REINKARNATION von Ronald Zürrer |
Internet-Veröffentlichung Juli 2008, |
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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Neunter Teil: DIE ROMANTIK
Die Romantik
Der Begriff Romantik bezeichnet die Epoche in der deutschen Literatur von 1795 bis etwa 1830. Diese Bezeichnung stammt von der literarischen Kunstgattung des Romans, der (zusammen mit der Lyrik) im Zentrum des Schaffens dieser Epoche steht. Literaturhistorisch gesehen ist die Romantik eine direkte Weiterentwicklung der „Geniezeit“ des Sturm und Drang und bildet philosophie-historisch die letzte Stufe des Deutschen Idealismus.
An diesen anknüpfend, setzte sie dem einseitigen Rationalismus der Aufklärung ein neues Weltverständnis und eine neue Lebensphilosophie entgegen, die sich insbesondere durch Gefühl und Innerlichkeit auszeichnet. Die Weltsicht und der Lebenswandel der Romantiker waren erfüllt von Andacht, Schönheitsliebe und einer innigen Sehnsucht nach der Teilhabe am Höheren, Unbekannten, Mystischen und Unendlichen.
In ihren oft verschlungenen, zerfließenden und nicht selten fragmentarischen Werken werden die Grenzen zwischen Traum, Phantasie und Wirklichkeit aufgehoben, und ihr verändertes Kunst- und Kulturverständnis führte – wie bereits bei Hölderlin – zu einer völlig neuen Auseinandersetzung mit der griechischen Antike und dem Mittelalter, dort vor allem mit der Mystik. Ein zentrales Ideal der Romantik ist daher die Verschmelzung von Kunst und Religion.
Die Literaturwissenschaft unterteilt diese Epoche in drei aufeinanderfolgende Phasen, nämlich die Früh-, Hoch- und Spätromantik, deren wichtigste Exponenten nun im Hinblick auf den Reinkarnationsgedanken einzeln betrachtet werden sollen.
KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Neunter Teil: DIE ROMANTIK
Die Frühromantik und die Geburt der Indologie
Das Zentrum der Frühromantik (1795–1804) bildete die deutsche Universitätsstadt Jena, wo sich Gelehrte und Dichter aus verschiedenen Teilen des Landes für ein knappes Jahrzehnt in einem Freundeskreis zusammenfanden, bevor sich dieser nach dem Sieg Napoleons über die Preußen (Schlacht bei Jena, 1806) auflöste.
Zu den einflußreichsten Persönlichkeiten dieses Kreises gehörten die aus Hannover stammenden Gebrüder Schlegel, die als die Begründer der modernen Literaturwissenschaft gelten und die auch die Zeitschrift „Athenäum“ herausgaben, welche bald zum Sprachrohr des frühromantischen Kreises wurde.
Der frühromantische Freundeskreis um die Familien Schlegel in Jena pflegte auch engen Kontakt mit Friedrich Wilhelm Josef Schelling (1775–1854), der im Jahre 1803 Karoline von Schlegel (1763– 1809), die geschiedene Gemahlin A.W. Schlegels, heiratete. Diese Karoline von Schlegel (1763–1805) wird ihrerseits als der eigentliche Mittelpunkt der Jenaer Romantik beschrieben.
Schelling wird wohl nicht zu Unrecht als der Philosoph der Romantik beschrieben. Seine Philosophie knüpft nicht nur an Kant und Fichte an, sondern unmittelbar an Leibniz, an die Mystiker Jacob Böhme und Giordano Bruno sowie an Platon. Zusammen mit Hegel und Hölderlin war er Theologiestudent am Tübinger Stift, später Philosophieprofessor in Jena und Berlin.
Neben Friedrich Schlegel gilt sein Freund Friedrich Daniel Schleiermacher (1768–1834) als einer der führenden Theoretiker der Romantik. Im Jahre 1796 knüpfte er als Theologe und Prediger an der Berliner Charité die ersten Kontakte zum romantischen Kreis der Schlegels, für deren Zeitschrift „Athenäum“ er in der Folge Beiträge schrieb.
In seinen „Reden über die Religion“ setzte er sich, gegen theologische Orthodoxie und Rationalismus, für eine persönliche religiöse Erfahrung als notwendige Ergänzung von religiösem Denken und Handeln ein. Es ist vornehmlich diesem Schleiermacher zu verdanken, daß sich die Romantiker neben der Kunst und Philosophie auch der Religion zuwandten.
Vielleicht hat kein Philosoph vor ihm das Wesen der Religion so rein begriffen und das religiöse Bewußtsein besser verstanden als er. ... Schleiermacher löste von der Religion alle die Vorstellungen ab, die das theoretische Bewußtsein an sie herantragen und die zu Dogmen erstarrt und verdichtet waren, und ebenso alle Forderungen, die das sittliche Bewußtsein mit ihr verbunden hatte. ...
So gewann die Religion immer mehr an Bedeutung für die ganze Lebensanschauung der Romantiker. ... Die Religion ist überall das Erste und Höchste, das schlechthin Ursprüngliche. Auch die Liebe ist religiös, sofern sie auf das Unendliche abzielt. (aus: Georg Mehlis, „Die deutsche Romantik“, 1922; S. 60, 74/75)
Darüber hinaus sind aus der Gruppe der Frühromantiker noch der Berliner Dichter Ludwig Tieck (1773–1853) sowie dessen frühverstorbener Freund Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773–1798) zu erwähnen.
