieche die Gerüche, die dort verbreitet sind', sie empfindet die Temperatur usw. Auch brauche sie Zeit, diese Hinversetzung vorzunehmen. [2]

Deutlicher sind die Angaben eines Mediums, das in Katalepsie die typischen Erscheinungen des reisenden Hellsehens darbietet: ein unbekanntes Haus durchstreift, seine Möbel und Bewohner beschreibt, ein Buch, das dort gelesen wird, zwar anfangs nicht erkennen kann, dann aber, vom Versuchsleiter aufgefordert, näher heranzutreten, und dieser Aufforderung angeblich folgend, den Titel richtig feststellt - Le Diable à la Cour -, diese ganze Leistung nun aber in folgender Weise einleitet:

'Er habe das Gefühl, aus sich hinauszugehen, plötzlich frei zu werden und in der Luft zu fliegen’; dann wurde er von Schreck ergriffen und sagte: er fürchte zu fallen. Er begann, unruhig die Eindrücke zu beschreiben, die er während seiner Reise hatte. .. Er sah Häuser, Straßen, Lichter unter sich, . . . bis er in ein Haus gelangte. Auch fürchtete er sehr, gesehen zu werden. [3]

Alles Vorstehende enthält augenscheinliche Verlockungen zur Annahme, daß Fernsehen wenigstens zuweilen durch Anwesenheit-in-der-Ferne eines Körpers zustande komme. Ich sage Verlockungen, denn um zwingende Gründe handelt es sich offenbar nicht.

Die Gründe dieser Ablehnung eines Urteilszwanges sind in den früheren Ausführungen zum Problem des Fernsehens bereits gegeben. Örtliche Bestimmtheit des Blickpunktes (wenn auch nicht bis zum Verdecktwerden wesentlicher Teile des Bildes durch andere) findet sich auch in rück- oder vorschauenden Gesichten, bei denen doch Festlegung des Blickpunktes durch anwesende Sinnesorgane gar nicht in Frage kommt.

Auch das Bewußtsein einer wahrnehmenden Fortbewegung von Ort zu Ort ließe sich, wie gesagt, mit einer mehr idealistischen, leibfremden Deutung des Hellsehens am Ende

[1] Pr VII 83. Vgl. Charpignon, aaO 89f.
[2] Dupotet in JM XVI 435. 498.
[3] Aus Estudos (Port.) od. Estudios (Sp.) psiquicos,  1905 in APS II 243f. - Körperliche Symptome nach Abschluß einer Hellsehleistung, wie: 'Elektro-Schläge' durch den ganzen Körper, Unwohlsein, Nicht-wach-werden-können u. dgl. sind wohl nicht eindeutig: z.B. PS 1904 571ff.; PrAm I 446; Kerner, Seherin 172; ders., Gesch. 102; Crowe 128f.; Gurney I 555 Anm.; Année occ. et psych. 1908 251.
[4] S. z.B. Dr. Wiltses Erfahrung: Myers I 669 o.; Pr VIII 505.


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Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 671)

ebensogut vereinigen. [1] Was aber die zuweilen feststellbaren deutlichen Anzeichen einer Exkursion zu Beginn des hellseherischen Erlebnisses anlangt, so darf nicht übersehen werden, daß ein rein 'geistiger' Erwerb von Fernwissen im Zustande der Hinausversetzung aus dem Leibe erIeichtert sein könnte, ohne daß diese bis zur Fernanwesenheit fortschritte.

Diese Vermutung kann sich immerhin auf Andeutungen in der Erfahrung berufen. Die Subjekte hellsehender Exkursionen nehmen nicht nur Dinge wahr, die sie unter Voraussetzung einer Exkursion hätten 'optisch' wahrnehmen können (wie M. Bertrand den eigenen Körper und den Aufstiegsweg seiner Gefährten),

sondern sehen, erfahren und begreifen gleichzeitig auch Dinge, die eine solche Wissensquelle nicht haben könnten, oder vermutlich nicht haben, (wie M. Bertrand vielleicht das Vorhaben seiner Frau in Luzern, oder wie das Subjekt einer später wiederzugebenden Erfahrung - das zunächst auch die Gebäude und den Sonnenschein 'tief unter sich' wahrnahm - gewisse 'Dinge, die später in Erfüllung gingen'.) [2]

Sind mithin jene theoretischen Verlockungen an sich schon zweideutig genug, so stellen sich der Theorie, für die sie sprechen sollen, auch noch Schwierigkeiten bodenständiger Art entgegen, die von dem Grade der Glaublichkeit eines 'feineren' Leibes ganz unabhängig sind.