Der ältere der Gebrüder Schlegel, August Wilhelm von Schlegel (1767–1845), zählte zu den bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit und war zugleich Dichter, Literaturkritiker und Philologe. Zuerst wirkte er als Mitarbeiter Friedrich Schillers, dann als Professor an der Universität zu Jena und später an der Universität zu Bonn.
In Jena erlangte er insbesondere als Shakespeare-Übersetzer Anerkennung und Berühmtheit (er schuf zwischen 1797 und 1810 die klassische Shakespeare-Übersetzung). Allgemein zeichnete er sich durch hervorragende Sprachkenntnisse aus und beherrschte neben dem Englischen auch das Französische, Italienische, Spanische, Lateinische, Griechische, Persische und Arabische.
Später erlernte er zudem als einer der ersten Deutschen die schwierige Sanskrit-Sprache. Neben Shakespeare übersetzte er auch die Dichter Calderon (span.), Dante und Petrarca (italien.) ins Deutsche.
Die für unseren Zusammenhang wichtigste Leistung A.W. Schlegels bestand jedoch darin, daß er – zusammen mit seinem Bruder Friedrich – als der Begründer der Indologie in Deutschland gilt. Im Jahre 1818 wurde er Professor für Sanskrit und Indologie an der Universität zu Bonn, die als erste Universität in Deutschland diese Fakultät schuf.
Dort in Bonn, das er in ein „zweites Benares“ verwandeln wollte, gab er die Fachzeitschrift „Indische Bibliothek“ heraus, in der er Ausschnitte aus übersetzten Sanskrittexten veröffentlichte und Kommentare dazu verfaßte. Es ist seiner Bemühung zu verdanken, daß in Deutschland erstmals ein breiteres Publikum von der Bhagavad-gita (1823), vom Ramayana-Epos und von anderen klassischen Sanskrittexten hörte.
Mit Unterstützung der preußischen Regierung ließ A.W. Schlegel in Bonn die erste indische Druckerei errichten, die in der Lage war, mit Devanagari-Lettern der Sanskritsprache zu drucken.
Seine Übersetzungen der indischen Sanskritwerke brachten in der Folge die romantische Geisteswelt ins Staunen. Sowohl intuitiv als auch aufgrund historischer Rückschlüsse erkannten viele, daß Sanskrit die Muttersprache aller indoeuropäischen und das Indische demnach die Urkultur der Menschheit sein müsse. Im Jahre 1817 schrieb A.W. Schlegel an den Kronprinzen Ludwig von Bayern:
Ich glaube, es ist den Deutschen vorbehalten, alles ans Licht zu fördern, was die Werke der indischen Weltweisen und Dichter für die Theorie der Sprachen, für die Aufklärung des Zustandes der Urwelt, ihrer religiösen und philosophischen Begriffe, nebst den ersten Anfängen der Wissenschaft, zu einer so unendlich ergiebigen Quelle macht. (12.10.1817)
In einem späteren Brief an August Böckh (19.9.1837) stellte er klar: „Ich habe keine einseitige Vorliebe für die Indier“, und doch wies er mit Nachdruck auf folgende Tatsache hin:
Wir Indianisten stehen eigentlich im Nachteil gegen negative Köpfe, die kein Sanskrit wissen. Denn es wird schwer halten, ihnen Erscheinungen anschaulich zu machen, die in der ganzen Geschichte des menschlichen Geistes unvergleichbar bleiben. ... Bei der kritischen Betrachtung jedes altindischen Geisteszeugnisses wird man wie in einer Spirallinie gegen ein unerschwinglich hohes Altertum hinaufgewunden.
Obwohl zu Beginn des 19. Jahrhunderts die vedischen Schriften erst auszugsweise zur Verfügung standen, gelang es den Romantikern, diese ersten Wegweiser zu lesen und zu erkennen, in welche Richtung die ersehnte europäische Horizonterweiterung gehen müsse.
Die Begeisterung für das neuentdeckte Indische ergriff nicht nur A.W. Schlegel, sondern auch dessen gesamtes Umfeld. Sein jüngerer Bruder Friedrich von Schlegel (1772–1829), selbst Philosoph, Dichter und Sprachforscher, begann bereits im Jahre 1803 in Paris mit eigenen Sanskritstudien und veröffentlichte fünf Jahre später das Buch „Über die Sprache und Weisheit der Indier“ (1808). Im Vorwort zu diesem Werk betonte er nachdrücklich, wie sehr der Westen vom indischen Studium profitieren könne:
Und so mußte ich mich denn fürs erste darauf beschränken, durch den gegenwärtigen Versuch nur einen Beweis mehr zu liefern, wie fruchtbar das indische Studium dereinst noch werden könne, die Überzeugung allgemeiner zu verbreiten, welche reichen Schätze hier verborgen seien, die Liebe für dieses Studium wenigstens vorläufig auch in Deutschland anzufachen, und für die Aussicht des ganzen einen festen Grund zu legen, auf welchem sich nachher mit Sicherheit weiter fortbauen ließe.
Friedrich Schlegel vertrat dann auch offen die Ansicht, daß die Spuren der europäischen und hellenischen Vorfahren eindeutig nach Indien führten. In einem Brief an den Romantiker Ludwig Tieck (1803) schrieb er:
Hier ist eigentlich die Quelle aller Sprachen, aller Gedanken und Gedichte des menschlichen Geistes; alles, alles stammt aus Indien ohne Ausnahme. Ich habe über vieles eine ganz andere Ansicht und Einsicht bekommen, seit ich aus dieser Quelle schöpfen kann.
Bereits in seiner früheren Abhandlung „Gespräch über die Poesie“ (1800) brachte F. Schlegel unter anderem folgende Gedanken zum Ausdruck: „Wären uns nur die Schätze des Orients so zugänglich wie die des Altertums! Welch neue Quelle von Poesie könnte uns aus Indien fließen...“
In den Vorlesungen über die „Philosophie des Lebens“, die er in den Jahren 1804–06 an der Universität Köln hielt (herausgegeben in Bonn 1837), sprach F. Schlegel davon, daß es drei Unsterblichkeitsvorstellungen gibt. Abzulehnen sei dabei diejenige, die Spinoza (unter dem Einfluß des Buddhismus) vertreten habe: daß die Seele sich nach dem Tode unter Verlust ihrer Individualität wieder in das Einssein des Kosmos auflöse.
Ebenso abzulehnen sei jedoch auch die entgegengesetzte Anschauung, die dem herkömmlichen kirchlich-dogmatischen Unsterblichkeitsglauben zugrunde liegt: daß die Seele nach diesem einen Menschenleben eine ewige Existenz entweder in himmlischem Genuß oder in unendlicher Höllenstrafe erwarte. Er argumentierte:
Die Philosophie hat vorzüglich zwei Grundirrtümer zu widerlegen, nämlich erstens, daß die menschliche Seele sich in nichts auflösen könne, und zweitens, daß die Unsterblichkeit dem Menschen ohne sein Zutun schon völlig gegeben sei ... (S. 205)
Die dritte Meinung von der Seelenwanderung, die Ansicht des Mystizismus, schon wegen ihres hohen Alters so bemerkenswert, liegt in der Mitte der beiden. Diese läßt die Seele nicht gleich, sondern erst nachdem sie mancherlei Formen gewechselt, in die volle Freiheit übergehen. Wir nehmen hier die Seelenwanderung im allgemeinen Sinne als Fortdauer des Geistes bei abwechselnden Formen und Organen. (S. 202)
Denn:
Die Frage: ob die Rückkehr in die unendliche Freiheit gleich nach dem irdischen Tode erfolge, kann die Philosophie nicht beantworten. ... Dürften indes Vermutungen gelten, so müßte behauptet werden, daß der Mensch, so wie er ist, durchaus noch zu unvollkommen, zu irdisch sei, als daß jene höhere Art von Unsterblichkeit sich zunächst auf ihn beziehe; der Mensch müsse noch andere, wenngleich irdische, doch weit mehr geläuterte und verklärte Formen und Entwicklungen durchgehen, ehe er an der ewigen Glorie der göttlichen Lichtwelt unmittelbar teilnehmen könne. (S. 206)
Auch in seinen späten Vorlesungen über die „Philosophie des Lebens“ an der Universität zu Wien (1827) ging F. Schlegel noch einmal auf die Lehre der Reinkarnation ein. Inzwischen war er aufgrund seiner Beschäftigung mit den originalen Sanskrittexten auch imstande, die in der vedischen Literatur beschriebene Wissenschaft der Seelenwanderung gegen die teilweise überromantischen Anschauungen und Spekulationen seiner Zeit abzugrenzen:
In der letztvergangenen Zeit hat man die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele – da doch die eigentliche indische Seelenwanderung, so wie wir sie jetzt genau aus den Quellen kennen, zu ernsthaft und zu traurig ist, um bei unserem Zeitalter viel Beifall und Glauben zu finden – statt dessen nun ganz ins Romantische hinüberzuziehen und jenes Leben als eine Art von astronomischem Spazierenfahren von einem Sterne zum andern mit lebhaften Farben zu schildern gesucht. (S. 193)
Im Umfeld der Gebrüder Schlegel sei auch der Gelehrte, Staatsmann und Sprachwissenschaftler Wilhelm von Humboldt (1767– 1835) genannt, der außer mit diesen auch eine fruchtbare Freundschaft mit Goethe und Schiller pflegte und der im Jahre 1810 die Deutsche Universität in Berlin begründete. Angeregt durch A.W. Schlegel, begann er sich intensiv mit der indischen Kultur und Philosophie zu beschäftigen und erkannte ebenfalls die Bedeutung der vedischen Literatur. Über die Bhagavad-gita bemerkte er:
Das schönste, ja vielleicht das einzig wahrhaft philosophische Gedicht, das alle uns bekannten Literaturen aufzuweisen haben ... Das Tiefste und Erhabenste, was die Welt aufzuweisen hat. Ich danke Gott, daß er mich so lange hat leben lassen, daß ich dieses Buch noch lesen konnte.