Als die geringste davon erscheint mir die heikle Frage, wie denn die vorauszusetzende, mitunter notwendigerweise sehr schnelle Fernversetzung der fraglichen Körperlichkeit zu denken sei. Wir wissen so wenig von der Physik, geschweige von der Physiologie des 'objektiven' Phantoms, daß ausreichende Möglichkeiten einer Erklärung hier wohl vorausgesetzt werden dürften.

Aber wie gering dieses Wissen auch sein mag: müssen wir dem 'feinen' Leibe des Hellsehers nicht eine solche Wichtigkeit für die normale Lebenswirtschaft zuschreiben, daß seine zeitweilige Trennung vom Körper einen fast todähnlichen Zustand herbeiführen müßte?

Diesen todähnlichen Zustand beobachten wir nun ja in vielen Fällen, in denen der Tatbestand der Exkursion einigermaßen deutlich gegeben schien. [3]

Auch die Subjekte von Fernerscheinungen, bei denen wir gleichzeitiges Fernwahrnehmen ja stets als möglich, wenn nicht als wahrscheinlich ansetzen müssen, befinden sich, wie erinnerlich, sehr häufig in Zuständen wie Schlaf, Ohnmacht, Koma, Narkose, Giftbetäubung u. dgl., [4] wie ja Ähnliches selbst in Fällen einfachen Fernerfahrens häufig ist, die im übrigen deutliche Hinweise weder auf eine Exkursion noch auf bloßes Bildsehen enthalten. [5]

Gleichwohl besteht die Tatsache, daß nicht nur bloßes bildhaftes Erleben des Ferngeschehens bei nur leicht getrübtem

[1] s. o. S. 510.
[2] Auch Charpignons Subjekt 'verstand' in der 'Dampfwolke' (vgl. o. S. 660) 'mehr Dinge, als im bloßen Somnambulismus'.
[3] Vgl. o. S. 504 u. 505 u. 506f.
[4] S. z.B. Gurney I 225. 384; II 85. 86. 89. 227. 258. 384ff.
[5] Man beachte selbst an Swedenborgs berühmtem Hellgesicht eines Stockholmer Brandes das wiederholte Verlassen der Gesellschaft, in der er sich z. Zt. befand: Kant, Träume e. Geistersehers... (Kehrbach) 47.


Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 672)

Wachbewußtsein der wirklichen Umgebung stattfinden kann, [1] sondern daß auch in Fällen, in denen der Anschein der Exkursion zum mindesten durch angebliches Abschreiten der fernen Örtlichkeit und durch Erscheinen daselbst  [2] erzeugt wird, doch genügendes Leben und Bewußtsein zurückbleiben, um ein fortlaufendes Berichten des gleichzeitigen Verlaufs der Fernereignisse zu ermöglichen.

Jane, Fanny, Park, Emma und andere 'reisende' Hellseher sind zwar in einer Art Trans, reden aber, wie wir wissen, beinahe ungehemmt über das, was sie gleichzeitig in der Ferne sehen und erleben.

Nun dürfen wir allerdings bei unsrer Unwissenheit das Gewicht auch solcher Tatsachen nicht überschätzen. Wir können nicht mit völliger Sicherheit behaupten, daß so viel Leben, als das entfernte Phantom und somnambul-beschreibende Subjekt im äußersten Falle bekunden, nicht wirklich gleichzeitig möglich sei, oder daß zwei so ortsverschiedene Körperlichkeiten nicht ein gemeinsames Bewußtsein haben könnten, so sehr auch die klare Alternative von Bewußtsein entweder im physiologischen oder im Exkursions-Leibe die Regel sein mag. [3]

Wir kennen verwandte Seltsamkeiten bereits als 'Gemeinschaft von Bewegung und Empfindung' zwischen Medium und materialisiertem Phantom, und auch abgesehen davon sind unsere Ansichten über das Verhältnis des Einzelbewußtseins zu seinem 'Organ' bereits reichlich über die harten Grenzen der üblichen Ansicht hinausgediehen.