Eine ganz besondere Stellung unter den späten Romantikern, die sich mit dem indischen Gedankengut beschäftigten, nimmt der Dichter und Philologe Friedrich Rückert (1788–1866) ein. Er war der erste deutsche Dichter, der die indische Inspiration direkt in sein Werk einfließen ließ. Als Sprachgenie und virtuoser Reimkünstler befaßte sich Rückert, der eine Professur für orientalische Sprachen innnehatte (Erlangen 1826–41, Berlin 1841–48), mit den unterschiedlichsten Aspekten und Epochen der Dichtung, über Alltagsdichtung (Biedermeier) und antike Themen bis hin zu Übersetzungen aus dem Arabischen, Persischen, Hebräischen, Chinesischen und vor allem auch aus dem Sanskrit. Zum Thema der Seelenwanderung finden sich in seiner Spruchdichtung „Die Weisheit des Brahmanen“ (1835–39) die folgenden Zeilen:
O bitt um Leben noch!
Du fühlst an Deinen Mängeln,
daß Du nicht wandeln kannst
schon unter Gottes Engeln.
Erst baut Natur den Leib, ein Haus mit Sinnentoren,
Worin ein fremdes Kind, der Geist, dann wird geboren.
Er findet Hausgerät und braucht es nach Gefallen.
Und wenn er dann das Haus verläßt, wird es zerfallen.
Doch die Baumeisterin baut immer Neues wieder
Und lockt den Himmelsgast zur irdischen Einkehr wieder.
An anderer Stelle schrieb Rückert:
Ich will auch meinen Leib zurück vom Staube fordern,
denn nicht ein Stäubchen des, was mein ist, soll vermodern.
Was ich als ein Gewand hab’ abgelegt im Grabe,
anzieh’ ich’s wieder, wenn ich ausgeschlafen habe.
Es wird das alte Kleid und doch ein neues sein,
die Mutter in der Nacht wusch es dem Kinde rein.
Ein weiterer wichtiger Vertreter der Jenaer Romantik ist der frühverstorbene Dichter Novalis (1772–1801), eigtl. Friedrich Freiherr von Hardenberg, der mit seiner „Blauen Blume“ (aus dem Roman „Heinrich von Ofterdingen“, postum 1802) das Symbol des gesamten romantischen Denkens schuf. Die Blaue Blume gilt als der Inbegriff der romantischen Sehnsucht nach dem Unendlichen, Göttlichen, das immer ersehnt und doch nie ganz erreicht wird, das uns manchmal so nah und manchmal so fern erscheint, an dem teilzuhaben jedoch als das einzig sinnvolle Bestreben des Menschen angesehen wird.
So finden wir in Novalis’ Fragmenten und auch in seinen Briefen immer wieder auf direkte Bezüge zum Gedanken der Wiedergeburt des Menschen. Zum Beispiel schrieb er:
Was hier nicht zur Vollendung gelangt, gelangt vielleicht drüben dorthin oder muß eine abermalige irdische Laufbahn beginnen. Sollte es nicht drüben einen Tod geben, dessen Resultat irdische Geburt wäre?
Vor dem Hintergrund seines ahnenden Wissens um die Seelenwanderung hat sich Novalis vielfach mit dem Plan getragen, einen zweiten Teil zu Lessings „Erziehung des Menschengeschlechts“ zu schreiben und diesen dort behandelten Gedanken weiter auszuführen. Im Traum von der blauen Blume, gleich zu Anfang des „Heinrich von Ofterdingen“, spricht ihn Novalis in seiner typischen geheimnisvollmystischen Weise aus:
Er wanderte über Meere mit unbegreiflicher Leichtigkeit; wunderliche Tiere sah er; er lebte mit mannigfaltigen Menschen, bald im Kriege, in wildem Getümmel, in stillen Hütten. ... Alle Empfindungen stiegen bis zu einer nie gekannten Höhe in ihm. Er durchlebte ein unendlich buntes Leben, starb und kam wieder ... (1. Kapitel)
Im Innern des Berges darf Heinrich von Ofterdingen in den Büchern des Grafen von Hohenzollern lesen. Es sind Bücher der fernen Rückschau; und vor allem eines, das in provenzalischer Sprache geschrieben ist, ergreift ihn:
Es hatte keinen Titel, doch fand er beim Suchen einige Bilder. Sie dünkten ihm ganz wunderbar bekannt, und, wie er recht zusah, entdeckte er seine eigene Gestalt ziemlich kenntlich unter den Figuren. ... Allmählich fand er auf den andern Bildern die Morgenländerin, seine Eltern, den Landgrafen, die Landgräfin von Thüringen, seinen Freund den Hofkaplan und manche andere seiner Bekannten; doch waren ihre Kleidungen verändert und schienen aus einer anderen Zeit zu sein.
Eine große Menge Figuren wußte er nicht zu nennen, doch deuchten sie ihm bekannt. Er sah sein Ebenbild in verschiedenen Lagen. Gegen das Ende kam er sich größer und edler vor. ... Die letzten Bilder waren dunkel und unverständlich; der Schluß des Buches schien zu fehlen... (5. Kapitel)
Im zweiten Teil des Romans tauchen die Personen des ersten Teils selbst in verwandelter, „reinkarnierter“ Gestalt wieder auf („Die Erde lag vor ihm wie ein altes liebes Wohnhaus, das er nach langer Entfernung verlassen wiederfände. Tausend Erinnerungen wurden ihm gegenwärtig ...“). Dort finden wir auch das folgende geheimnisvolle Gespräch zwischen dem Pilger und Cyane, aus dem die verborgenen Erinnerungen an frühere Existenzen hervorscheinen:
Seit wann bist du hier? – Seitdem ich aus dem Grabe gekommen bin. – Warst du schon einmal gestorben? – Wie könnte ich denn leben? – ... Woher kennst du mich? – Oh, von alten Zeiten; auch erzählte mir meine ehemalige Mutter zeither immer von dir. – Hast du noch eine Mutter? – Ja, aber es ist eigentlich dieselbe. – ... – Wo gehen wir denn hin? – Immer nach Hause.
KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Neunter Teil: DIE ROMANTIK
Die Hochromantik
Nach der Eroberung Preußens durch Napoleon (1806) löste sich der Jenaer Dichter- und Philosophenkreis allmählich auf und verlegte sich teilweise nach Berlin, wo um den Dichter, Zeichner und Musiker E.T.A. Hoffmann (1776–1822) die Zecherrunde der sogenannten Berliner „Serapionsbrüder“ entstand.
Gleichzeitig bildete sich im Süden Deutschlands eine neue Dichtergruppe mit Zentrum in Heidelberg, die den romantischen Gedanken aufnahm und zu dem weiterentwickelte, was heute als die „Hochromantik“ (1804–1815) bezeichnet wird. Die herausragendsten Persönlichkeiten dieses Kreises waren die Dichter Clemens Brentano (1778–1842; Sohn von Maximiliane La Roche, einer Jugendfreundin Goethes), sein Göttinger Studiengefährte und Freund Achim von Arnim (1781–1831) sowie Joseph Freiherr von Eichendorff (1788–1857).
Wie schon bei den Frühromantikern, trat auch hier die Gefühlsgewißheit von den verborgenen Gesetzen des Karma und der Reinkarnation nicht in der klaren, analytischen Art eines Leibniz oder Lessing hervor, sondern in einer dichterischmystischen Form. Emil Bock schreibt hierzu:
Die ahnende Seelenweisheit, die den Kreis der Romantiker oft geistreich durchsprühte, ... wurde vor allem von den Frauen verkörpert, die diesem Kreise angehörten. Durch ihren hellfühlenden Schicksalsspürsinn waren sie die weisen Lenkerinnen der Geselligkeit, durch ihr seelenvolles Zuhören verhalfen sie dem Gefühl der anderen zum Wort, durch ihr eigenes Sprechen floß der aromatische Hauch alter götternaher Zeiten in die Gespräche ein...
Die Frauen der Romantik haben gewiß oft, ohne es selbst ganz deutlich zu merken, in den Gesprächen von Wiederverkörperung gesprochen. Durch das gesprochene Wort ist dieser Gedanke sicherlich direkt und indirekt viel häufiger hindurchgeflimmert, als es aus dem uns erhaltenen geschriebenen Wort ersichtlich ist. Durch die Briefe tanzen die Lichter der Wiederverkörperungsidee in der verschiedenartigsten Gestalt hindurch. (S. 82)
So stellte denn die Schwester von Clemens Brentano, Bettina von Arnim (1785–1859), die seit 1811 mit Achim von Arnim verheiratet war, den eigentlichen Mittelpunkt der Heidelberger Romantik und auch deren Verbindung zu zeitgenössischen führenden Dichtern und Denkern, beispielsweise zu Goethe, dar. In ihren zahlreichen Briefdichtungen berichtete sie des öfteren von ihrer innigen Auseinandersetzung mit dem Seelenwanderungsgedanken:
Im Homer lese ich oft; könnte ich Dir nur darstellen, was ich da für Erfahrungen mache – und welche Rückerinnerungen einer früheren Welt in mir aufgehen. Diese Götter kenne ich ..., die auf goldenen Sandalen die Wolken beschreiten. (an Clemens Brentano)
Dies alles bewegt mich, gibt mir eine Stimmung fürs Vergangene und Zukünftige, dämpft mein Feuer der Erwartung. ... Solche Untiefen stehen mir also bevor, wo sich der Lebensgeist durch schauerliche Schluchten winden muß. Mut! Die Welt ist rund, wir kehren zurück mit erhöhten Kräften und doppeltem Reiz; die Sehnsucht streut gleich beim Abschied schon den Samen der Wiederkehr. (an Goethe; aus: „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“)
Ebenfalls zum Kreise der Hochromantiker dürfen wir die Brüder Jacob Grimm (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859) zählen, die die Werke Achim von Arnims und anderer herausgaben und die durch ihre umfassenden Arbeiten auf dem Gebiet der deutschen Philologie und Dichtung als die Mitbegründer der Germanistik gelten („Deutsche Grammatik“, 1819–37; „Deutsches Wörterbuch“, seit 1854).
Berühmt geworden sind die Brüder Grimm außerdem durch ihre erstmalig systematisierte Veröffentlichung der gesammelten „Deutschen Kinder- und Hausmärchen“ (1812–15), die zu ihren Lebzeiten bis 1857 in siebzehn Auflagen gedruckt wurden und die bis zum heutigen Tage zu den meistgelesenen Werken der deutschen Literaturgeschichte gehören.