Sollten sich freilich diese Zugeständnisse als zu weitherzig erweisen, so fände sich eine Deutung des Fernsehens durch körperliche Exkursion auf Fälle zurückgedrängt, die den Leib des Sehers tatsächlich in todartigen Zuständen zeigen; wobei natürlich die Zulässigkeit dieser Deutung außerdem noch von dem Grade der Glaublichkeit abhinge, den man der Annahme eines menschlich-gebauten 'feineren' Leibes und der Möglichkeit seiner Hinausversetzung überhaupt zugestände.

Sollten sich Fälle jener Art nicht finden, oder die Annahme des feineren Leibes sich als unhaltbar erweisen, so hätte die Untersuchung, die uns von den Tatsachen des Hellsehens Schritt für Schritt bis zu der Tatsache des objektiven Experimental-Phantoms fortriß, mit einer Enttäuschung geendet, soweit die Theorie des Hellsehens an ihr interessiert war.

Diese Theorie würde dann mit weniger greifbar-körperhaften Fassungen des Exkursions-Begriffes sich abzufinden haben, soweit sie sich nicht gleich auf den idealistischen Gedanken des umfassenden Über-Ich zurückzöge, der sich ja jedenfalls nicht weniger, als eine exkursionistische Theorie, auf ausdrückliche Behauptungen gewisser Fernseher berufen kann.

[1] s. z.B. PrAm I 397; Flournoy, Des Indes 368; Gurney I I94.
[2] Das letztere, neben Ortsbewegung, in dem viel zitierten Falle aus Steinbeck (Splittgerber, Schlaf 2. Aufl.  II 120f.). Vgl. Gurney II 51.
[3] Dies behauptet von sich Dr. F. Hartmann, in OR März 1908 160.


Kap LXII.  Vehikel der Hinausversetzung des Ich.                     (S. 673)

'Um entfernte Gegenstände wahrnehmen zu können,' sagte Alexis Didier, 'macht sich meine Seele vom Körper nicht los; mein Wille lenkt meine Seele, meinen Geist, ohne daß ich dieses Zimmer, in welchem ich bin, verlasse.' [1] -

Und auch die Auguste K. meinte, 'die Ferne habe beim Fernsehen gar nichts zu tun, denn der Geist wird nicht versendet. .. Es bleibt sich gleich, ob eine Somnambule von etwas in Afrika oder von etwas im Nebenhause spricht, doch das ist der Unterschied, daß es leichter ist, wenn die Person, von der sie etwas erzählt, schon einmal in ihrer Nähe war.' [2]

Immerhin mögen zwischen einer solchen Theorie und einer exkursionistischen noch andere mögliche Formen liegen, die ein Element quasi-objektiver Exkursion verwerten, und sie würden jenen einstweilen nicht bestimmbaren Formen entsprechen, in denen wir die Objektivität und örtliche Anwesenheit solcher Phantome vermuteten, die offenbar nicht metaphysiologische Leiber darstellten. [3]

Mit andern Worten: es ist sehr wahrscheinlich, daß der Problembestand des Hellsehens durchaus parallel läuft demjenigen des Phantoms. Wo die Möglichkeit eines örtlichen Phantoms besteht, da besteht auch die eines unkörperlichen Wahmehmens, wobei vermutlich die theoretische Mehrdeutigkeit beider Begriffe den gleichen Sinn hat.

[1] Schindler, Das mag. Geistesleben 144.
[2] Bei Fechner, Zend-Avesta 1. Aufl. III 90.
[3] Gelegentliche seltene Aussagen Hellsehender über vom Gehirn ausgehendes 'Licht' oder  'Sehstrahlen', die zum Schauen erfordert würden, sind mir einstweilen zu vieldeutig, um theoretische Verwendung zu gestatten. S. z.B. ATM II, I 160f.; Werner 337; Perty, M. E. I 225; Haddock 66; Pr VII 90 u.

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