In dieser Sammlung finden sich manche Märchen, denen das Verständnis der Seelenwanderung mindestens versteckt zugrunde liegt, während einige sich gar als ausgesprochene „Reinkarnationsmärchen“ bezeichnen lassen. Das wohl berühmteste unter diesen ist das Märchen von der Frau Holle, das auf anschauliche Weise das Wirken des Karma-Gesetzes und die Wanderung der Seele von einem Menschenleben zum nächsten beschreibt:
Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleißig, die andere häßlich und faul. Sie hatte aber die häßliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere mußte alle Arbeit tun und das Aschenputtel im Hause sein. Das arme Mädchen mußte sich täglich auf die große Straße bei einem Brunnen setzen und mußte so viel spinnen, daß ihm das Blut aus den Fingern sprang.
Nun trug es sich zu, daß die Spule einmal ganz blutig war; da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte sie abwaschen; sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab. Es weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück. Sie schalt es aber so heftig und war so unbarmherzig, daß sie sprach: „Hast du die Spule hinunterfallen lassen, so hol sie auch wieder herauf.“
Da ging das Mädchen zu dem Brunnen zurück und wußte nicht, was es anfangen sollte: und in seiner Herzensangst sprang es in den Brunnen hinein, um die Spule zu holen. Es verlor die Besinnung, und als es erwachte und wieder zu sich selber kam, war es auf einer schönen Wiese, wo die Sonne schien und viel tausend Blumen standen.
Auf dieser Wiese ging es fort und kam zu einem Backofen, der war voller Brot; das Brot aber rief: „Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich; ich bin schon längst ausgebacken.“ Da trat es herzu und holte mit dem Brotschieber alles nacheinander heraus.
Danach ging es weiter und kam zu einem Baum, der hing voller Äpfel, und rief ihm zu: „Ach, schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif.“ Da schüttelte es den Baum, daß die Äpfel fielen, als regneten sie, und schüttelte, bis keiner mehr oben war; und als es alle in einen Haufen zusammengelegt hatte, ging es wieder weiter.
Endlich kam es zu einem kleinen Haus, daraus guckte eine alte Frau; weil sie aber so große Zähne hatte, ward ihm angst, und es wollte fortlaufen. Die alte Frau aber rief ihm nach: „Was fürchtest du dich, liebes Kind? Bleib bei mir; wenn du alle Arbeit im Hause ordentlich tun willst, so soll dir’s gut gehen. Du mußt nur achtgeben, daß du mein Bett gut machst und es fleißig aufschüttelst, daß die Federn fliegen, dann schneit es in der Welt; ich bin die Frau Holle.“
Weil die Alte ihm so gut zusprach, so faßte sich das Mädchen ein Herz, willigte ein und begab sich in ihren Dienst. Es besorgte auch alles nach ihrer Zufriedenheit und schüttelte ihr das Bett immer gewaltig auf, daß die Federn wie Schneeflocken umherflogen; dafür hatte es auch ein gut Leben bei ihr und kein böses Wort.
Nun war es eine Zeitlang bei Frau Holle, da ward es traurig und wußte anfangs selbst nicht, was ihm fehlte; endlich merkte es, daß es Heimweh war; ob es ihm hier gleich vieltausendmal besser ging als zu Haus, so hatte es doch ein Verlangen dahin. Endlich sagte es zu ihr: „Ich habe den Jammer nach Haus gekriegt, und wenn es mir auch noch so gut hier unten geht, so kann ich doch nicht länger bleiben, ich muß wieder hinauf zu den Meinigen.“
Die Frau Holle sagte: „Es gefällt mir, daß du wieder nach Haus verlangst, und weil du mir so treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder hinaufbringen.“ Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es vor ein großes Tor. Das Tor ward aufgetan, und wie das Mädchen gerade darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und alles Gold blieb an ihm hängen, so daß es über und über davon bedeckt war.
„Das sollst du haben, weil du so fleißig gewesen bist“, sprach die Frau Holle und gab ihm auch die Spule wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war. Darauf ward das Tor verschlossen, und das Mädchen befand sich oben auf der Welt, nicht weit von seiner Mutter Haus: und als es in den Hof kam, saß der Hahn auf dem Brunnen und rief: „Kikeriki, unsere goldene Jungfrau ist wieder hie!“
Da ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es so mit Gold bedeckt war, ward es von ihr und der Schwester gut aufgenommen. Das Mädchen erzählte alles, was ihm begegnet war, und als die Mutter hörte, wie es zu dem großen Reichtum gekommen war, wollte sie der andern, häßlichen und faulen Tochter gerne dasselbe Glück verschaffen.
Sie mußte sich an den Brunnen setzen und spinnen; und damit ihre Spule blutig ward, stach sie sich in die Finger und stieß sich die Hand in die Dornhecke. Dann warf sie die Spule in den Brunnen und sprang selber hinein. Sie kam, wie die andere, auf die schöne Wiese und ging auf demselben Pfade weiter. Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brot wieder: „Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich; ich bin schon längst ausgebacken.“ Die Faule aber antwortete: „Da hätt ich Lust, mich schmutzig zu machen“, und ging fort.
Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief: „Ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif.“ Sie antwortete aber: „Du kommst mir recht, es könnte mir einer auf den Kopf fallen“, und ging damit weiter. Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen schon gehört hatte, und verdingte sich gleich zu ihr.
Am ersten Tag tat sie sich Gewalt an, war fleißig und folgte der Frau Holle, wenn sie ihr etwas sagte, denn sie dachte an das viele Gold, das sie ihr schenken würde; am zweiten Tag aber fing sie schon an zu faulenzen, am dritten noch mehr, da wollte sie morgens gar nicht aufstehen. Sie machte auch der Frau Holle das Bett nicht, wie sich’s gebührte, und schüttelte es nicht, daß die Federn aufflogen.
Das ward die Frau Holle bald müde und sagte ihr den Dienst auf. Die Faule war das wohl zufrieden und meinte, nun würde der Goldregen kommen; die Frau Holle führte sie auch zu dem Tor, als sie aber darunter stand, ward statt des Goldes ein großer Kessel voll Pech ausgeschüttet. „Das ist zur Belohnung deiner Dienste“, sagte die Frau Holle und schloß das Tor zu.
Da kam die Faule heim, aber sie war ganz mit Pech bedeckt, und der Hahn auf dem Brunnen, als er sie sah, rief: „Kikeriki, unsere schmutzige Jungfrau ist wieder hie!“ Das Pech aber blieb fest an ihr hängen und wollte, solange sie lebte, nicht wieder abgehen.
In diesem wie auch in vielen anderen Märchen der Brüder Grimm finden wir eine eindeutige Darstellung des Karma-Prinzips von Handlung und dementsprechender „Belohnung“ oder „Bestrafung“. Einige haben sogar ausschließlich dieses Prinzip zum Inhalt, wie z.B. „Die Sterntaler“, in dem erzählt wird, wie ein kleines, frommes Mädchen, dem Vater und Mutter gestorben waren, seine letzten Besitztümer an Bedürftige fortgab und dafür reichlich belohnt wurde: „Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel und waren lauter harte, blanke Taler.“
Das Märchen der „Frau Holle“ beinhaltet darüber hinaus eine Vielzahl symbolhafter Anspielungen auf die Reinkarnation. Der Brunnen erscheint in der Volksliteratur häufig als Symbol einerseits des Todes (wie in „Frau Holle“), zum anderen (z.B. in „Der Froschkönig“) aber auch als Symbol der Wiedergeburt, für die in „Frau Holle“ das große Tor steht.
Durch dieses Tor treten wir erst nach durchgangener Prüfung, wobei wir in Entsprechung zu den Ergebnissen unserer vergangenen Taten mit „Gold“ oder „Pech“ überschüttet werden, das dann, solange wir leben, nicht wieder abgeht (Prarabdha-Karma).
Für Märchen ist es bezeichnend, daß die Grenzen zwischen Leben und Tod meist verwischt sind und daß der Tod kein Ende, sondern ein Übergang ist: Wir springen in den Todesbrunnen hinein und finden uns auf einer schönen Wiese wieder, wir schreiten durch das Geburtstor und kehren zur Welt zurück.
Ein weiteres Beispiel ist das kleine Märchen „Von den zwölf Aposteln“, das die Brüder Grimm im Anhang ihrer Sammlung mitgeteilt haben und das ein nahezu unbekannt gebliebenes Kleinod unter den deutschen Volksmärchen darstellt. Es erzählt die Geschichte von den zwölf Söhnen einer armen Witwe, die, 300 Jahre vor Christi Geburt, aus Not einer nach dem anderen eine lange Wanderung durch einen weiten, dunklen Wald antreten müssen und durch ein Engelwesen in einer wunderbaren Schatzhöhle an zwölf goldene Wiegen geführt werden.
Dort schlafen sie dreihundert Jahre lang – „bis in der Nacht, worin der Weltheiland geboren ward. Da erwachten sie und waren mit ihm auf Erden und wurden die zwölf Apostel genannt.“
KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Neunter Teil: DIE ROMANTIK
Die Spätromantik
Neben dem Dichterkreis in Berlin bildete sich nach der Zeit der Heidelberger Romantik vor allem auch in Schwaben eine Gruppe jüngerer Dichter, in deren Schaffen noch einmal die Gedanken eines Novalis oder Brentano aufgegriffen wurden und die den Abschluß der Epoche der Romantik bildeten (1815–1830).
Unter ihnen seien hier der Ludwigsburger Arzt und Theosoph Justinus Kerner (1786–1862), der Dichter, Jurist und Mitbegründer der Germanistik Ludwig Uhland (1787–1862; Professor für deutsche Literatur in Tübingen) sowie der Stuttgarter Dichter und Sagenerzähler Gustav Schwab (1792–1850) genannt.
Von Justinus Kerner, der vor allem durch sein spiritistisches Buch über die „Seherin von Prevorst“ (1801–1829) weit über seine Heimat hinaus bekannt geworden ist, stammen die folgenden Äußerungen zum Thema der Reinkarnation:
Ich war noch gar kein Christ. Dennoch war ich nicht ohne Glauben. Ich glaubte an keine Vernichtung nach dem Tode, sondern an eine pythagoräische Seelenwanderung, die sich mir auch auf die Tiere, da ich sie so sehr liebte, erstreckte. Meine Beobachtung der Verwandlung der Insekten und das Lesen der Schriften dieser alten Philosophen brachte mich darauf. (aus der Autobiographie „Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit“, 1849)
Es waltet ein furchtbares, strenges Naturgesetz, dem wir alle anheimfallen ohne die Gnade des Erlösers. Wer diese nicht kennt, kommt in das unerbittliche eiserne Rad der Natur, fällt der Schwere anheim, kann von der Erde nicht kommen, schwebt als Geistersau und muß froh sein, wenn er nach Jahrhunderten wieder Menschengestalt erhält. (Brief an Sophie Schwab, die Gattin Gustav Schwabs, 12.5.1836)
KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Neunter Teil: DIE ROMANTIK
Goethe und Schiller
Das Wissen um die Reinkarnation gehört auch in das Denken und Schaffen des wohl unangefochtenen Großmeisters der deutschen Geistesgeschichte – Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832). In dem berühmt gewordenen Gespräch mit dem Theologen und Pädagogen J.D. Falk, das Goethe am Begräbnistage des Dichters C.M. Wieland (25.1.1813) in Weimar führte, brachte er dieses Wissen deutlich zum Ausdruck. Falk hatte ihn gefragt, was Wieland nach seiner Meinung nun wohl täte, worauf Goethe zur Antwort gab:
Was nun die persönliche Fortdauer unserer Seele nach dem Tode betrifft, so ist es damit auf meinem Wege also beschaffen: Sie steht keineswegs mit den vieljährigen Beobachtungen, die ich über die Beschaffenheit unserer und aller Wesen in der Natur angestellt, im Widerspruch; im Gegenteil, sie geht sogar aus derselben mit neuer Beweiskraft hervor. ...
Ich würde mich also wenig wundern, daß ich es sogar meinen Ansichten völlig gemäß finden müßte, wenn ich diesem Wieland als einer Weltmonade, als einem Stern erster Größe, nach Jahrtausenden wieder begegnete. ... Ich bin gewiß schon tausendmal hiergewesen und hoffe wohl noch tausendmal wiederzukommen.
Ebenso deutlich sprach Goethe seine Überzeugung von der Wiedergeburt in seinen Gedichten und Briefen an Frau Charlotte von Stein aus, die bereits in Kapitel 4 (im Abschnitt Können wir unseren Partner wiedersehen?) zitiert wurden. In der Folge seien hier einige weitere Beispiele aus der Fülle seines Schaffens angeführt, die für sich selbst sprechen und keines Kommentars bedürfen:
Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd...
(aus dem „Gesang der Geister
über den Wassern“, 10.10.1779)
Ich sehne mich recht von hier weg. Die Geister der alten Zeit lassen mir hier keine frohe Stunde, ich habe keinen Berg besteigen mögen, die unangenehmen Erinnerungen halten alles befleckt. Wie gut ist’s, daß der Mensch sterbe, um nur die Eindrücke auszulöschen und gebadet wiederzukommen. (aus einem Brief an Frau von Stein; Ilmenau, 2.7.1781)
Es ist mir wirklich auch jetzt nicht etwa zumute, als ob ich die Sachen zum erstenmal sähe, sondern als ob ich sie wiedersähe. (aus einem Brief zu Beginn seiner italienischen Reise; Venedig, Oktober 1786)
Mancherlei hast du versäumet:
Statt zu handeln, hast geträumet,
Statt zu danken, hast geschwiegen,
Solltest wandern, bliebest liegen.
– Nein, ich habe nichts versäumet!
Wißt ihr denn, was ich geträumet?
Nun will ich zum Danke fliegen,
Nur mein Bündel bleibe liegen.
Heute geh ich. Komm ich wieder,
Singen wir ganz andre Lieder.
Wo so viel sich hoffen läßt,
Ist der Abschied ja ein Fest.
... Und solang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.
(aus dem Gedicht „Selige Sehnsucht“, 1814)
Wenn einer fünfundsiebzig Jahre alt ist, kann es nicht fehlen, daß er mitunter an den Tod denke. Mich läßt dieser Gedanke in völliger Ruhe, denn ich habe die feste Überzeugung, daß unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer Natur, es ist ein Fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es ist der Sonne ähnlich, die bloß unseren irdischen Augen unterzugehen scheint, die aber eigentlich nie untergeht, sondern unaufhörlich fortleuchtet. (aus den „Gesprächen mit Eckermann“, um 1824)
Auch Friedrich Schiller (1759–1805), der zweite Große unter den deutschen Dichtern, hat sich bereits früh mit dem Reinkarnationsgedanken beschäftigt. In seiner medizinischen Dissertation zum Thema „Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen“ (Ludwigsburg, 1780) schreibt der erst Zwanzigjährige:
ì 27. Die Materie zerfällt in ihre letzten Elemente wieder, die nun in anderen Formen und Verhältnissen durch die Reiche der Natur wandern. ... Die Seele fähret fort, in anderen Kreisen ihre Denkkraft zu üben und das Universum von andern Seiten zu beschauen.
Man kann freilich sagen, daß sie diese Sphäre im geringsten noch nicht erschöpft hat, daß sie solche vollkommener hätte verlassen können; aber weiß man denn, daß diese Sphäre für immer verloren ist? Wir legen jetzo manches Buch weg, das wir nicht verstehen, aber vielleicht verstehen wir es in einigen Jahren besser.
Wie schon bei Goethe, so flackert der Seelenwanderungsgedanke auch in Schillers Werken vor allem in lyrischer Form hier und dort immer wieder auf, so beispielsweise in seinem Gedicht „Das Geheimnis der Reminiszenz“, das ebenfalls bereits in Kapitel 4 angeführt wurde.
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